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In den Armen der Familie

Das längste Isolationsexperiment in der Geschichte der Raumfahrt ist beendet: Nach 520 Tagen in einem nachgebauten Raumschiff sind die sechs Teilnehmer eines simulierten Fluges zum Mars wieder in Freiheit. Die drei Russen, ein Franzose, ein Italiener und ein Chinese stiegen Anfang November in Moskau aus dem röhrenförmigen Forschungsmodul.

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Am 4. November 20011 um 11.00 Uhr MEZ öffneten Mitarbeiter des Instituts für Biomedizinische Probleme (IMBP) eine versiegelte Luke, um das Experiment „Mars500“ planmäßig zu beenden. Die Crew habe zuvor die letzten Experimente beendet und ihre Sachen gepackt, so ein Sprecher des russischen Instituts für biomedizinische Probleme nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax. Wissenschaftler aus Russland und Deutschland sowie Familienangehörige nahmen die sechs blass wirkenden Männer mit heftigem Applaus in Empfang.

„Hilfe, neue Träume zu verwirklichen“

Militärisch knapp vermeldete Alexej Sitjow als Leiter des Experiments, dass die Mission beendet, die Crew bei guter Gesundheit und zu weiteren Tests bereit sei. „Nach 520 Tagen sind wir wieder zurück“, sagte sein Kollege Wang Yue, ein Astronautenausbildner aus China.

Wissenschafter in einem Aufenthaltsraum während einer Simulation

ESA

Das „Raumschiff“ wurde schlicht gehalten

Deutlich bewegter zeigte sich der Italiener Diego Urbina, als er mit vor Freude geballter Faust die Kapsel verließ: Er sei stolz, an dem Experiment teilgenommen zu haben, und hoffe, es werde der Menschheit eines Tages helfen, „neue Träume zu verwirklichen“. „Wir sind stolz, bewiesen zu haben, dass Menschen zum Mars fliegen können“, sagte der französische Astronaut Romain Charles. Zur Begrüßung gab es für jeden von ihnen eine rote Rose.

„Ganz besonderes Euphoriegefühl“

Wegen einer möglichen Ansteckungsgefahr präsentierten sich die Männer der Öffentlichkeit zunächst nur kurz. „Die sauerstoffreichere Atemluft hier draußen wird in den Köpfen der Crew ein ganz besonderes Euphoriegefühl auslösen“, hatte IMBP-Experte Alexander Suworow vor dem Ende des Experiments gesagt.

Die Teilnehmer simulierten seit dem 3. Juni 2010 genau 17 Monate lang einen mehr als 50 Millionen Kilometer weiten Flug zum Mars und zurück inklusive eines virtuellen Spaziergangs auf dem Roten Planeten. Auch Journalisten aus zahlreichen Ländern sowie Vertreter des beteiligten Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Europäischen Weltraumbehörde (ESA) waren anwesend. Die Wissenschaftler erforschten, inwieweit der monotone Alltag, das Zusammenleben auf engstem Raum und der Leistungsdruck Stress, Depressionen oder Spannungen bei einem Flug zum Roten Planeten auslösen können.

„Einsamkeit und große Monotonie“

„Die Simulation ist viel schwieriger als ein wirklicher Flug“, beschrieb Urbina die Stimmung in dem mehr als 180 Quadratmeter großen „Raumschiff“ noch während des Experiments. Im Gegensatz zu einem wirklichen Flug zum mehr als 50 Millionen Kilometer entfernten Planeten fehlten beim Experiment „Mars500“ zwar Schwerelosigkeit und kosmische Strahlung. „Stattdessen spürt man oft Einsamkeit und eine große Monotonie“, sagte der Italiener der Nachrichtenagentur dpa per Funk aus dem Modul.

Wissenschafter beobachten in einem Kontrollraum auf Bildschirmen eine Simulation

AP/Sergey Ponomarev

Das Geschehen wurde permanent überwacht

Mehr als 30 Kameras übertrugen das Geschehen im Container in einen nahen Kontrollraum. Nur das rund drei Quadratmeter große Zimmerchen jedes Teilnehmers war von den Kameras als Rückzugsort verschont. Der größte Gegner sei der Alltagstrott, so der 28-Jährige während des Experiments weiter. „Eine Frau an Bord wäre sicher gut. Man vermisst das, ganz ehrlich.“

Gesamtes Essen wurde mitgenommen

Wie bei einer echten Mission konnte die Crew mit Familie und Freunden nur noch von Zeit zu Zeit in Kontakt treten - richtige Gespräche waren nicht möglich. Denn die Kommunikation mit der „Bodenstation“ fand genauso wie im Weltraum mit wachsender Entfernung von der Erde zeitverzögert statt - im schlimmsten Fall bis zu 20 Minuten in eine Richtung. Um das Experiment relativ lebensecht zu machen, musste die „Mars500“-Crew ihr gesamtes Essen mitnehmen.

Erste Schritte auf dem „Mars“

Urbina konnte mit Smolejewski und dem Chinesen Wang im Februar den röhrenförmigen Container kurz verlassen. Sie absolvierten die ersten Schritte eines Menschen auf dem virtuellen Mars. Forscher hatten ein Stück des Roten Planeten nachgebaut. Alexej Sitjow und Suchrob Kamolow (beide Russland) sowie Romain Charles aus Frankreich mussten im „Mutterschiff“ auf ihre Kollegen warten. Die Astronauten mussten in den eineinhalb Jahren Dutzende Experimente absolvieren. Auch Pannen wurden inszeniert.

„Mischung aus Sauna und ausgebautem Dachstuhl“

Fast 12.500 Stunden in einem fensterlosen Container, „der aussieht wie eine Mischung aus finnischer Sauna und ausgebautem Dachstuhl der 1970er Jahre“, beschreibt die das DLR das Modul. „Mars500“ bringe „lebensrettende Erkenntnisse“, so Suworow. „Den Mars sehen und nicht sterben, darum wird es gehen bei einem wirklichen Flug zum Roten Planeten.“ „Ich bin sicher, dass dies ein kleiner, aber wichtiger Schritt auf dem Weg zum Mars war“, sagte Peter Gräf vom DLR. Handgreiflichkeiten wie bei früheren derartigen Experimenten gab es laut Angaben von Teilnehmern nicht.

Nach der „Landung“ mussten sich die Projektteilnehmer noch zahlreichen medizinischen Tests unterziehen. Jeder von ihnen ist durch das Experiment nach Informationen der russischen Nachrichtenagentur Interfax um drei Millionen Rubel (knapp 71.000 Euro) reicher.

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