Trendwende im Radfahrparadies?
Von Stadtplanern und Vertretern von Radfahrlobbys aus der ganzen Welt wird Kopenhagen immer wieder als Vorbild für die Bevorzugung des Radverkehrs genannt. Radwege, breit wie Autobahnspuren, prägen das Stadtbild. Doch wo vor einiger Zeit noch entspannt und lustvoll geradelt wurde, staut es mittlerweile beträchtlich.
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Aggressives Gedränge auf überfüllten Radwegen bereiten den lokalen Radfahrerorganisationen und Tourismusverbänden zunehmend Kopfzerbrechen. Laut der offiziellen Tourismusorganisation Wonderful Copenhagen sowie der Radfahrerorganisation Dansk Cyklist Forbund (DCF) schafft die Kommunalpolitik mit ihrer seit Jahren laufenden Kampagne, immer mehr Menschen zum Umstieg aufs Fahrrad zu bewegen, ein „gefährliches, beängstigendes und unangenehmes Klima für Fahrradfahrer der Stadt“, wie die britische Tageszeitung „Guardian“ unlängst berichtete.
„Grüne Welle“ bei Tempo 20
Radverkehr in Wien
In Wien beträgt der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen im Vergleich fünf Prozent.
Kopenhagen fördert Radverkehr seit Jahrzehnten konsequent, stellt das Fahrrad in den Mittelpunkt der Verkehrs- und Stadtplanung und hält bereits bei 36 Prozent Radverkehrsanteil. Für 2015 hat sich die Kopenhagener Stadtpolitik einen Anteil von 50 Prozent vorgenommen. Täglich werden in Kopenhagen 1,3 Millionen Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt.
In nahezu jeder wichtigen Straße gibt es eigene, bis zu vier Meter breite Radwege oder Radfahrstreifen, die von der Fahrbahn getrennt geführt werden und in der Regel beide Fahrbahnen säumen. An vielen Kreuzungen gibt es eigene Unterführungen für Radfahrer. Ampelschaltungen sind in Kopenhagen zumindest teilweise auf die Bedürfnisse der Radfahrer eingestellt: Die „grüne Welle“ hat man bei Tempo 20.
Kein Durchkommen im Gedränge
Seit 2008 wirbt die Stadtverwaltung Kopenhagen mit ihrer Initiative „I bike Copenhagen“ und zeigt sich damit in ihrer selbstreklamierten und verdienten Rolle als Fahrradmodellstadt.

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Das Abstellen des Fahrrades wird zur Herausforderung
Doch selbst für Kopenhagen-Besucher ist laut „Guardian“ sofort ersichtlich, dass die Gegebenheiten der Stadt dem Gedränge schon jetzt nicht mehr standhalten: Abstellplätze quellen mit parkenden Fahrrädern über und sogar auf den für hiesige Verhältnisse gigantisch anmutenden, extrabreiten Fahrradwegen staut es sich zu den Stoßzeiten gewaltig.
Besorgte Eltern, entnervte Touristen
„Ich nehme meine Kinder während der Stoßzeiten nicht mehr mit dem Fahrrad mit. Es ist zu gefährlich. Ich würde es nicht mehr riskieren“, zitiert die britische Tageszeitung Aneh Hajdu von Wonderful Copenhagen. Nicht nur die Kopenhagener fühlen sich laut Hajdu durch den dichten Fahrradverkehr zunehmend auf die Geduldsprobe gestellt.
Auch Touristen kämen mit den Fahrradmassen und dem zunehmend aggressiven Fahrstil immer weniger zurecht. So schildert Hajdu Extrembeispiele, wo radelnde Touristen die Nerven schmissen und auf Taxis umstiegen, weil sie den harten Anforderungen im Umgang mit den anderen Radfahrern nicht gewachsen waren.
Platzkampf auf dem Radweg
Mit zunehmendem Gedränge habe die Rücksichts- und Disziplinlosigkeit der Radfahrer in Kopenhagen bedenklich zugenommen, räumt auch Frits Bredal vom Dansk Cyklist Forbund (Dänischer Radfahrerverband) gegenüber dem „Guardian“ ein. Bredal verweist auf die sehr positive Unfallstatistik der vergangen Jahre, wonach Unfälle, in die Radfahrer verwickelt waren, drastisch abgenommen haben. Ein Umstand, den auch Studien belegen: Sind mehr Menschen mit dem Fahrrad unterwegs, achten die anderen Verkehrsteilnehmer stärker auf den Radverkehr. Fahren nur wenige mit dem Rad, werden Radfahrer leichter übersehen.
Zugleich befürchtet Bredal nun aber eine Trendumkehr: „Während der Stoßzeiten kämpft eine enorme Anzahl von Fahrradfahrern in Kopenhagen um Platz.“ Er selbst beobachte immer öfter grobe Verkehrsverstöße. Die Situation sei in der Tat bedenklich. Bredal befürchtet ein Umdenken bei den bisher fahrradfreundlichen Kommunalpolitikern, die argumentieren könnten, dass sich zuerst die Fahrdisziplin verbessern müsse, ehe man daran ginge, das Radwegnetz weiter auszubauen.
„Kopenhagenisierung“
Für die fahrradfreundliche Umgestaltung von Städten hat sich im Englischen das Wort „copenhagenize“ („Kopenhagenisierung“) eingebürgert.
Ärger macht sich breit
Der dank seiner Blogs „Copenhagenize“ und „Cycle Chic“ inoffizielle „Fahrradpapst“ der Stadt, Mikael Colville-Andersen, zeigt sich frustriert und fürchtet um seine Aufbauarbeit. Es sei wahr, dass Radfahren - zu den Hauptverkehrszeiten - nichts für Zartbesaitete sei, räumt er ein: Radfahren in Kopenhagen „erfordert Konzentration und es ist tatsächlich so, dass wir breitere Fahrradwege brauchen“. Aber es sei nicht so gefährlich, wie der DCF nun propagiere. Colville-Andersen verweist auf Statistiken, die bewiesen, dass die Situation zumindest besser als in Amsterdam sei.
Der DCF verfolge die falsche Strategie. Es müssten konsequent die positiven Aspekte des Radfahrens aufgezeigt werden, statt sich mit Angstmacherei für den Ausbau der Radwege einzusetzen, ärgert sich Colville-Andersen. Bleibt abzuwarten, ob die offizielle Fahrradhymne der „I bike Copenhagen“-Kampagne umgetextet wird, wo es noch heißt: „Wir zerstören den Mythos, dass nur Egoisten im Verkehr unterwegs sind. Träume nicht davon, wegzugehen. Ich bleibe in Kopenhagen - weil ich Kopenhagen ‚bike‘“ („We bust the myth that there are only egos in the traffic. Don’t have any rosy dreams of travelling away. I’m staying in Copenhagen - ’cause I bike CPH.“).
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