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Aber „kein schuldhaftes Verhalten“

Altkanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) zieht sich als Reaktion auf die Telekom-Affäre aus dem Nationalrat und damit wohl überhaupt aus der Politik zurück. Der langjährige ÖVP-Obmann erklärte in einer Pressekonferenz am Montag, dass er mit Ende der Woche sein Mandat zurücklegt. Schuldhaftes Verhalten seinerseits und der ÖVP erkennt Schüssel aber nicht.

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Seinen Rückzug begründete er damit, dass er dazu beitragen wolle, „eine objektive, eine von jeder politischen Beeinflussung oder medialen Vorverurteilung unabhängige Aufklärung durch die Justiz zu erleichtern“. Gleichzeitig betonte Schüssel, dass er als Regierungschef an die Mitglieder seines Teams „hohe Anforderungen hinsichtlich Vertrauenswürdigkeit und Integrität“ gestellt habe.

Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel

APA/Robert Jaeger

Schüssel: „In der Politik wie im Alltag müssen wir einander vertrauen können“

Täuschung Einzelner nicht ausgeschlossen

Allerdings könne niemand ausschließen, dass sein Vertrauen von Einzelnen getäuscht oder missbraucht worden sei: „Niemand würde dies mehr bedauern als ich selbst“, sagte Schüssel. Seine Arbeit in den diversen Regierungen will er sich freilich nicht schlechtmachen lassen: „Viele Reformen meines Teams 1995 bis 2007 haben dazu beigetragen, dass dies in vielen Politikbereichen gelungen ist und unser Land sich in der Krise gut behaupten konnte.“

Vier Ex-Minister im Visier

Mit Ernst Strasser (ÖVP), Karl-Heinz Grasser, Hubert Gorbach (BZÖ) und Mathias Reichhold (FPÖ) sind mittlerweile vier Minister der Regierungszeit unter Schüssel teils im Fokus von Ermittlungen der Justiz, teils sollen sie laut Medienberichten nach ihrer Amtszeit umstrittene Zahlungen aus dem staatsnahen Bereich kassiert haben.

Was kolportierte Zahlungen an Ex-Minister aus seiner Ära angeht, sieht er keine Verantwortung bei sich. Was ein Teammitglied nach seiner Amtszeit tue, habe jeder selbst zu verantworten, so Schüssel. Auf die Frage, ob es im Nachhinein falsch war, Karl-Heinz Grasser und Ernst Strasser (ÖVP) in die Regierung zu holen, meinte Schüssel: Grasser habe als Finanzminister gute Arbeit geleistet, was nach seinem Ausscheiden geschehen ist, müsse dieser argumentieren und rechtfertigen. Er habe „wenig“ Kontakt zu ihm.

Strasser sei ein engagierter Minister „mit Ecken und Kanten“ gewesen. Aber: „Die Dinge, die nachher geschehen sind, haben mir überhaupt nicht gefallen, und die sind auch nicht in Ordnung, keine Frage.“ Auch seinen „Freund“ Ex-Vizekanzler Wilhelm Molterer, der sich dafür eingesetzt habe, dass ein Fußballverein eine „kleine Spende“ seitens der Telekom bekomme, verteidigte Schüssel: Der Begriff Korruption sei hier nicht angemessen, „das ist absurd“.

Den Lobbyisten Peter Hochegger habe er nie getroffen, er kenne ihn nicht. Beim Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly handle es sich um den Ehemann einer Ex-Generalsekretärin und -Ministerin, und in dieser Funktion habe er ihn einige Male getroffen, sie hätten aber nie über Politik gesprochen.

„Kein Schuldeingeständnis“

Als Schuldeingeständnis will er seinen Rücktritt denn auch nicht verstanden wissen. Es sei „sachlich ungerecht“, die ÖVP als Ganzes mit den Vorwürfen in Zusammenhang zu bringen, sagte Schüssel. Druck aus der Partei für seinen Rücktritt habe es „nie“ gegeben, es handle sich um seine Entscheidung.

Die Entscheidung sei ihm einerseits nicht leicht gefallen, weil er an der Partei hänge. Andererseits gehe er aber auch mit einem „leichten Herzen“, denn er habe sein Amt „mit bestem Wissen und Gewissen“ ausgeführt. Mit der Bilanz seiner Regierungszeit könne er „sehr gut leben“.

Spindelegger sieht ÖVP zu Dank verpflichtet

ÖVP-Obmann Vizekanzler Michael Spindelegger sieht im Abgang von Schüssel aus dem Nationalrat einen „konsequenten Schritt“. Die ÖVP und Österreich seien ihm zu großem Dank verpflichtet, hätten doch viele jener Reformen, die Schüssel - teils gegen heftige Widerstände - durchgesetzt habe, Österreich nachhaltig modernisiert und wettbewerbsfähiger gemacht. Diese Vorgangsweise benötige einiges an Mut.

SPÖ erwartet Schüssel in U-Ausschuss

Die SPÖ rechnet damit, Schüssel als Zeuge in einem Untersuchungsausschuss wieder zu treffen. Das erklärte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter. „Eine endgültige Beurteilung der persönlichen Integrität Schüssel wird maßgeblich von den Erkenntnissen der Untersuchung der politischen Verantwortung für die Skandale von Eurofighter über BUWOG bis Telekom abhängen“, so Kräuter.

FPÖ sieht indirektes Schuldeingeständnis

Als „indirektes Schuldeingeständnis“ wertete FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky die Rücktrittsankündigung Schüssels. Vilimsky erinnerte daran, dass die „Knittelfelder Funktionärsversammlung“ 2002 ein Aufstand „gegen die Verschüsselung der damaligen FPÖ-Spitze“ gewesen sei. Drei Jahre später habe sich der „Schüssel’sche Ungeist“ dann endgültig ins BZÖ verabschiedet. Die FPÖ unter Heinz-Christian Strache habe sich erfolgreich davon befreit, befand Vilimsky.

BZÖ will Rolle von Altkanzler klären

Für BZÖ-Obmann Josef Bucher ist Schüssels Rückzug zu respektieren, hinterlässt aber einen schalen Beigeschmack. „Was steckt dahinter, dass der letzte ÖVP-Kanzler so blitzartig seine politische Karriere beendet?“, fragte sich der BZÖ-Chef. Behauptete Verwicklungen von Schüssel und der ÖVP in die Causa Telekom würden deshalb von der Justiz und in einem notwendigen Untersuchungsausschuss zu klären sein.

TV-Hinweis:

ORF2 widmet Schüssels Rückzug um 22.25 Uhr einen „Runden Tisch“. Mit Moderatorin Ingrid Thurnher diskutieren der Präsident des ÖVP-Seniorenbund, Andreas Khol, die Journalisten Anneliese Rohrer und Andreas Koller sowie der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier „Die Ära Schüssel - Wendejahre im Zwielicht“.

Für Grüne „längst überfälliger“ Schritt

Aus Sicht der Grünen ist Schüssel Rücktrittsankündigung ein „längst überfälliger, aber nur erster Schritt“. Bundessprecherin Eva Glawischnig sagte: „Die politische Verantwortung unter Schwarz-Blau kann er nicht ablegen. Vorwürfe insbesondere gegen Karl-Heinz Grasser gab es ja schon sehr früh, und hier hat er über Jahre hinweg weggeschaut.“ Wichtig sei nun, dass die ÖVP ihre „Blockadehaltung“ aufgebe und eine schonungslose Aufklärung ermögliche, so die Grünen-Chefin.

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