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Anpassungsbedarf notwendig

„Die Pensionen sind gesichert.“ Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) kämpft in der Öffentlichkeit gegen Panikmache beim Pensionssystem. „Ich kann mit ruhigem Gewissen den 20-Jährigen sagen, Ihr bekommt eine Pension“, versichert er immer wieder. Unter Experten verstärken sich allerdings die Zweifel.

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Denn obwohl die Lebenserwartung steigt, sinkt das Pensionsantrittsalter, die Zeit im Ruhestand wird länger. „Alle Prognosen sagen, dass der Pensionsaufwand nicht zu bewältigen ist. In 20 bis 30 Jahren werden wir 25 bis 30 Prozent weniger Pension bekommen. Das wird nicht offen kommuniziert, aber es ist die Konsequenz dessen, was gesetzlich festgelegt ist“, analysiert der Ökonom Ulrich Schuh vom Institut für Höhere Studien (IHS) im ORF.at-Interview.

Pensionssystem

Bei dem staatlichen Pensionssystem werden mit dem Umlageverfahren aus Sozialversicherungsbeiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern die aktuellen Pensionen bezahlt. Der Ausgleich wird aus Steuermitteln finanziert. Beim Kapitaldeckungsverfahren hingegen werden die Beiträge angespart, verzinst und wieder investiert. Dieses Deckungskapital deckt die späteren Ansprüche in der Pension.

Aber selbst das, was im Gesetz steht, reiche nicht, um den künftigen Pensionsaufwand zu decken. Selbst Hundstorfer gibt zwar zu, dass ein späterer tatsächlicher Pensionsantritt notwendig ist. Derzeit gehen Männer durchschnittlich mit 58,9 Jahren statt mit 65 und Frauen mit 57,5 Jahren statt dem gesetzlich vorgesehenen Alter von 60 in Pension. Die Pensionskommission konnte sich zuletzt aber auf keine Empfehlungen einigen, was zu tun sei. Sie will nun 2013 erneut prüfen, ob sich das faktische Antrittsalter wie gewünscht erhöht habe.

„Karten offen auf den Tisch legen“

Experten genauso wie der Rechnungshof sehen allerdings schnelleren Handlungsbedarf und fordern, die „Karten offen auf den Tisch zu legen“. Zwar gebe es in der Politik ein Bewusstsein für die Pensionsproblematik, aber die Angst vor der Wählerschaft ist offenbar zu groß, deutlich die Zahlen vor Augen zu legen, ergänzte der Volkswirt bei der Österreichischen Nationalbank (OeNB), Markus Knell, gegenüber ORF.at. Konsequenz ist, dass die wenigsten wirklich wissen, was einen in der Pension tatsächlich erwartet.

Warnung vor „schleichender Explosion“

„Man muss rasch eine Reform angehen, weil die Bevölkerung zu Recht verunsichert ist. Niemand kann sich auf Rahmenbedingungen einstellen“, fordert Schuh. Als „verheerend“ bezeichnete Knell die Situation, dass heute 30- bis 40-Jährige davon ausgehen, „sowieso keine Pension mehr zu bekommen“: „Die künftigen Pensionisten werden zwar weniger bekommen. Aber es kann dennoch eine ganz solide Pension sein.“ Dafür ist aber jetzt Handlungsbedarf gegeben, sind sich die Experten einig. Schuh: „Bei der jetzigen Variante des Weiterwurschtelns besteht die Gefahr, dass später besonders unangenehme Kürzungen auftreten.“

Markus Knell

Markus Knell

Volkswirt Markus Knell

Aufgrund der Generation der Babyboomer gebe es nun ein Zeitfenster bis etwa 2020. Dann werde es Knell zufolge einen stärkeren Anstieg der Ausgaben für die Pension geben. IHS- und WIFO-Prognosen zufolge steigen die Ausgaben der Pensionsversicherung von 11,2 Prozent des BIP 2009 bis zum Jahr 2050 auf knapp 15 Prozent. Knell warnt daher vor einer „schleichenden Explosion“ bei den Ausgaben, die dann zu „überhasteten“ politischen Maßnahmen mit drastischen Einschnitten führen.

Ein Drittel weniger Pension

Die letzten Pensionsreformen von 2003 und 2004 setzten einige entscheidende Reformschritte und bringen allmähliches Einsparpotenzial etwa durch den lebenslangen Durchrechnungszeitraum. „Dadurch wird sich die Höhe der Erstpension relativ zum alten System verschlechtern“, erklärt Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) gegenüber ORF.at.

Die allgemeine Ersatzrate - das Verhältnis zwischen dem Durchschnittslohn und der Durchschnittspension - wird laut Mayrhuber von derzeit 43Prozent auf 31 Prozent im Jahr 2050 sinken. In 40 Jahren ist damit die Durchschnittspension in Relation zum zukünftigen Durchschnittseinkommen um fast ein Drittel geringer.

Zudem wurden Abschläge bei einem früheren Pensionsantritt eingeführt - 4,2 Prozent weniger pro Jahr. „Das ist meiner Meinung nach zu niedrig, aber es geht in eine Richtung, die in Ordnung ist“, so Knell.

Pensionsreform mit Schönheitsfehlern

Dennoch hat die letzte Pensionsreform eklatante Mängel. Das Ziel, Menschen länger auf dem Arbeitsmarkt zu halten, wurde verfehlt. Mayrhuber kritisiert vor allem die langen Übergangszeiten. Bis 2050 laufen Parallelrechnungen, für die vor 2005 Beschäftigten wird ein Mittelwert aus den Versicherungszeiten vor der Pensionsreform und danach gerechnet. Üblich seien Übergangszeiten von maximal fünf bis zehn Jahren, so Mayrhuber. Zudem würden durch die Parallelrechnung Anreize, länger zu arbeiten, weniger wirksam und intransparent.

„Schleichweg in die Frühpension“

Einig sind sich die Pensionsexperten, dass es nach wie vor zu viele Schlupflöcher und zeitlich befristete Ausnahmeregelungen gebe, früher in Pension zu gehen. Unbestritten bleibt, dass ein krankheitsbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben geregelt werden müsse. „Aber in Österreich hat man den Verdacht, dass Invalidität auch als Schleichweg in die Frühpension genutzt wird“, kritisiert Knell.

Die Hacklerregelung und damit die Möglichkeit, mit vielen Versicherungsjahren in Frühpension ohne große Einbußen zu gehen, wurde 2008 vor der letzten Nationalratswahl noch einmal verlängert und soll nun 2013 zu Ende gehen. „Die Hacklerregelung muss schneller auslaufen. Das würde das Pensionsantrittsalter sofort erhöhen“, fordert Mayrhuber.

Aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen habe die Politik bisher aber zögerlich reagiert, ist die Hacklerregelung doch gerade bei Beamten besonders populär. 2009 gingen mehr als die Hälfte der Beamten in die „Hacklerpension“. Auch die krankheitsbedingten Austritte seien in Österreich zu viel und zu früh, so Mayrhuber. Da müsste man gar nicht am gesetzlichen Pensionsalter drehen.

Pension mit 67 „nicht vorstellbar“

Von einer Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters hält auch Hundstorfer wenig. Eine Anhebung des Pensionsantrittsalters auf 67 lehnt er ab: „Das ist für mich derzeit unvorstellbar und nicht notwendig.“ Die wirkliche Herausforderung sei daher, alles daranzusetzen, das gesetzliche Pensionsantrittsalter von 65 Jahren bei Männern tatsächlich zu erreichen. Da wolle er vor allem bei der Invaliditätspension ansetzen und deren Zahl innerhalb von vier bis fünf Jahren um ein Zehntel reduzieren. Derzeit gibt es rund 30.000 Invaliditätspensionisten pro Jahr.

„Reform mit Paukenschlag“

Der für seine Arbeit über das Umlageverfahren mit dem Hannes-Androsch-Preis ausgezeichnete Wissenschaftler ist überzeugt, dass das Umlageverfahren „besser ist als sein Ruf“. Die Festlegung auf die Altersgrenze 65 hält Knell für einen „Konstruktionsfehler“: „Das ist nicht in Stein gemeißelt.“

Er hält aber eine derzeit nicht vorgesehene automatisierte Anpassung des Pensionsantrittsalters an die steigende Lebenserwartung von derzeit durchschnittlich drei Monaten pro Geburtsjahrgang für unbedingt notwendig. „Diese ständigen Anpassungen sind klein, aber permanent und haben daher große finanzielle Auswirkungen. Der Vorteil ist, dass man nicht alle zehn Jahre eine Reform mit dem Paukenschlag bräuchte“, betont Knell.

Sind die Unternehmen schuld?

Mayrhuber warnt vor einer neuen großen Pensionsreform, die auf der Übergangsregelung bis 2050 aufbaue. Schon jetzt herrsche große Verwirrung aufgrund der komplizierten Gesetzeslage. Anpassungen seien aber notwendig. Für sie geht es nicht nur darum, nur das Pensionsantrittsalter zu erhöhen, sondern auch das Austrittsalter aus dem Job. Da seien auch die Betriebe gefragt und eine Veränderung der Arbeitsbedingungen notwendig. Mayrhuber: „Das frühe Übertrittsverhalten ist auch eine Entscheidung der Betriebe. Umstrukturierungen finden meist über die Freisetzung älterer Mitarbeiter statt.“

Die von Hundstorfer angedachten Sanktionen gegen Unternehmen hält sie für überlegenswert und schlägt vor, Betriebe, die ohne Invaliditätspensionen auskommen, zu belohnen. Knell glaubt ebenfalls an die Wirksamkeit von Sanktionen gegen Betriebe. Bisherige Anreize, ältere Arbeitnehmer im Dienst zu halten, seien gescheitert. Man brauche eine stärkere Kostenwahrheit und deutliche Abschläge auch bei den Arbeitnehmern.

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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