Kinder sterben vor den Augen der Eltern
Kein Land ist so hart von der derzeitigen Hungerkatastrophe am Horn von Afrika getroffen wie Somalia. Was die Menschen in dem von Bürgerkrieg und Dürre gebeutelten Land durchmachen, ist für westliche Maßstäbe kaum zu begreifen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Viele haben in ihren Heimatdörfern alles verloren, laufen tage- ja manchmal wochenlang durch Gebiete, in denen sie ständig von wilden Tieren und Räubern bedroht werden. Nicht selten müssen sie schließlich hilflos mitansehen, wie ihre Kinder an den Folgen von Unterernährung sterben.
Zwei Töchter „an diese schreckliche Dürre verloren“
Rahmo Ibrahim Madey ist Hunderte Kilometer weit aus dem von der radikal-islamischen Al-Schabab-Miliz kontrollierten Süden in die umkämpfte Hauptstadt Mogadischu gelaufen. Die junge Frau wollte ihre ausgezehrten Kinder retten. Aber der Kampf war vergeblich. „Ich habe zwei meiner Töchter an diese schreckliche Dürre verloren“, sagt die 29-Jährige mit Tränen in den Augen. „Fadumo und Batulo sind beide vor meinen eigenen Augen gestorben.“ Es passierte unterwegs. Eine Tochter war ein Jahr alt, die andere vier Jahre.
Zu diesem furchtbaren Trauma kommt noch hinzu, dass Madey ihren ältesten Sohn Ahmed in ihrem Heimatdorf zurücklassen musste. „Ich besitze nur noch, was ich am Körper trage“, sagt sie und deutet auf ihr rotes Kleid. „Ich habe keine Lebensmittel mehr, wenn ich diesen Haferbrei aufgegessen habe“, fügt sie hinzu und zeigt auf eine kleine Schüssel.
UNHCR: „Die Menschen haben nichts mehr“
Mittlerweile platzen selbst in Mogadischu die behelfsmäßigen Camps aus allen Nähten. Die Vereinten Nationen (UNO) schätzen, dass bisher bereits mehr als 100.000 Binnenflüchtlinge Zuflucht in der Hauptstadt gesucht haben. Diese ist selbst seit Jahren Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen der Al-Schabab-Miliz und der von der Afrikanischen Union unterstützten Übergangsregierung.
Die Situation in den Lagern in und um Mogadischu ist düster. „Die Menschen haben nichts mehr, ihre Ernten sind vernichtet, und das Vieh ist tot“, sagt Andy Needham vom Flüchtlingskomitee UNHCR. Viele würden Wasser aus verdreckten Plastiktüten trinken, weil es keine Becher oder Wasserkrüge gebe.
Nicht umsonst ist Mogadischu samt Umland seit Mittwoch eine der fünf Regionen, in denen die UNO bereits offiziell eine Hungersnot ausgerufen hat. „Die Menschen, die hier ankommen, sind alle in einem wirklich schlechten Zustand“, sagt UNO-Ernährungsexpertin Grainne Moloney.
Regenfälle kommen zu spät
Zudem leiden die Flüchtlinge seit Tagen unter extrem starken Regenfällen, was fast wie Ironie anmutet, sind sie doch auf der Flucht vor der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren. Für die Hungernden stellen die Wassermassen hingegen ein zusätzliches Drama dar, da es durch die behelfsmäßig aufgespannten Plastikplanen und Stofffetzen regnet. Ein paar Tage Regen reichen zudem natürlich nicht aus, um den ausgedörrten Boden in der Region wieder fruchtbar zu machen.
„Alle Zelte sind undicht“, erklärt der 59-jährige Flüchtling Ey Sitey. „Wir brauchen Nahrung, schützende Unterkünfte und Toiletten.“ Denn trotz aller Bemühungen internationaler Organisationen fehlt es für die Binnenflüchtlinge in Mogadischu weiter am Nötigsten. „Und immer mehr Leute kommen hier jeden Tag an. Das wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern“, sagt Needham vom Flüchtlingskomitee UNHCR.
Ansturm auf Ernährungszentren
Da die meisten Ankommenden weder Feuerholz noch Kochtöpfe haben, verteilt das Welternährungsprogramm (WFP) unterdessen in Ernährungszentren, die über die Stadt verteilt sind, warme Mahlzeiten an die Hungernden. Aber diese Maßnahmen können immer nur kurzzeitig Linderung bringen - und sie reichen bei weitem nicht aus, um dem Ansturm Herr zu werden.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) arbeitet deshalb bereits an Langzeitlösungen für das gebeutelte Land. „Wir führen landwirtschaftliche Projekte durch, die darauf abzielen, dass die Menschen wieder pflanzen und ernten können, wenn die nächste Regenzeit kommt“, sagt IKRK-Sprecherin Anna Schaaf.
Carola Frentzen und Shabtai Gold, dpa