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ISS-Besatzung muss warten

Als die USA Mitte Juli den letzten Spaceshuttle außer Dienst gestellt hat, hat sich die Wehmut in Grenzen gehalten. Stand doch mit der russischen Sojus-Rakete eine weit zuverlässigere Alternative zur Verfügung. Doch nun macht die bisher perfekt funktionierende Trägerrakete plötzlich Probleme. Experten rätseln über die Ursache.

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Eigentlich hätte am 24. August ein unbemanntes Versorgungsraumschiff 3,5 Tonnen Nachschub zur Internationalen Raumstation (ISS) fliegen sollen. Doch kurz nach dem Start des Raumschiffs vom Typ Progress M 12-M seien Probleme mit der Zündung der dritten Stufe der Sojus-Trägerrakete aufgetreten. Der Raumfrachter erreichte nicht die geplante Umlaufbahn und stürzte über Sibirien ab. Der Unfall kam völlig überraschend, es war der erste seit dem Fehlstart einer Sojus-Rakete 1978.

Sojus-Raketen bleiben am Boden

Russlands Weltraumbehörde reagierte nervös und stoppte vorerst alle Starts von Sojus-Raketen, solange die Ursache der Fehlzündung nicht einwandfrei geklärt sei. Für die Besatzung der ISS bedeutete das einerseits, ohne den geplanten Nachschub auskommen zu müssen, andererseits verschiebt sich dadurch auch der geplante Austausch der Besatzung.

Weltraumaufnahme der Internationalen Raumstation (ISS)

dapd/NASA

Die ISS soll noch bis 2020 betrieben werden

Eigentlich hätten die drei Besatzungsmitglieder am 8. September die geplante Heimreise zur Erde antreten sollen. Die ist nun auf den 16. September verlegt worden. Auch die neuen Astronauten würden nicht wie geplant am 22. September zur ISS starten, sondern erst Ende Oktober oder Anfang November, teilte die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos am Montag mit.

NASA erstmals besorgt

Mittlerweile ist auch die NASA besorgt. Eine Räumung der ISS könnte nötig sein. Sollte die Ursache für die Fehlzündung der Sojus-Trägerrakete nicht bis Mitte November gefunden sein, müssten zunächst alle Astronauten von der ISS zurück auf die Erde kommen, bevor neue hochgeschickt würden, sagte der zuständige NASA-Manager Mike Suffredini am Montag. „Wir werden machen, was am sichersten für die Crew und die Weltraumstation ist“, sagte er nach einem Bericht der Zeitung „Houston Chronicle“.

Die ISS könne „ohne ein Zusammenbrechen der notwendigen Technik“ für eine unbestimmte Dauer ohne Besatzung funktionieren, sagte Suffredini. Sowohl von russischer als auch von US-Seite wurde betont, dass noch bis mindestens Ende November genügend Sauerstoff auf der Raumstation zur Verfügung stehe. Suffredini sagte, für die Besatzung bestehe keine Gefahr. Der Abzug eines Teils oder der gesamten ISS-Crew hätten aber selbstverständlich Auswirkungen auf die Forschungsarbeiten.

Dabei hatte sich Suffredini zuvor noch zuversichtlich gezeigt: „Wir sind logistisch in einer guten Position“, zitierte das Internetportal space.com den zuständigen NASA-Manager. Die ISS-Crew verfüge über genügend Vorräte, um monatelang ohne Nachschub auskommen zu können.

Teure Schäden

Neben dem Schaden an der Reputation der russischen Weltraumindustrie ist auch der materielle Verlust enorm. 100 Millionen US-Dollar (etwa 69,3 Mio. Euro) kostet ein Flug in den Weltall. In Summe sind auch die Transportkosten für 367 Kilogramm Materialien aus den USA enthalten, die über Südsibirien verglühten.

Bevor wieder Menschen mit der Sojus-Technik transportiert werden können, müsse es erst ein oder zwei Teststarts geben, erklärte der Leiter für die bemannte Raumfahrt bei Roskosmos, Alexej Krasnow, am Montag. Und auch die Möglichkeit, die ISS eine Zeit lang gar nicht zu besetzen, wollte Krasnow nicht ausschließen - wenn auch „nur im äußersten Notfall“.

Experte tief besorgt

Die Aussicht auf ein längeres Aussetzen der Sojus-Stars löste unter Experten Alarm aus. Der Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln, Johann-Dietrich Wörner, äußerte sich tief besorgt. „Wir sind derzeit in Deutschland und Europa äußerst abhängig von der bisher zuverlässigen Sojus-Technik“, sagte Wörner der Nachrichtenagentur dpa. „Das ist kein schöner Vorgang.“

Wörner sagte, dass es eine Zeit dauern werde, bis die Unglücksursache geklärt sei. Bis dahin dürfe auch kein Raumfahrer mehr mit der Sojus-Rakete ins All gebracht werden. Aber neben der Gefahr für Menschenleben droht auch ein enormer wirtschaftlicher Schaden.

Satellitenstarts fraglich

Am 20. Oktober sollten nach bisherigen Plänen die ersten funktionstüchtigen Satelliten für das Navigationssystem Galileo mit Sojus-Raketen vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana starten. Dieser Termin dürfte nicht eingehalten werden, denn auch der Start des russischen GLONASS-Navigationssatelliten, der noch für August vorgesehen war, wurde bereits verschoben.

Auf jeden Fall will Russland eine ähnliche Blamage wie mit seiner Proton-M-Trägerrakete vermeiden. Erst Mitte August ging das Prunkstück unter den Satelliten, der Express-AM4, fast verloren, als er sich fehlerhaft von der Trägerrakete gelöst hatte und so in die falsche Erdumlaufbahn geriet. Nun versuchen Spezialisten fieberhaft, eine Verbindung zu dem TV-Satelliten herzustellen. Bereits im Februar ging ein Militärsatellit verloren, im Dezember 2010 stürzten drei Satelliten bei Hawaii in den Pazifik.

Putin fordert Überprüfungen

Der russische Regierungschef Wladimir Putin zeigt sich zunehmend ungehalten. Er forderte eine Überprüfung und befahl Roskosmos eine radikale Verbesserung der Kontrollen. Das gelte besonders für die Herstellung und die Überprüfung vor dem Start, sagte Putins Sprecher Dimitri Peskow. Erst im April hatte Moskau den Roskosmos-Chef Anatoli Perminow gefeuert und durch den Militärfunktionär Wladimir Popowkin ersetzt.

Wie nützlich sind bemannte Raumflüge?

Zumindest Popowkin dürfte über den Stillstand der Flüge zur ISS nicht allzu traurig sein. Erst Anfang August kritisierte der ehemalige Verteidigungsminister die starke Konzentration auf die bemannte Raumfahrt. Diese Flüge würden mittlerweile knapp die Hälfte des Roskosmos-Budgets ausmachen. „Wenn die Ergebnisse bemannter Raumflüge greifbar sind, sind sie nützlich“, fügte Popowkin hinzu. „Aber wenn ein Mensch einfach nur in den Orbit will, ist das meiner Meinung nach keine nützliche Tätigkeit.“

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