Themenüberblick

Opposition wenig optimistisch

Die von Ministerpräsident Wladimir Putin geführte Regierungspartei Geeintes Russland war mit offiziell fast 50 Prozent der Stimmen zum Sieger der Parlamentswahl vom 4. Dezember ernannt worden. Dieses Ergebnis sei gefälscht, ist ein großer Teil der Bevölkerung überzeugt. Ihrem Unmut darüber macht sie seit Wochen Luft. Für Samstag sind wieder landesweit Massendemonstrationen geplant.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

50.000 Menschen sind allein in Moskau für eine Kundgebung zugelassen. Einer Umfrage zufolge könnten Hunderttausende Menschen teilnehmen. Die Tageszeitung „Wedomisti“ zitierte eine Umfrage des Instituts Comcon, das mit bis zu einer halben Million Menschen bei der Demonstration in Moskau rechnet. Rund 200.000 Teilnehmer könnten daher realistisch sein.

Ex-Sowjetführer Michail Gorbatschow und der erst vor wenigen Tagen aus der Haft entlassene Kreml-kritische Blogger Alexej Nawalni sind möglicherweise auch unter den Demonstranten. Viele Prominente, Intellektuelle und Oppositionelle wollten sich an den Protesten beteiligen. Schon Mitte Dezember waren allein in Moskau zwischen 80.000 und 100.000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen das Wahlergebnis zu demonstrieren.

„Freiheitsgen“ lebt noch

Der Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow sieht in den Massenprotesten gegen die Machthaber eine Chance für einen neuen Aufbruch. Das „Freiheitsgen“ lebe offenbar noch im russischen Menschen, sagte er gegenüber der Kreml-kritischen Zeitung „Nowaja Gazeta“ (Freitag-Ausgabe).

Die für Samstag geplanten Demonstrationen seien Zeichen für ernsthafte Veränderungen in der Gesellschaft. Das bei der Wahl bestimmte Parlament habe kein Recht, in den nächsten fünf Jahren die Politik in Russland zu bestimmen, monierte Gorbatschow und forderte Neuwahlen.

Weniger optimistisch gibt sich der Chef der liberalen Oppositionspartei Jabloko, Sergej Mitrochin. Seine Partei war bei der Wahl an der Sieben-Prozent-Hürde gescheitert. Die Ansinnen nach Neuwahlen, die Bestrafung der Wahlfälscher, Absetzung des Wahlleiters Wladimir Tschurow sowie die Freilassung von politischen Gefangenen seien „moralische Forderungen“, deren Umsetzung „wenig wahrscheinlich“ sei. Mitrochin: „Keine davon ist realisierbar.“

Medwedew warnt vor „Extremisten“

Der russische Staatschef Dimitri Medwedew hatte aufgrund der nicht enden wollenden Proteste erste Reformen angekündigt. Denn auch bisher politisch passive Menschen machen mittlerweile ihrem Unmut lautstark Luft. Kritiker bezeichneten die Zugeständnisse als längst überfällig. Zudem wurde moniert, dass die Machthaber keine Fehler einräumten und weiterhin an dem umstrittenen Wahlergebnis festhielten.

Angesichts der erneuten Massenproteste warnte er aber vor „Extremisten“, die versuchten, die Bevölkerung durch Großkundgebungen auf ihre Seite zu ziehen: „Russland braucht Demokratie, und kein Chaos.“ „Manipulationsversuche“ von außen seien „inakzeptabel“. Dennoch habe die Bevölkerung das Recht, ihre Meinung kundzutun.

Wenige Stimmen für ungültig erklärt

Im Zuge der massiven Betrugsvorwürfe hatte die zentrale Wahlkommission erst vor wenigen Tagen einen geringen Teil der Stimmen für ungültig erklärt - in 21 von 95.000 Wahllokalen. Insgesamt seien fast 1.700 Anträge auf Annullierung der Wahl eingegangen, so der Kommissionsvizepräsident Leonid Iwlew.

Die auf Wahlbeobachtung spezialisierte Nichtregierungsorganisation Golos nannte es „unsinnig“, dass sich die Wahlkommission zum Wahlergebnis äußere. Schließlich habe sie die Wahlfälschungen angeordnet. „Die Zusammensetzung und Leitung der Wahlkommission muss geändert werden, andernfalls wird sich gar nichts ändern“, sagte die Golos-Vorsitzende Lilija Schibanowa. Noch vor wenigen Tagen hatte der Sprecher von Regierungschef Putin erklärt, Wahlbetrug habe es in nur ganz wenigen, für den Wahlausgang nicht relevanten Fällen gegeben.

Überraschende Unterstützung von Kreml-Beratern

Unerwartete Unterstützung erhielt die Opposition von Kreml-Beratern: Der Menschenrechtsrat empfahl Medwedew, Neuwahlen anzusetzen und den Leiter der Wahlkommission zu entlassen. Zahlreiche Berichte über vorausgefüllte Stimmzettel in den Wahlurnen, umgeschriebene Protokolle von Wahlergebnissen sowie Berichte über den unrechtmäßigen Ausschluss von Wahlbeobachtern und Journalisten aus Stimmbüros und andere Verstöße gegen das Wahlrecht hätten zu einem „massenhaften Misstrauen“ in das Ergebnis des Urnengangs geführt und das Parlament diskreditiert, teilte das Gremium mit. Es sollten neue Wahlgesetze erlassen werden, damit über Neuwahlen das Parlament neu besetzt werden könne.

Der Posten des Chefs der Wahlkommission sollte „unverzüglich“ von jemandem übernommen werden, der einen „einwandfreien Ruf“ genieße und über Respekt in der Zivilgesellschaft verfüge, empfahl das Beratergremium. Zugleich forderte der Menschenrechtsrat, alle anderen in die Betrugsvorwürfe verstrickten Verantwortlichen der regionalen Wahlkommissionen bis zu den Präsidentschaftswahlen im März von ihrer Aufgabe zu entbinden.

Links: