Opposition sieht Versäumnisse
Die Bilanz von Regierung und Opposition über die zu Ende gehende erste Amtsperiode der polnischen Koalitionsregierung aus rechtsliberaler Bürgerplattform PO und moderater Bauernpartei PSL fällt naturgemäß unterschiedlich aus. Oppositionspolitiker sprechen von einer „verlorenen Zeit“, in der das Kabinett von Ministerpräsident Donald Tusk, statt das Land zu reformieren, seine Aktivitäten auf bloße Verwaltung beschränkt habe.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Die Koalition wehrt sich unter Verweis auf die internationale Wirtschaftskrise und Katastrophen wie das Flugzeugunglück bei Smolensk mit dem Argument, dass die zu Ende gehende Amtszeit äußerst schwierig gewesen sei. Vor allem wird gesagt, dass man das Land erfolgreich durch die Krise gesteuert habe.
Wahlversprechen nicht eingehalten
Im Wahlkampf vor der letzten Parlamentswahl hatte die PO den Wählern eine ganze Reihe Wahlversprechen gemacht. Die Mehrheit der Bürger hält diese offenbar für nicht erfüllt: 72 Prozent der Polen erklärten im März in einer CBOS-Befragung, dass die Regierung ihr Wahlprogramm von 2007 nicht realisiert habe. Als große Reform, die die Regierung einzuleiten vermochte, gilt die Bildungsreform. Allerdings ist auch hier der Erfolg nicht ungetrübt: Bildungsministerin Katarzyna Hall räumte vor kurzem in ihrem Blog ein, dass die Schulen auf die Reform nicht vorbereitet seien und sie teilweise verschoben werden müsse.
Unzufriedenheit mit Gesundheitsreform
Eine andere versprochene Reform, das Gesetzespaket von Gesundheitsministerin Ewa Kopacz, konnte die Regierung erst im März im Parlament beschließen. Mit den Novellen werden unter anderem die Ausbildungszeit der Mediziner verkürzt, das Pflichtpraktikum nach dem Studium abgeschafft und die Patientenrechte gestärkt. Zudem sollen Spitäler künftig wie Privatunternehmen geführt werden. Bisher gibt es aber wenig sichtbare positive Effekte der Reform: Lange Wartezeiten für Patienten sind geblieben.
Auch Ärztevertreter sind mit den Ergebnissen der Gesundheitsreform unzufrieden. „Wir haben geglaubt, dass der PO viel an der Gesundheit der polnischen Patienten liegt. Wir sind aber im Gegenteil auf die Arroganz der Macht und einen Mangel an Professionalität und Verantwortung gestoßen“, sagte jüngst der Chef des einflussreichsten polnischen Ärzteverbandes, Jacek Krajewski. Aus Protest gegen die Gesundheitspolitik der Regierung wurden in der Endphase des Wahlkampfs in Tausenden Arztpraxen im ganzen Land regierungskritische Plakate aufgehängt.
Keine Steuersenkungen durch Krise
Die globale Wirtschaftskrise führte dazu, dass die PO Abstriche bei den geplanten wirtschaftlichen Maßnahmen machen musste. So kam statt der versprochenen Steuersenkung eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Vom früher geforderten einheitlichen Steuersatz in der Einkommenssteuer scheinen sich die Liberalen für längere Zeit verabschiedet zu haben. Der bisher geltende Spitzensteuersatz von 32 Prozent soll beibehalten werden.
Auch wuchs trotz der im Wahlkampf 2007 versprochenen Strategie „Billiger Staat“ unter der PO-PSL-Regierung die Zahl der Beschäftigten in der Staatsverwaltung immer schneller. Nach den vier Jahren gibt es nun um rund zehn Prozent mehr Beamte.
Bauprojekte verzögert
Kritik gibt es auch im Bereich Straßenbau: Ursprünglich hatte die Regierung geplant, bis zur Fußball-Europameisterschaft im Juni 2012 fast 900 Kilometer Autobahn und 2.100 Kilometer Schnellstraßen zu bauen. Bisher sind nur 420 Kilometer fertiggestellt. 200 Kilometer Autobahn und die Hälfte der vorgesehenen Schnellstraßen wurden völlig aus dem Plan gestrichen. Hinter vielen begonnenen Projekten steht ein Fragezeichen. Regierungssprecher Pawel Gras sagte dazu, dass die derzeitige Regierung ohnehin viel mehr baue als ihre Vorgänger von der rechtskonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit).
Finanzkrise recht gut überstanden
Ihre Wahlversprechen halten konnte die Regierung vor allem in der Außen- und Verteidigungspolitik. Das umfasste den Rückzug der polnischen Truppen aus dem Irak ebenso wie die Abschaffung der Wehrpflicht und die Normalisierung der Beziehungen zu Russland. Tusk schaffte es auch, die umstrittenen Einschränkungen bei den Frühpensionen zu forcieren. Statt bisher rund einer Million Arbeitnehmer sind jetzt nur noch rund 250.000 Polen berechtigt, vorzeitig in Pension zu gehen.
Ihren größten Test, die globale Finanzkrise, scheint die Regierung Tusk Experten zufolge zu bestehen. Während andere EU-Länder in die Rezession gerieten, konnte sich Polen über das höchste BIP-Wachstum in der Europäischen Union freuen. Die Lage des staatlichen Budgets ist zwar schwierig, aber viel besser als bei den meisten anderen EU-Mitgliedern.
Bevölkerung nicht überzeugt
Insgesamt beurteilen 55 Prozent der Polen die Arbeit des Kabinetts negativ, wie die neueste Umfrage von TNS OBOP zeigt. Anderer Meinung sind lediglich 35 Prozent. Etwas besser schnitt in der Befragung Regierungschef Tusk ab. Dass der Premier seine Aufgaben gut erfülle, meinten 47 Prozent. 44 Prozent gaben an, die Arbeit Tusks hoch zu schätzen. „Die Umfrageergebnisse zeigen, dass man auf längere Sicht eine ausschließlich auf PR basierende Politik - wie Donald Tusk sie macht - nicht führen darf“, kommentierte der Stettiner Politologe Maciej Drzonek die Umfrage der Tageszeitung „Rzeczpospolita“. Tusks Strategie sei zunächst wirkungsvoll gewesen. Mittlerweile hätten die Polen aber bemerkt, dass die wichtigsten PO-Wahlversprechen nicht erfüllt worden seien.
Tomasz Wojciechowski, APA
Links: