Druck auf Wulff wächst
Nach der versuchten Pressebeeinflussung durch den deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff wird dessen Position immer ungemütlicher. Auch Politiker der Regierungskoalition in Berlin gehen jetzt zunehmend auf Distanz zu Wulff.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Wulff hatte offenbar versucht, das Massenboulevardblatt „Bild“ durch einen Drohanruf bei der Chefredaktion von Veröffentlichungen über seine Privatkreditaffäre abzubringen. Offene Kritik kam auch aus Wulffs CDU-Heimatorganisation Niedersachsen, aus der FDP und seitens der Journalistenverbände des Landes.
Wulff war 2010 als Kandidat von CDU/CSU und FDP nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler im dritten Wahlgang von der Bundesversammlung zum zehnten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Sein von SPD und Grünen unterstützter Gegenkandidat war der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck, den sich laut Meinungsumfragen die Mehrheit der Bevölkerung als Staatsoberhaupt gewünscht hatte.
CSU fordert Aufklärung
Die CSU-Landesgruppenchefin im deutschen Bundestag, Gerda Hasselfeldt, äußerte am Dienstag die Erwartung, dass Wulff in den kommenden Tagen zu den neuen Vorwürfen Stellung nehme. Sie sei sich sicher, dass Wulff die Vorwürfe überzeugend aufklären könne, sagte die Politikerin im Deutschlandfunk. Das könne aber nur er selbst. „Ich bin überzeugt davon, dass er nach einigen Tagen der Überlegung auch zu diesem Schluss kommen wird.“
Hasselfeldt betonte, sie wolle sich an einer öffentlichen Diskussion über einen derart hohen Amtsträger wie Wulff nicht beteiligen. „Jeder von uns kann sich über die Vorfälle selbst ein Urteil bilden.“ Es tue dem Amt nicht gut, wenn sich viele Politiker öffentlich mit Bewertungen beteiligten. Auf die Frage, ob Wulff auch Ende Jänner noch Bundespräsident sein werde, sagte Hasselfeldt: „Ich gehe davon aus.“
FDP: Nicht die Größe für einen Bundespräsidenten
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Holger Zastrow forderte Wulff zur Aufklärung auf. Die Vorgänge machten ihm auch Angst vor den bevorstehenden Diskussionen, sagte Zastrow im MDR. Wulff habe zwar Respekt verdient. „Aber er ist auch in der Pflicht, das aufzuklären.“ Er erwarte noch in dieser Woche eine Erklärung, sagte Zastrow. „Wenn es so sein sollte, dass er als Bundespräsident persönlich zum Hörer greift, einen Chefredakteur anruft, auf die Mailbox spricht, dann ist das nicht die Größe, die ich von einem Bundespräsidenten erwarte“, bemerkte der FDP-Politiker.
Parteifreunde äußern sich negativ
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende fügte hinzu, die Vorwürfe gegen das Staatsoberhaupt seien nicht geeignet, von einem Gericht entschieden zu werden, sondern „es ist ja nur menschlich komisch, dass er zu solchen Mitteln greift“. Aus der FDP kamen auch weitere klare Rücktrittsforderungen. Wulff habe sich „endgültig für das Amt diskreditiert“, so FDP-Bundestagsabgeordneter Erwin Lotter.
In der niedersächsischen CDU wurde Kritik an Wulff laut. „Viele Parteifreunde haben bei mir angerufen. Alle äußerten sich negativ zu Wulffs Verhalten“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion, Karl-Heinz Klare, der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. „Die Leute wollten totale Aufklärung, sonst wird das Amt des Bundespräsidenten beschädigt.“
SPD stellt Wulff Rute ins Fenster
Die SPD ging weiter auf Distanz zum Staatsoberhaupt. Ein Präsident sollte nicht versuchen, eine kritische Berichterstattung zu unterbinden, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hubertus Heil. „Die Salamitaktik muss ein Ende haben.“ SPD-Präsidiumsmitglied Ralf Stegner warnte im „Handelsblatt“, Wulff habe nicht mehr viel Zeit, um Klarheit zu schaffen.
„Die politische Schonfrist geht zu Ende“, erklärte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann am Dienstag in Berlin. „Bundespräsident Wulff hatte drei Wochen Zeit, die Vorwürfe zu entkräften. Das ist ihm nicht gelungen.“ Die Wahl zum Bundespräsidenten sei keine Generalamnestie für vorangegangene Verstöße gegen Gesetze und kein Freibrief für weiteres Handeln, so Oppermann. Solange unklar sei, ob Wulff bei der Finanzierung seines Privathauses oder durch kostenlose Urlaubsaufenthalte Belohnungen oder Geschenke angenommen habe, „kann er sein Amt nicht mehr unbefangen ausüben“, so der SPD-Politiker.
Grüne fordern Merkel-Stellungnahme
Grünen-Fraktionsvize Fritz Kuhn sagte im Deutschlandfunk, der Bundespräsident habe ein „eigentümliches Verständnis von Pressefreiheit“. In der Summe der Vorgänge um den Privatkredit und die Berichterstattung komme er persönlich zu der Überzeugung, dass Wulff „den Anforderungen des Amtes nicht gewachsen ist“, sagte Kuhn. Seine Glaubwürdigkeit sei schwer beschädigt.
Wulff müsse sich „die Frage stellen, ob er dies der Bundesrepublik Deutschland weiter antun will, in der schweren Situation in der wir sind“, sagte Kuhn weiter. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse „aus der Deckung herauskommen“, schließlich habe sie Wulff als Kandidaten ausgesucht.
Journalistenverbände rügen Wulff
Während das Bundespräsidialamt in Berlin zu den Vorwürfen bisher schwieg, rügten Journalistenvereinigungen Wulff. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) wandte sich in scharfer Form gegen Wulffs Vorgehen. Der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken erklärte: „Prominente müssen sich kritische Berichterstattung als Teil der Meinungsfreiheit gefallen lassen.“ Wulff habe in dieser Hinsicht auch eine Vorbildfunktion. Ähnlich äußerten sich die Journalisten-Union und der Deutsche Presserat.
Der Politikwissenschaftler Peter Lösche bezeichnete in der Dienstag-Ausgabe der „Ruhr Nachrichten“ Wulffs Intervention bei der „Bild“ als „völlig irrational“ und als „Kurzschlussreaktion“. Wulff sei damit „aus der Rolle des Staatsoberhaupts herausgefallen“. Der Bundespräsident sei „eigentlich am Ende“.
Weiterer Fall von Intervention bekanntgeworden
Unterdessen gibt es neue Enthüllungen. Wulff soll schon im Sommer dieses Jahres in einem anderen Fall versucht haben, per Telefonanruf einen ihm unliebsamen Artikel zu verhindern. Die „Welt am Sonntag“ plante damals angeblich einen Bericht über Wulffs Familiengeschichte. Der Bundespräsident habe telefonisch auch bei der Verlagsführung interveniert, einer der Autoren sei zum Gespräch ins Schloss Bellevue gebeten worden, berichtete „Welt Online“ am Dienstag. Dennoch sei der Bericht erschienen.
Um welche Berichterstattung es damals genau ging, schreibt „Welt Online“ nicht. Ende Juni erschien in der „Welt am Sonntag“ ein Stück über Wulffs Halbschwester.
Affäre um Privatkredit
Zuvor waren neue Vorwürfe gegen Wulff in der Affäre um einen Privatkredit aus seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident bekanntgeworden. Die „Bild“-Zeitung bestätigte Presseberichte, Wulff habe in einem Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann versucht, einen Artikel über den Kredit zu verhindern und dem verantwortlichen Redakteur mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht.
Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft nun eine Anzeige gegen Wulff wegen des Verdachts der Nötigung im Zusammenhang mit seinem Mailbox-Anruf bei Diekmann. „Wir prüfen, ob ein Anfangsverdacht vorliegt“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, am Dienstag
Auslöser der gesamten Affäre ist ein zinsgünstiger Kredit über 500.000 Euro, den die Frau eines befreundeten Unternehmers Wulff 2008 gewährt hatte. Im niedersächsischen Landtag verneinte der damalige Ministerpräsident im Februar 2010 die Frage, ob er Geschäftsbeziehungen zu dem Unternehmer Egon Geerkens habe. Vor knapp zwei Wochen räumte Wulff dann erstmals ein, es sei ein Fehler gewesen, damals dem Landtag den Kredit der Unternehmergattin verschwiegen zu haben.
Links: