Themenüberblick

Schläger mit Lizenz zum Töten

Seit Monaten lässt der syrische Präsident Baschar al-Assad jeden, der gegen ihn demonstriert, brutal niederschlagen, verhaften oder töten. An vorderster Front im Krieg gegen die eigene Bevölkerung steht nicht nur die Armee, sondern die Schabiha - Schlägertrupps, die vom Regime angeheuert wurden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Anders als in Ägypten, wo es während der Revolution ebenfalls Berichte über Schlägertrupps gab, werden die Schabiha vom Regime jedoch in Massen und ganz systematisch eingesetzt, um Proteste möglichst noch im Keim zu ersticken. Laut Informationen des Österreich-Koordinationsrats zur Unterstützung des syrischen Aufstandes (ÖKUSA) gehen die Trupps äußerst brutal vor: Wenn sich eine größere Demonstration bildet, tauchen binnen Minuten mehr als 500 Männer mit Schlagstöcken, Messern, Gewehren und Elektroschockgeräten auf und greifen die Demonstranten frontal an.

Menschen auf der Flucht in Syrien

Reuters/ReutersTV

Demonstranten flüchten vor den Schabiha

Die Schlägertrupps hätten auch Schießbefehl und den „Freibrief“, eine gewisse Anzahl an Demonstranten - 20 bis 40 pro Tag - zu töten. Das berichtete ein ÖKUSA-Aktivist unter Berufung auf syrische Quellen im Interview mit ORF.at. Aus Rücksicht auf seine in Syrien lebenden Verwandten wird sein Name nicht genannt. Ohne diese Prügeltruppen „könnten die Demonstranten nicht zurückgehalten werden“, so der Aktivist. Auch die Massenverhaftungen werden von den Schabiha durchgeführt: „Sie haben die Aufgabe, auf die Demonstranten zuzulaufen und zu verhaften, wessen sie habhaft werden können“, so der in Wien lebende Aktivist.

30 Euro pro Tag für Schläger

Ein Mitglied der Schabiha bekommt laut ÖKUSA pro Tag 2.000 Syrische Pfund (30 Euro). An Freitagen, an denen traditionell die meisten Proteste stattfinden, gibt es das Doppelte. Zum Vergleich: ein durchschnittliches Gehalt beträgt 8.000 Syrische Pfund.

Als Straßenverkäufer getarnt

Besonders schlimm ist demnach die Lage in Aleppo: Das wichtigste Industriezentrum des Landes ist für das Regime von zentraler Bedeutung - verliert es hier die Kontrolle, würde das Regime eine seiner tragenden Säulen - die Geschäftsleute und Industriellen - verlieren. Obwohl dort die Arbeitslosigkeit vergleichsweise niedrig und der Lohn hoch sei, gebe es trotzdem Proteste gegen das Regime. Auf wichtigen Straßen und Plätzen seien als Straßenverkäufer getarnte Schabiha im Einsatz, die ihre Waffen unter den Waren versteckten.

Sobald eine Demonstration beginne, würden sie auf die Menschen einschlagen und -stechen. „Wenn 50 sich versammeln, sind 30 von ihnen binnen weniger Minuten auf dem Boden.“ Daher habe es in Aleppo bisher auch keine Großdemos gegeben. Dazu komme, dass viele der Industriellen finanziellen Schaden durch den Aufstand befürchten. Die Industriellen würden daher die Schlägerkommandos finanzieren. Zudem verliere jeder, der demonstriere, sofort seinen Arbeitsplatz.

„Fast jeder Platz in Damaskus besetzt“

Die Aussagen des Aktivisten werden von einem Bericht der US-Journalistin Wendell Steavenson bestätigt. Diese hatte für den „New Yorker“ Ende Augst aus Damaskus berichtet und in der Hauptstadt genau dasselbe Phänomen festgestellt. Nachdem sie von Gegnern des Regimes erst einmal auf die als Straßenhändler verkleideten Schläger hingewiesen worden sei, habe sie erkannt, dass fast jeder Platz in Damaskus auf diese Art besetzt war.

Als sie gemeinsam mit einer Frau durch die Stadt fuhr, habe sie ihr eine Stelle gezeigt, an der sie versucht hatte, am Begräbnis eines getöteten „Märtyrers“, wie die vom Regime getöteten Menschen genannt werden, teilzunehmen. Doch sie sei festgehalten worden. Und sie habe auch auf ein Gebäude in eine Sackgasse daneben gezeigt. Dort im Keller würden Verhaftete festgehalten.

Abschrecken mit Schockvideos

Das Regime kämpft auch mit psychologischen Mitteln: Zuletzt seien mehrere Videos brutaler Gewalt im Internet veröffentlicht worden. Darin ist zu sehen, wie Demonstranten blutig geschlagen und ermordet werden. Das geschehe absichtlich, „um die Jugend abzuschrecken“, so der Aktivist gegenüber ORF.at.

Schlägertrupps aus Libanon und Irak

Die meisten dieser Schlägertruppen kommen laut ÖKUSA aus den küstennahen Gebieten, zusehends seien aber auch Schabiha aus dem Libanon und dem Irak im Dienste des Regimes in Syrien aktiv. Die libanesischen Gangs stehen demnach der radikal-schiitischen Hisbollah nahe, die vom Iran finanziert und unterstützt wird.

Aus dem südlichen Irak kämen immer mehr Menschen, weil das Regime zuletzt nicht nur die Visumspflicht, sondern auch sämtliche Grenzkontrollen aufgehoben habe. Mittlerweile seien daher auch Truppen des radikalen schiitischen Predigers Moktada al-Sadr in Syrien aktiv. Die Zahl sei noch nicht hoch, steige aber rasant an, so der Aktivist. So wie sich laut Angaben des Aktivisten die Iraner jetzt bereits massiv in die Bekämpfung der Revolution einmischen. Es gebe iranische Teams, die den Kampf gegen die Aufständischen kontrollieren und beaufsichtigen.

Regime lernt vom Iran

Das System ist aus vielen autokratisch regierten arabischen Ländern bekannt - in Ägypten etwa unter dem Namen Baltaja (wörtl.: Axtträger). Der systematische und in Massen erfolgende Einsatz von Schlägertrupps dagegen ist vor allem aus dem Iran bekannt. Das dürfte kaum ein Zufall sein, denn es ist die Islamische Republik, von der das syrische Regime die stärkste Unterstützung erhält.

Seit Jahren fließt nicht nur viel Geld von Teheran in Richtung Damaskus und werden nicht nur Waffen und möglicherweise Nuklearwissen geliefert - es befinden sich auch Ausbildner und Strategen der iranischen Revolutionsgarden im Land, die Assads Sicherheitsdienste beraten.

Der Ausdruck der Schabiha - übersetzt bedeutet es in etwa: Geister - tauchte bereits kurz nach Ausbruch des Aufstands auf. Ursprünglich bezeichnete der Ausdruck bewaffnete Gangs im syrischen Küstengebiet, die von Mitgliedern der Assad-Familie geleitet wurden und Leute aus der alawitischen Community rekrutierten. Diese Gangs organisierten illegale Tätigkeiten wie Raub oder Waffen- und Drogenschmuggel, heißt es im Blog Syriarevolts.

Mit Beginn der Aufstände wurden sie dazu eingesetzt, die Demonstranten niederzuprügeln. Der Begriff bezeichnet seither in Syrien alle Gangs und (in Zivil gekleidete) Trupps von Sicherheitsdiensten, die gewaltsam gegen Demonstranten vorgehen.

Guido Tiefenthaler, ORF.at

Links: