Schluchzende Massen in Pjöngjang
Die Menschen in Nordkorea haben mit einer öffentlich inszenierten Beisetzungsfeier am Mittwoch Abschied vom langjährigen Machthaber Kim Jong Il genommen. Das Staatsfernsehen zeigte eine Trauerprozession durch die Hauptstadt Pjöngjang.
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Am Straßenrand standen dicht gedrängt Soldaten mit gesenkten Häuptern sowie Menschen, die demonstrativ ihre Trauer zeigten. Eine Limousine fuhr ein überdimensionales Bild des vor knapp zwei Wochen verstorbenen Staatschefs durch die verschneiten Straßen.
Es folgte der Leichenwagen mit dem Sarg, der vom Sohn und Nachfolger des Diktators, Kim Jong Un, sowie dessen Onkel Jang Song Thaek und dem Stabschef der Armee, Ri Yong Ho, begleitet wurde. Ihre herausragende Stellung bei der Zeremonie lässt auch auf die künftigen Machtverhältnisse schließen.
„Vater, Vater“
Fernsehbilder zeigten schluchzende Bürger, die von Tränen geschüttelt „Vater, Vater“ rufen, als der von Armeefahrzeugen begleitete Trauerzug an ihnen vorbeifährt. „Wenn ich den weißen Schnee fallen sehe, muss ich an die Errungenschaften des Generals denken, und das treibt mir die Tränen in die Augen“, sagte eine Soldatin dem nordkoreanischen Fernsehen.

APA/EPA/YNA, Korean Central TV Broadcasting Station
Ein Land trauert um seinen Diktator
Zahlreiche Trauernde hätten das Bewusstsein verloren, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur KCNA. „Ich verlor das Bewusstsein, als ich hier trauerte. Ich vermisse Führer Kim Jong Il sehr“, wurde die 86-jährige An Ri Ho zitiert.
Echte Trauer oder Inszenierung?
Im Westen reagierte man schon in den vergangenen Tagen auf solche Bilder und Berichte irritiert. Viele fragen sich angesichts der strikten Reisebeschränkungen, des täglichen Existenzkampfs und der allgemein schlechten Lebensbedingungen im Land, für die Kim Jong Il mitverantwortlich war: Ist das tief empfundene Trauer, oder ist sie inszeniert?
Beobachter in Südkorea sagen, dass es sich um ein vielschichtiges Phänomen handle. Man dürfe es nicht mit westlichen Maßstäben sehen. Auch im modernen Südkorea sei das demonstrative Wehklagen als Teil der konfuzianischen Tradition nicht unbekannt. Viele Nordkoreaner sind zudem nach dem Tod Kim Jong Ils - des erst zweiten Machthabers in der Geschichte der Volksrepublik - verunsichert, glauben Experten.
„Vom Himmel gesandter Führer“
Sein jüngster Sohn und Nachfolger Kim Jong Un ist nicht nur unerfahren, sondern auch noch weitgehend unbekannt. In den Medien wird sein Leben schon wie das seiner Vorgänger weitgehend verklärt. So sei er der „vom Himmel gesandte neue Führer“. Kim Tae Jin, der mehr als vier Jahre in einem stalinistischen Straflager verbracht hatte, bevor ihm die Flucht nach Südkorea gelang, zeigte sich überzeugt, dass die meisten Menschen trauern würden, weil sie überzeugt seien, dass sie das tun müssten.
Wie 1994
Die Feierlichkeiten glichen, wie zuvor in Südkorea erwartet worden war, in der Gestaltung der Beisetzung von Kim Jong Ils Vater und „ewigen Präsidenten“ Kim Il Sung im Juli 1994. Auch dessen Sarg wurde damals in einer Prozession durch Pjöngjang gefahren. Die Beisetzungsfeierlichkeiten hatten im Kumsusan-Mausoleum begonnen, wo Kim Jong Il nach seinem Tod in einem Glassarg aufgebahrt worden war.

AP
Der Personenkult wird auch nach dem Tod von Kim Jong Il fortgesetzt
Von dem Palast setzte sich der Trauerkorso zunächst langsam in Richtung Innenstadt in Bewegung. An der Spitze fuhr ein Wagen mit einem Riesenporträt des lächelnden Kim. Soldaten und Zivilisten hätten an der 40 Kilometer langen Strecke des Trauerkorsos gestanden, berichtete KCNA. Das Auto mit dem Sarg kehrte den Berichten zufolge nach drei Stunden wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Letzte Ruhe im Glassarg
Die staatlich ausgerufene Trauerzeit soll am Donnerstag mit einer landesweiten Gedenkfeier zu Ende gehen. Zur Mittagszeit sind die Nordkoreaner aufgerufen, eine Schweigeminute einzulegen. Es wurde in Südkorea vermutet, dass der einbalsamierte Leichnam Kim Jong Ils ebenfalls im Mausoleum beigesetzt wird, wo auch sein toter Vater in einem Glassarg ausgestellt wird.
Zu den Mythen, die den langjährigen Herrscher des weitgehend von der Außenwelt abgeschotteten Landes umranken, zählte seine angebliche Fähigkeit, das Wetter zu beeinflussen. In den staatlichen Medien war im Zusammenhang mit seinem Tod von ungewöhnlicher Kälte die Rede gewesen.
Offene Fragen nach Machtwechsel
Nordkorea hatte den Tod Kim Jong Ils am Montag vergangener Woche bekanntgegeben. Demnach war der 69-Jährige zwei Tage zuvor gestorben. Sein plötzlicher Tod hatte in Ostasien zunächst für erhebliche Unruhe gesorgt. Mit dem Machtwechsel in Pjöngjang verbindet sich die Frage, wie sich das Land künftig im Streit über seine Atompolitik verhält.
Einem US-Experten zufolge kann Nordkorea wahrscheinlich früher als bisher erwartet eine Atomrakete einsatzfähig machen. Es werde wahrscheinlich nur noch ein bis zwei Jahre dauern, bis der kommunistische Staat einen nuklearen Raketensprengkopf einsatzbereit habe, schreibt der ehemalige Topexperte eines überparteilichen Forschungsdienstes des US-Kongresses, Larry Niksch, in einem jüngst veröffentlichten Papier. Bisher galt eine Zeitspanne von fünf Jahren als realistisch.
Nicht mehr Alleinherrscher
Der nicht einmal 30-jährige Kim Jong Un ist der dritte Machthaber aus der Familie. Bereits vor der Beisetzungsfeier hatten sich Hinweise auf eine neue Machtstruktur verdichtet: Während Kim Jong Il das völlig verarmte Land als starker Mann regiert hatte, soll sein Sohn nicht als Autokrat, sondern gemeinsam mit seinem Onkel Jang und dem Militär herrschen, wie die Agentur Reuters von einer Person mit engen Verbindungen zu den Regierungen Nordkoreas und Chinas erfahren hatte.
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