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Radelnde Hipster und Vogelverkäufer

Wer durch das nicht gerade verkehrsberuhigte New York mit dem Fahrrad strampelt, galt bis vor kurzem noch als lebensmüde. Inzwischen gestaltet sich die Stadt der Städte Radfahrer-freundlicher. Anders in China: Die Fahrradrudel, die die Straßen von Peking füllten, dünnen sich langsam aus. Wie die Fahrradkultur einer Stadt aussieht, hängt nicht zuletzt von den Stadtverwaltungen ab.

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Das sagt der österreichische „Fahrradkultur-Forscher“ Florian Lorenz, der sich mit der Situation in Peking und New York beschäftigte. In beiden Metropolen versucht man seit kurzem, eine Renaissance des Fahrrads herbeizuführen: In New York setzt die Stadt auf einen großangelegten Ausbau des Radwegnetzes und witzige Videospots, um das Fahrradfahren anzupreisen. Auch in Peking bräuchte das Fahrrad dringend eine Imagekorrektur.

Früheres Fahrradmekka

Ein Haarschneider, der dank Fahrrad einen mobilen Friseursalon betreibt; Vogelverkäufer, die Hühner und anderes Geflügel auf rostigen Dreirädern zum Marktplatz befördern; eine elegant gekleidete Frau, die ein älteres Familienmitglied in einem ans Fahrrad montierten Rollstuhl chauffiert; Fahrradreparateure, die mit Reifen und Flickzeug ausgestattet durch die Straßen kurven: Durch das enge und verwinkelte Dong-Cheng-Viertel, die Altstadt Pekings, wuseln täglich unzählige Radfahrer.

Radfahrer in Peking

Reuters/Guang Niu

In Peking verlieren immer mehr Menschen die Lust am Radfahren.

Das Fahrrad ist in Dong-Cheng aber mehr als nur ein Verkehrsmittel, es ist Grundlage für das Wirtschaftsleben in dem Viertel. „Kleingewerbe und Handwerk spielen sich mit Hilfe des Fahrrads ab“, sagt der Ökologe und Umweltdesigner Lorenz. Er forscht zum Thema Fahrradkulturen. Eine der Städte bzw. Stadtteile, die er bisher unter die Lupe nahm, ist das Pekinger Dong-Cheng-Viertel.

Autos auf der Überholspur

Anders sieht es in den Außenbezirken Pekings aus. In den grauen Schlafstädten, die die Hauptstadt Chinas säumen, sieht man kaum Radfahrer. Überhaupt nahm der Fahrradverkehr in der ehemaligen Fahrrad-Vorzeigestadt dramatisch ab. Während in den 1980er Jahren der Radverkehranteil in Peking laut chinesischen Studien bei fast 60 Prozent lag, betrug er 2005 nur noch 27 Prozent.

Gleichzeitig stieg die Zahl der Autobesitzer in Peking. 2006 wurde das Fahrrad dann vom Auto als meistgenutztes Verkehrsmittel in China abgelöst. „Sobald du es dir leisten kannst, kaufst du dir ein Auto“, schildert Lorenz, warum so viele Chinesen nicht mehr per Velo unterwegs sind. Das Auto ist zum Statussymbol geworden, während das Fahrrad Ausdruck einer prekären Einkommenssituation ist.

„Smarter Than Car“

Auch bei den jungen Chinesen gilt das Fahrrad nicht gerade als hip. Die in Peking ansässige NGO „Smarter Than Car“, in der auch Lorenz aktiv ist, will das ändern. „Wir wollen, dass Fahrradfahren wieder als hip und modern erlebt wird“, erklärt er. Zu diesem Zweck organisieren sie regelmäßig Vorträge und nächtliche Events mit kollektiven Fahrradtouren durch Peking („Friday Light Rides“).

Aber auch bei der Pekinger Stadtverwaltung sieht Lorenz inzwischen ein Umdenken. Mit den Olympischen Sommerspielen 2008 begann man aber, sich über die zunehmende Luftverschmutzung in Peking Gedanken zu machen. Besonders luftverpestende Fabriken mussten deshalb während der Olympischen Spiele ihren Betrieb einstellen, für Autos herrschte teilweise Fahrverbot in der Hauptstadt. Anfang dieses Jahres startete die Stadtverwaltung die Kampagne „3510“, um die Pekinger Bevölkerung zu animieren, bei einem Weg bis zu drei Kilometer zu Fuß zu gehen, bei weniger als fünf Kilometer das Rad zu nehmen und bei einem Weg von bis zu zehn Kilometern öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Radfahren im „Big Apple“

Minimalistische „Fixies“, nostalgische Rennräder aus den 70er Jahren und Fahrradtaxis für Touristen: Über New Yorks Radwege düsen hippere Fahrradmodelle als in Peking. Vor allem im Zentrum New Yorks und in gentrifizierten Vierteln wie Lower Eastside, Williamsburgh und Zentral-Brooklyn werden die Fahrradfahrer immer mehr, so Lorenz. Trotzdem kann von einem Fahrradboom keine Rede sein. Tatsächlich ist der Fahrradverkehranteil in Nordamerika von 1990 bis 2009 lediglich von ein bisschen über null auf ein bisschen mehr über null gewachsen: von 0,3 auf 0,6 Prozent einer US-amerikanischen Studie zufolge.

Radfahrer in New York

Reuters/Peter Foley

New York: Die Stadt, in die sich bis vor kurzem kaum ein Radfahrer wagte

Seit einigen Jahren versucht Bürgermeister Michael Bloomberg, Fahrradfahren in New York attraktiver zu machen. 2006 stellte Bloomberg einen großangelegten Plan („plaNYC“) vor, um den CO2-Ausstoß in New York zu senken. Dieser Plan sah auch die Erweiterung des Radwegnetzes in New York vor: Bis 2010 wurden 450 Kilometer neue Radwege gebaut. Nun sollen jedes Jahr weitere 80 Kilometer Radweg hinzukommen.

Fahrrad-Analphabeten

Das New Yorker Department of Transportation (DOT) startete daneben zahlreiche Kampagnen, um die New Yorker vom Fahrradfahren zu überzeugen. Die Videospots „Don’t be a jerk“ (etwa: Sei kein Spinner) richten sich an die Fahrrad-Analphabeten unter der steigenden Zahl von New Yorkern, die per Velo unterwegs sind. Drei bekannte New Yorker Gesichter (Koch Mario Batali, Schauspieler John Leguizamo und Schauspielerin Paulina Porizkova) zeigen in den Spots, wie man es nicht macht.

Zusätzlich bemühen sich zahlreiche Fahrrad-NGOs, die Stadt für Fahrradfahrer sicherer zu machen. Eine der größten unter ihnen: Transportation Alternatives. Kurioser Auswuchs des Fahrradaktivismus: Unter dem Motto „How dangerous is your street?“ gründete die NGO Bürgerwachen, die in ihrer jeweiligen Nachbarschaft Schnellfahrer und andere Verkehrssünder anzeigen.

Wien im Mittelfeld

Im Vergleich zu den New Yorkern legen die Wiener relativ viele Alltagswege mit dem Fahrrad zurück: Der Radverkehranteil liegt laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) derzeit bei fünf Prozent. Misst sich Wien aber mit Peking (27 Prozent Radanteil) oder gar Kopenhagen (35 Prozent Radanteil), sieht Wien blass aus.

Woran das liegen könnte? In Wien habe man zwar relativ früh Radwege gebaut, sagt der Obmann der IG-Fahrrad Alec Hager, dabei hätte es sich aber um „sehr rudimentäre Versuche“ gehandelt. Ein oft genanntes Beispiel für einen längst überholungsbedürftigen Radweg in Wien ist jener entlang des Rings. Hager fordert außerdem mehr Öffentlichkeitsarbeit seitens der Stadt, um das Fahrrad populärer zu machen. Mehr dazu auf wien.ORF.at.

Die rot-grüne Wiener Stadtregierung setzte sich das Ziel, den Radverkehranteil bis 2015 von fünf auf zehn Prozent anzuheben. Andere Landeshauptstädte in Österreich erreichten diesen Wert längst: Als die österreichischen Fahrrad-Vorzeigestädte gelten Bregenz, Graz und Salzburg, wo der Radverkehranteil laut VCÖ bei 16 bis 19 Prozent liegt.

Sarah Seekircher, ORF.at

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