Es ist ein Hirsch entsprungen
Wer durch Kopenhagens Hirschsprungske Samling schreitet, bekommt ein klassisches Bild von Dänemark: Männer mit steifen Krägen und strengen Gesichtern schauen von den Gemälden. Nur wenige hundert Meter entfernt steht ein anderes Monument dänischer Kultur: das Rigshospitalet, seit Lars von Triers „Hospital der Geister“ Symbol für das abgründige Selbstverständnis Dänemarks. Auch musikalisch lieben es die Dänen eher schräg und fördern dieses Selbstbild bei ihrem Musikexport, etwa der „Spot on Denmark“-Tour, die gerade durch Europa zieht.
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Zweimal schon durfte man in Wien das dänische Export-Musikfestival „Spot on Denmark“ erleben. Unter den Stadtbahnbögen der U6 erlebte eine Schar eingefleischter Fans so schräge Bands wie Sleep Party People, die vorzugsweise mit papierenen Häschenmasken auf die Bühne steigen, und die tempolastigen When the Saints Go Machine.

Spot on Denmark
„Spot on Denmark“ unter den Wiener Stadtbahnbögen
Überhaupt sind Locations wie das B72 zum Vermittlungsort dänischer Indie-Klänge geworden. Da zwängten sich die in Dänemark mittlerweile großen Efterklang auf die schmale Bühne des Clubs; und die schrillen Oh No Onos verbanden ihre Effektgeräte mit der über den Kopf dahindonnernden U6.
Raus aus der Ecke
Heuer will man den „Spot on Denmark“ aus dem Eck eingeschworener Insider- und Connaisseur-Gruppen herausholen. Aus gutem Grund: Viele Spot-Bands sind in puncto Wasserverdrängung gewachsenen und nicht selten auch auf Großfestivals erprobt. Am 3. Februar darf man sich im Wiener WUK auf eine lange Nacht dänischer Musik mit so abgründigen Bands wie Reptile Youth freuen - oder gleich als Entree auf das Zusammenspiel von Il Tempo Gigante aus Kopenhagen mit den heimischen Garish.

Rasmus Weng Karlsen/Ink Music
Gute Schultern - Grundvoraussetzung für eine Begegnung mit Mads Damsgaard von Reptile Youth
Plattform für neue Projekte
Mit einem Warm-up am Tag davor im B72 wollen die Veranstalter aus Dänemark und Österreich einen Kerngedanken des Spot-Festivals stärken: dass es nicht nur gute Musik zu entdecken, sondern neue Projekte anzustoßen gilt. „Das Spot-Festival ist ja eigentlich eine professionelle Veranstaltung, auf der man Bands und Musikindustrie zusammenbringen wollte“, erklärt Christian Hald Buhl, der das Festival aus Dänemark in verschiedene europäische Locations, darunter das Montreux Jazz Festival, gebracht hat, gegenüber ORF.at
Interessant sei „Spot on Denmark“ ja deshalb, so Buhl, weil Kritiker aus den Zielländern auf dem Spot-Festival in Aarhus jene Bands auswählen, die sie im kommenden Jahr auf dem „Spot on Denmark“ hören möchten. „Wir suchen nach Partnern, die unsere Idee weitertragen – und für die wir gleichzeitig aber auch eine Möglichkeit schaffen, in unserer Region wahrgenommen zu werden. So entstehen interessante Kooperationen, etwa wie jene von Garish und Il Tempo Gigante“, erläutert Buhl.

Torkil Adsersen/Spot Festival
Aarhus in der Mitte Jütlands - jedes Jahr Anfang Mai der Nabel der skandinavischen Musikwelt
„Das Spot ist beides: Marktplatz und Entdeckerplattform für internationale Gäste“, sagt „Presse“-Musikredakteur Holger Fleischmann, der gemeinsam mit heimischen Musikredakteuren und Ink Music die Bands für den heurigen „Spot on Denmark“ in Aarhus begutachtet hat. „Und“, so Fleischmann, „es ist ein Musikfest für das lokale Publikum, das seine Bands feiert. Das zu vereinen, macht den Reiz des Festivals aus. Ganz ohne angloamerikanische Headliner.“

Torkil Adsersen/Spot Festival
Warten auf den nächsten Act am Spot-Festival 2011
„Flanieren zwischen den Genres“
„Die Dänen lieben ihre Bands“, so Fleischmann: „Diesen Eindruck gewinnt man zumindest an den dicht programmierten Festivaltagen. Interessant dabei ist, dass das Publikum nicht nur ganz selbstverständlich zwischen den gut 15 Bühnen flaniert, sondern auch zwischen Genres und vermeintlichen Gegensätzen. Experimentellen Klängen zu lauschen und sich dann für einen mainstreamtauglichen Popact wie Oh Land anzustellen, ist beim Spot kein Widerspruch.“

Darkness Falls
Das Duo Darkness Falls bei der Arbeit. Starker Förderer im Hintergrund: Anders Trentemöller
Dass Bands aus dem Norden im Übergangsgenre Pop/Rock/Elektro zu einer Art eigenen Trademark geworden sind, befindet auch Buhl, der beim Publikum in Deutschland, Österreich und Belgien eine sehr große Offenheit gegenüber Bands aus Skandinavien feststellt.
Neues Selbstverständnis
Buhl stellt aber auch einen Generationensprung in der skandinavischen Kultur fest: „Eine neue, junge Generation pflegt nicht mehr das kühle Understatement, sondern sagt sehr deutlich, was man ist und wie man sich fühlt. Also wenn man Reptile Youth ansieht, die sind ‚Rock and Roll‘, auch wenn sie eigentlich Elektronik spielen.“
Dass ausgerechnet die Dänen für ein vorzugsweise schräges Kulturverständnis stehen, kommentiert Buhl knapp und dänisch: „Wir nähern uns dem Leben aus einer Perspektive, die man als Humortherapie bezeichnen könnte.“
Feststellbar ist bei so gut wie allen dänischen Bands, die in Österreich zu Gast waren und die nun auch in Wien auftreten, dass man Grenzgänge liebt. Sei es in der Zusammenarbeit mit anderen Bands, sei es auch, was Auftritt-Locations anlangt. Mit zahlreichen Wohnungs- und Hinterhofkonzerten blüht gerade in Skandinavien eine Tradition, die besagt, dass man gute Musik eigentlich immer und mit allen Mitteln aufführen kann.
Hinweis
„Spot on Denmark“, am 3.2. im WUK in Wien mit Il Tempo Gigante & Garish, Darkness Falls und Reptile Youth. Am Vortag gibt es im B72 in Wien den „Spot on Vienna“ mit Saedi, Diver und Monsterheart. Reptile Youth spielen nach ihrem Auftritt in Wien am 4.2. in Linz (Posthof) und am 5.2. in Salzburg (Rockhouse).
„Flüssige Grenzen“
„Es gibt wirklich flüssige Grenzen“, so Buhl. Das Duo Darkness Falls, das mit seinem filigranen Elektro-Pop am Freitag ebenfalls mit von der Partie ist, hat etwa den großen Anders Trentemöller als Unterstützer im Hintergrund. Wichtig dabei sei, so Buhl, dass ein großer Name nicht nur ein Projekt pusht, sondern dieses auch weiterhin begleite.
Ähnlich dem FM4-„Soundpark“-Modell gibt es in Dänemark mittlerweile mit dem Sender P6 Beat des öffentlich-rechtlichen dänischen Radios auch eine Station, die gerade Material von Bands, die noch gar kein Album auf dem Markt haben, in die Primetime des Programms setzen.
Solche Plattformen hätten lange gefehlt, sagte Buhl, der aber daran erinnert, dass gerade dänische Bands Soziale Netzwerke verwenden, um sich bekanntzumachen. Auch dabei sei es wieder entscheidend, für die Musik aus einer Region zu stehen, die eine klare Identität habe.
Gerald Heidegger, ORF.at
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