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„Wir nehmen dazu keine Stellung“

Welche Rolle haben die Geheimdienste gespielt? Diese Frage rückt in Deutschland immer mehr ins Zentrum der wiederaufgenommenen Ermittlungen zu den bisher unaufgeklärten „Döner-Morden“, die nun einem vergangene Woche aufgeflogenen Neonazi-Trio zur Last gelegt werden.

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Für Aufsehen sorgte zuletzt ein Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“, Dienstag-Ausgabe), wonach ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bei zumindest einem Mord direkt an Ort und Stelle gewesen sein soll. Der „hagere Mann mittleren Alters“ sei 2006 einer von insgesamt sechs Gästen eines Internetcafes in Kassel gewesen, in dem der 21-jährige Halit Yozat erschossen wurde.

Tote in Wohnmobil

Die Zwickauer Neonazi-Zelle flog unter spektakulären Umständen auf. Anfang November wurden zwei Mitglieder der Zelle, Uwe B. und Uwe M., tot in einem Wohnmobil gefunden. Von der mutmaßlichen Komplizin Beate Z. wurde jenes Haus in Brand gesteckt, in dem die drei zuletzt gewohnt haben sollen. Die Frau befindet sich seitdem in Haft. Von den Ermittlern wurden im Anschluss unter anderem jene Waffen gefunden, mit denen eine Polizistin in Heilbronn und auch die neun „Döner-Morde“ begangen worden sein sollen.

Im Zuge der Ermittlungen stellte sich den Angaben zufolge heraus, dass jener Mann - der sich im Gegensatz zu den fünf anderen Gästen nicht bei der Polizei meldete - für den Geheimdienst tätig war. Der im Anschluss vom Dienst suspendierte Mann sei zudem „vom Zeugen zum Verdächtigen“ geworden - samt Hausdurchsuchung, bei der neben Waffen auch ein Buch über Serienmorde gefunden worden sei.

Bei sechs Morden in der Nähe?

Es folgten „auch Nachforschungen über mögliche Zusammenhänge zu anderen ‚Döner-Morden‘, zu denen die Ermittler die Tat schließlich rechneten - aber für mindestens eine Tat hatte der Verdächtige ein Alibi“, so die „FAZ“. Ein hochrangiger Ermittler sprach gegenüber der „Bild“-Zeitung in diesem Zusammenhang von einer „unfassbaren“ Vorgangsweise. Entlastend ausgelegt worden sei für den Mann demnach, dass er „zum Tatzeitpunkt nur in sechs der neun Morde in der Stadt war“. Als „auffällig“ wertete die Zeitung auch, dass es nach dem Auffliegen des Verfassungsschützers keine „Döner-Morde“ mehr gegeben habe.

Verfahren 2007 eingestellt

Der zuständige Verfassungsschutz in Hessen schweigt sich zur Rolle eines seiner Beamten in der Neonazi-Mordserie aus. „Wir nehmen dazu keine Stellung“, sagte ein Sprecher am Dienstag zu den jüngsten Vorwürfen. Bestätigt wurde lediglich, dass die Staatsanwaltschaft Kassel zwar gegen den Mann ermittelt, aber das Verfahren im Jänner 2007 eingestellt hatte, weil sie dem Verdächtigen keinen Zusammenhang mit der Tat habe nachweisen können.

Nach bisherigen offiziellen Angaben hatte der Verfassungsschützer eine Minute vor dem tödlichen Schuss aus einer Waffe mit Schalldämpfer den Tatort verlassen. Diese Annahme kann laut „FAZ“ nun allerdings nicht mehr aufrechterhalten werden.

Hinweise auf Unterstützer mehren sich

Unterdessen mehren sich die Hinweise, wonach die für die Mordserie verantwortlich gemachte Neonazi-Terrorzelle zumindest eine Reihe von Unterstützern gehabt haben dürfte. Nach der Festnahme eines 38-Jährigen am Sonntag berichtete das ARD-Magazin „Fakt“ nun von einem weiteren mutmaßlichen Unterstützer. Der ins Visier der Behörden geratene, einschlägig vorbelastete Neonazi Matthias D. soll demnach jene Wohnung in Zwickau angemietet haben, in der die verdächtige und in Haft befindliche Beate Z. von Frühjahr 2001 bis Sommer 2008 unter falschem Namen lebte.

Zudem sei der 34-Jährige nach Angaben des Vermieters auch alleiniger Mieter jener Wohnung gewesen, in der Z. mit ihren mittlerweile toten Komplizen Uwe B. und Uwe M. zuletzt Unterschlupf fand.

37-Jähriger sitzt in U-Haft

Zudem wurde am Montag Haftbefehl gegen den inhaftierten Holger G. erlassen. Dieser sei dringend verdächtig, eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben, wie die deutsche Bundesanwaltschaft am Abend mitteilte. G. war am Sonntag in der Nähe von Hannover festgenommen worden und sitzt nun in Untersuchungshaft. Er soll die rechtsextremistische Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ seit dem Jahr 2007 unterstützt haben. Mit den anderen Mitgliedern der Gruppe sei er zudem seit Ende der 90er Jahre in Kontakt gestanden.

Zuvor war auch gegen Z. Haftbefehl erlassen worden. Z. wird verdächtigt, die NSU 1998 mit ihren verstorbenen Komplizen B. und M. gegründet zu haben. Die Gruppe könnte nicht nur für die „Döner-Morde“ der Jahre 2000 bis 2006 verantwortlich sein, bei denen in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Kassel insgesamt neun Menschen getötet wurden. Neben den tödlichen Schüssen auf eine Polizistin im Jahr 2007 in Heilbronn soll die Zelle zumindest für einen weiteren Anschlag in Köln verantwortlich sein.

Bricht Inhaftierte Schweigen?

Nach Informationen der „Stuttgarter Nachrichten“ könnte bereits am Mittwoch neue Aufschlüsse in der Causa geben. Der Zeitung zufolge hat die Inhaftierte Beate Z. eine umfassende Aussage angekündigt. „Sie will auspacken und berät sich deshalb mit ihrem Anwalt“, zitierte das Blatt einen Beamten aus Ermittlerkreisen.

Staatsanwalt rollt Fall wieder auf

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft will zudem die Ermittlungen zum Verschwinden der Jenaer Bombenbastler 1998 noch einmal überprüfen. Nach öffentlichen Vorwürfen gegen die damals federführende Staatsanwaltschaft Gera werde Generalstaatsanwalt Hartmut Raibel diese Aufgabe übernehmen, teilte die Behörde am Dienstag mit.

Im Jänner 1998 hatte eine Razzia bei den drei Jenaer Neonazis unter anderem vier funktionsfähige Rohrbomben mit dem militärischen Sprengstoff TNT zutage gefördert. Kurz darauf tauchten die drei Verdächtigen unter. Auch Zielfahnder des zuständigen Landeskriminalamtes konnten sie nicht aufspüren, so dass die Staatsanwaltschaft Gera die Ermittlungen 2003 wegen Verjährung einstellte.

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