Schatten über Schüssels Regierungszeit
Der „Wendekanzler“ und seit 2008 einfache Abgeordnete der ÖVP im Nationalrat, Wolfgang Schüssel, legt sein Mandat zurück. Auslöser ist die Telekom-Affäre und deren mögliche Verbindungen zu ÖVP-Politikern bzw. Mitgliedern seiner Regierungen - und die Ära Schwarz-Blau wird nicht zum ersten Mal nachträglich von Skandalen überschattet.
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Zweifellos hat sich Schüssel einen Platz in den österreichischen Geschichtsbüchern gesichert, als er 2000 die erste schwarz-blaue Regierung zur Angelobung führte. Er musste dafür den unterirdischen Verbindungsgang zwischen Bundeskanzleramt und Hofburg zum Bundespräsidenten nehmen, um die Demonstranten gegen Schwarz-Blau zu umgehen. Geprägt war die zunächst schwarz-blaue, dann schwarz-orange Ära ab 2002 von einem Aufbrechen alter Traditionen und einem hohen Reformtempo, auch wenn längst nicht alle Unterfangen von dauerhaftem Erfolg geprägt waren.
Und so manche Maßnahme - Stichwort BUWOG-Privatisierungen oder Behördenfunk - sind mittlerweile ins Visier der Justiz geraten, so wie auch zahlreiche handelnde Personen, darunter der frühere Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, Schüssels damaliger Vize Hubert Gorbach (BZÖ) sowie der ehemalige Infrastrukturminister Mathias Reichhold (FPÖ).
Schüssel bleibt dabei: Von Malversationen und Korruption habe er nie etwas bemerkt. Mit seinem Rücktritt möchte er aber nun helfen, „umgehend und vollinhaltlich Klarheit zu schaffen“.
Von Platz drei zum Kanzler
Schüssel hatte der ÖVP nach Jahrzehnten wieder den Kanzler gebracht, und das, ohne eine Wahl gewonnen zu haben: Weder 1995, als der damals frischgebackene Chef der Volkspartei gegen Franz Vranitzky (SPÖ) einen vorgezogenen Urnengang provozierte, noch 1999 konnte er die hoch gesteckten Ziele erreichen. Einmal blieb die Volkspartei überraschend neuerlich hinter den Sozialdemokraten, das andere Mal erfolgte der historische Rückfall auf Platz drei.
Trotzdem war Schüssel plötzlich Kanzler, als er 2000 die Gunst der Stunde nutzte und letztlich Jörg Haider und dessen FPÖ über den Tisch zog. Nach dem Platzen der ersten Koalition mit den Freiheitlichen infolge des Knittelfelder Putsches hatte Schüssel dann am 24. November 2002 seinen wirklich großen Tag: Erstmals seit Jahrzehnten führte er die ÖVP auf Platz eins und war damit in den eigenen Reihen unumstrittener denn je.
Seit 2008 einfacher Abgeordneter
2006 dann kam dann wieder eine Niederlage, doch Schüssel blieb seinem Ruf als Steher treu. Unbeirrt führte er das Koalitionsteam der ÖVP an und machte den Sozialdemokraten das Leben nicht leicht. Logische Folge der roten Alternativenlosigkeit in Sachen Koalition: Die ÖVP riss der SPÖ auch diesmal vor allem bei den Ressorts große Zugeständnisse heraus. Danach übergab Schüssel die Parteiführung an Wilhelm Molterer und wechselte an die Klubspitze.
Dort blieb er nur bis 2008. Sein Nachfolger Molterer war da schon wieder Geschichte: Josef Pröll hatte das Ruder in der ÖVP übernommen und läutete die endgültige Ablöse der Wendefraktion ein. Fortan saß Schüssel als außenpolitischer Sprecher der Volkspartei im Parlamentsklub. Dass er nebenbei auch ein Mandat im Aufsichtsrat des deutschen Energiekonzern RWE wahrnahm, trug ihm wiederholt Kritik ein.
Längstdienender ÖVP-Chef
Schüssel wurde von seiner alleinerziehenden Mutter in bescheidenen Verhältnissen groß gezogen, besuchte aber das prestigeträchtige Schottengymnasium. Es folgte ein Jusstudium und nebenbei eine Tätigkeit als Radiojournalist. Politisch begann es in der ÖVP 1968, wo er sieben Jahre lang als Klubsekretär im Parlament diente.
Tätig war er auch als Wirtschaftsbund-Generalsekretär, als Abgeordneter (ab 1979), als Wirtschaftsminister (1989 - 95) sowie ab 1995 als längstdienender ÖVP-Obmann der Geschichte. Ab diesem Zeitpunkt fungierte er auch als Vizekanzler und Außenminister, ehe Schüssel 2000 das heiß ersehnte Kanzleramt übernahm.
Berufliche und politische Stationen
- 1968 - 1975: Sekretär des ÖVP-Parlamentsklubs
- 1975 - 1991: Generalsekretär des Österreichischen Wirtschaftsbundes
- 5. Juni 1979 - 8. Mai 1989: Abgeordneter zum Nationalrat
- 1987 - 1989: Stellvertretender Obmann des ÖVP-Parlamentsklubs
- 24. April 1989 - 4. Mai 1995: Wirtschaftsminister
- 1995 - 2007: Bundesparteiobmann der ÖVP
- 4. Mai 1995 - 4. Februar 2000: Vizekanzler und Außenminister
- 1. Juli 1998 - 31. Dezember 1998: EU-Ratsvorsitzender für die Dauer eines halben Jahres
- 4. Februar 2000 - 11. Jänner 2007: Bundeskanzler
- 1. Jänner 2006 bis 30. Juni 2006: EU-Ratsvorsitzender für die Dauer eines halben Jahres
- 29. Oktober 2006 - 27. Oktober 2008: Klubobmann des ÖVP-Parlamentsklubs, danach einfacher Nationalratsabgeordneter
- 5. September 2011: Schüssel gibt bekannt, mit Ende der Woche sein Mandat zurückzulegen
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