Beamer statt Professor
Studieren in einem überlaufenen Studienfach hat in manchen Fällen viel mit einem Kinobesuch gemeinsam: An der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) müssen Studienanfänger etwa vor Betreten des Hörsaals ein Ticket vorweisen, an der Universität Wien werden aus Platzmangel Vorlesungen in angemieteten Kinosälen gehalten. Dass das für die Studierenden nicht ideal ist, gestehen selbst die Hochschulen ein.
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Überfüllte Hörsäle, lange Wartezeiten für Seminare und Massenabfertigung statt persönlicher Betreuung - die österreichischen Hochschulen kämpfen seit Jahren mit einem stetig wachsenden Studentenzustrom. Vor allem geisteswissenschaftliche Studienfächer sind oft hoffnungslos überfüllt. Um mit dem Andrang klarzukommen, ist von den Unis Kreativität gefragt.
Seit Oktober letzten Jahres etwa müssen sich Studienanfänger an der WU bei Besuch der Einführungslehrveranstaltungen mit einem „Lehrveranstaltungsticket“ ausweisen. Damit soll gesichert werden, dass all jene, die einen Platz für die vier Vorlesungen der Studieneingangsphase ergattert haben, auch wirklich einen Sitzplatz bekommen. Ordner kontrollieren dabei vor dem Hörsaal, ob man auch tatsächlich für diesen konkreten Vorlesungstermin angemeldet ist.
Der Hörsaal wird „künstlich größer gemacht“
Neben dem Ticketsystem setzen sowohl die WU, als auch die Uni Wien auf E-Learning. Auch die direkte Teilnahme an Vorlesungen erfolgt zum Teil technikgestützt: In besonders überfüllten Fächern werden Vorlesungen (an der WU zum Beispiel alle Einführungsvorlesungen) in mehreren Hörsälen gleichzeitig angeboten - einen Vortragenden gibt es jedoch nur in einem Hörsaal. Dieser wird via Video in die anderen Säle übertragen. Rückfragemöglichkeiten gibt es nur in Ausnahmefällen: An der WU etwa bietet ein Professor die Möglichkeit an, Fragen via SMS zu schicken. An der Uni Wien werden sogar Kinosäle angemietet, um den Hörsaal „künstlich größer zu machen“, wie Cornelia Blum, Pressesprecherin der Universität Wien, gegenüber ORF.at sagte.
Zwar herrschten an der Uni Wien in vielen Fächern sehr gute Bedingungen, aber in einigen wenigen Fächern gebe die Betreuungssituation „Anlass zur Sorge“, so Blum. Eine ideale Lösung seien E-Learning und Auslagerungen freilich nicht, gesteht die Sprecherin: Es sei kein vollwertiger Ersatz, eine Vorlesung als Stream anzusehen. „Das ist nur ein Notbehelf, auf Dauer ist das kein guter Weg.“ Auch der Versuch, das Angebot der parallel stattfindenden Lehrveranstaltungen hochzufahren, und die Zahl der Studierenden, die für ein Seminar zugelassen sind, zu erhöhen, bedeute für die Studierenden meist einen Qualitätsverlust.
„Die bessere von zwei schlechten Optionen“
Auch Edith Littich, die Vizerektorin für Lehre an der WU, sagte gegenüber ORF.at, dass vor allem zu Beginn der Bakkalaureatsfächer für die Studierenden die Bedingungen alles andere als optimal seien: E-Learning federe „relativ viel“ vom Andrang ab, „wir sind uns aber dessen bewusst, dass das nicht das Studium ist, das wir eigentlich wollen“. Die Alternative, nämlich vollgepferchte Hörsäle, sei jedoch noch weniger wünschenswert. „Von zwei schlechten Optionen wähle ich die bessere“, urteilt sie pragmatisch. Mit den derzeitigen Ressourcen hat die WU laut Littich gar keine andere Wahl. Zu leiden haben darunter vor allem auch berufstätige Studenten, deren Flexibilität eingeschränkt ist.
Die Missstände spiegeln sich in den Drop-out-Quoten nieder: „Viele Studenten wollen diese Art des Studierens nicht“ - die Drop-out-Quote sei vor allem am Anfang relativ hoch. Manche würden das Studium abbrechen, ohne je eine Prüfung abgelegt zu haben. Bei den Bakkalaureatsstudiengängen habe man jedoch den Peak bereits erreicht, ist Littich überzeugt.
Engpässe bald auch bei Masterstudienfächern
Allerdings seien die Probleme nun auch bei den Masterstudiengängen zu spüren: Vor allem in diesem Bereich, wo man besonders darauf aus sei, eine gute Betreuung zu gewährleisten, stoße man bald an die Kapazitätsgrenze: Die Masterstudiengänge seien nicht für so einen großen Andrang ausgelegt, so Littich - man sei im Zuge des Bologna-Prozesses davon ausgegangen, dass nicht alle Bakkalaureatsstudenten auch ein Masterstudium weiterverfolgen. In den nächsten Jahren sei deshalb auch in diesem Bereich ein „unerfreulicher“ Engpass zu erwarten.
„Hochgradig perverses“ System
Naturgemäß kritisch beurteilen auch die Studierendenvertreter der beiden Universitäten die Situation: Laut Sebastian Höfinger, Öffentlichkeitsreferent der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) an der WU, hat sich der Großteil der Studierenden mit dem Ticketsystem „stillschweigend abgefunden“. Es habe zwar einzelne negative Meldungen gegeben, große Beschwerdefluten seien aber ausgeblieben. Aus seiner Sicht ist das System aber „eigentlich schon hochgradig pervers“. Zugangskontrollen, wie es sie dabei mit Securitys gebe, seien nicht einmal bei Prüfungen üblich.
Ob diese Modalität eine Entlastung bringe, lasse sich nach einem Jahr noch nicht beurteilen, so Höfinger. „Der Rückstau ist so groß, dass es mehrere Semester dauert, bis er aufgearbeitet ist.“ Eine Ausweitung des Systems auf spätere Studienabschnitte sei deshalb auch nicht sinnvoll. Die Lösung sehe man viel mehr in Zugangsbeschränkungen - ein Thema, das für die Bundesvertretung tabu ist.
Die WU-ÖH tritt für ein „ordentliches, seriöses Zugangsmanagement“ ein, so Höfinger - etwa in Form von Zugangstests, ähnlich wie für das Medizinstudium. Eine Umfrage unter WU-Studenten habe gezeigt, dass das auch für eine Mehrheit der Studierenden die beliebteste Lösung ist. Im Allgemeinen sei die Situation für WU-Studenten zu Beginn des Studiums „dramatisch und frustrierend“ - es dauere am Anfang sehr lange, bis man „mit dem wirklichen Studium“ anfangen kann, so Höfinger.
„Weiß eh jeder, dass es wenig Geld gibt“
Eine Volkswirtschaftslehre-Erstsemestrige sagte gegenüber ORF.at, dass durch die neuen Maßnahmen zwar jeder einen Platz in Vorlesungen, Übungen und bei rechtzeitiger Anmeldung auch Prüfungen finde. Allerdings sei das Studium „sehr anonym“. Persönlichen Austausch mit Professoren - aber auch mit anderen Studenten - gebe es am Anfang kaum, da viele Studenten die Vorlesungen als Onlinestream ansehen und die Internetplattform der WU alle nötigen Informationen bietet.
Aus Sicht der Studentin hat die WU die Probleme im Griff und ist gut organisiert. Fragen werden an ein Forum, nicht an den jeweiligen Professor, gestellt, was von den Vortragenden zum Teil auch dezidiert so gewünscht werde. „Wenn sich was ändern soll, dann kann das nur von außen kommen. Von den Studenten weiß eh jeder, dass es wenig Geld gibt“, so die Betroffene.
ÖH: Bemühungen sind da, reichen aber nicht
Die ÖH an der Uni Wien beurteilt die Schritte ihrer Hochschule als „sehr bemüht“. In vielen Fällen reicht das aber nicht aus, sagte Vorsitzende Kübra Atasoy im Interview mit ORF.at. Viele Professoren weigerten sich etwa, ihre Vorlesungen im Internet als Stream anzubieten. Der Uni stelle sich in diesem Jahr eine neue Herausforderung, da aus ihrer Sicht heuer erstmals ein wahrer Boom in den naturwissenschaftlichen Fächern verzeichnet wird.
Einen Ansturm erwartet sie auch bei den Lehramtsfächern. Die Nachfrage nach den klassisch überbelegten Fächern wie Soziologie und Politikwissenschaften sei zwar weiter groß, aber nicht ausufernd. Für sie mangelt es vor allem an Bereitschaft vonseiten der Politik, eine nachhaltige Lösung zu schaffen. Sie müsste den Unis mehr Geld zur Verfügung stellen, fordert Atasoy. Eine Forderung, der sich auch die Unis anschließen.
Petra Fleck, ORF.at
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