Geräte, die aufs Wort gehorchen
Die Interaktion mit technischen Geräten durch Sprache beschränkt sich bei vielen Nutzern bisher wohl auf Schimpfwörter. In Zukunft könnten aber Handys, Fernseher und Waschmaschinen sprichwörtlich gehorchen.
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Mit der Vorstellung des „intelligenten Assistenten“ Siri für das iPhone 4S hat Apple die Sprachsteuerung bei technischen Geräten wiederbelebt. Zwar ist die Sprachsteuerung keine neue Erfindung. Es gab und gibt dieses Feature auch auf anderen Handysystemen wie Windows Phone, Symbian, BlackBerry und Android. Siri legt die Messlatte allerdings besonders hoch.
Im Dialog mit dem Nutzer
Der Nutzer soll mit Siri einen echten Dialog wie mit einem Menschen führen können - der Humor ist dabei programmiert. Unzählige Websites im Netz listen mögliche Fragen und Antworten Siris akribisch auf, etwa „Ich tue mein Bestes“ als Replik auf die Aussage „Du bist verrückt“. Abseits dieses Beweises, dass Künstliche Intelligenz nicht trocken sein muss, sind die Einsatzmöglichkeiten für Siri derzeit - noch - begrenzt.
„Die Technologie steckt in den Kinderschuhen, ich sehe aber großes Potenzial“, sagt Daniele Marano von der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen in Österreich gegenüber ORF.at. Siri sei zwar noch in der offiziellen Testphase und zum Teil Spielerei, aber bereits jetzt ein einfach zu bedienendes System - nicht nur für sehschwache Menschen wie ihn, sondern auch für Personen mit motorischen Einschränkungen. „In Zukunft könnten man damit Touchscreens ganz ohne Hände bedienen“, skizziert Marano.
„Das Ding denkt zu viel“
Von dieser Möglichkeit ist Siri derzeit noch weit entfernt, für die Aktivierung muss etwa die Home-Taste gedrückt werden. Die möglichen Funktionen sind auf iPhone-Grundfunktionen wie Anrufe, SMS zu diktieren und schicken, die Websuche via Safari und die Bedienung des Kalenders inklusive Weckfunktion beschränkt. Vieles davon funktioniert einwandfrei, fehlerfrei arbeitet Siri allerdings nicht, und bei aller Jovialität muss sich der Nutzer immer wieder an Siri anpassen und klar und deutlich reden.
Siri ist auch nicht sehr flexibel: Ein Anruf damit kann erst beim tatsächlichen Wählvorgang abgebrochen werden und das nur per Druck aufs Display. Siri fragt nicht nach, ob die Nummer korrekt ist, sondern liest sie vor dem Wählen nur vor. Das ist für die blinde Eva Papst, die sich seit Jahren mit Barrierefreiheit beschäftigt, der größte Kritikpunkt: „Das Ding denkt zu viel.“
Komfort vs. Kontrollverlust
Was auf den ersten Blick komfortabel scheint, ist für Papst ein Kontrollverlust: „Siri interpretiert zu viel, mir wäre lieber, es würde öfter nachfragen.“ Für sie bleibe zu viel Unsicherheit, ob das Gerät richtig agiere. „Ich hätte gerne eine Befehls-Siri und eine Diktat-Siri“, sagt Papst und bringt das Beispiel eines Blindenhunds, der ein bestimmtes Set an Befehlen gelernt hat, auf die sich der Nutzer verlassen kann. Könnte Siri selber Kontakte erstellen, wäre das „Chaos pur“, so Papst.
Papst und Marano vermissen eine Reihe von nicht nur für sie nützlichen Funktionen wie die Möglichkeit, Bluetooth und den Flugmodus direkt ein- und ausschalten zu können, und die in den USA bereits verfügbare Funktion, nach dem eigenen Standort fragen zu können - „für blinde Menschen wäre das sensationell“, sagt Marano. Er findet die Benutzerfreundlichkeit von Siri gut, seine persönliche Fehlerquote sei trotz seines Akzents gering. Allerdings müsse man Siri Zeit lassen, um das Gehörte zu verarbeiten und über das Internet an die Apple-Server zu schicken. Apple verspricht auch, dass das System laufend dazulernt und sich auf den Nutzer einstellt.
Interaktion mit Geräten wird „sexy“
Marano und Papst können sich vorstellen, dass die Bedienung via Sprache auch auf Haushaltsgeräten und Fernsehern einzieht. An einem solchen TV-Gerät soll Apple bereits arbeiten, Microsofts Spielekonsole Xbox kann via Kinect ebenfalls mit Sprache gesteuert werden. Für Marano macht Siri die sprachliche Interaktion mit Geräten aber „sexy“ - andere Sprachsteuerungssysteme seien zwar nützlich, aber nicht so attraktiv verpackt.
Vielleicht bewirke Siri, dass sich Sprachsteuerungen auf dem Markt nun durchsetzt, meint Marano. Mit Facetime schaffte es selbst Apple nicht, der Videotelefonie nachhaltig zum Durchbruch zu verhelfen. Dafür hat der iPod den Walkman als Synonym für Musikplayer abgelöst, und das iPhone samt seinem Touchscreen wurde zum De-facto-Standard in der Mobilfunkindustrie.
Betatester liefern reale Nutzungsdaten
Papst warnt davor, andere Interaktionsmöglichkeiten zu vergessen: „Wir sollten möglichst alle Sinne nutzen.“ Sprache sei zwar die natürlichste Möglichkeit zu kommunizieren, „aber auch die gedankenloseste“. Sie habe Sorge, dass sich der Nutzer zu sehr auf die Spracheingabe verlasse, er müsse wählen können. Bei aller Kritik gesteht Papst aber auch: „Siri macht schon Spaß“, es sei einfach und spielerisch zu bedienen. Funktionen wie das Weckereinstellen und die Suchfunktion im Web seien praktisch.
Papst ist seit über einem Jahr aktive iPhone-Nutzerin und bedient den Touchscreen mit Hilfe der integrierten Voice-over-Funktion schneller als manch Sehender. Sie würde sich wegen der besseren Kamera zum Scannen und wegen der höheren Geschwindigkeit des Geräts ein iPhone 4S kaufen, nur wegen Siri aber nicht. Das System habe Potenzial, man müsse aber abwarten, wohin es sich entwickle. Sie habe Angst, dass „es in die falsche Richtung geht und nur lustig bleibt“. In welche Richtung es gehe, wisse auch Apple nicht, meint Papst, „sie haben im Moment nur eine Menge Betanutzer“ - und deren Daten werde Apple genau analysieren.
Nadja Igler, ORF.at
Links:
- Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen(www.hilfsgemeinschaft.at/)
- Siri