Themenüberblick

Reisefreiheit mit Einschränkungen

Die seit vier Jahren bestehende Blockade des Gazastreifens ist von ägyptischer Seite erstmals wieder gelockert worden. Ägypten öffnete am Samstag seinen Grenzübergang in Rafah für den Personenverkehr. Damit will Ägypten die Versöhnung zwischen den zerstrittenen Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas fördern - und nimmt dafür auch Irritationen mit Israel in Kauf.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Seit 2007, als die Hamas die Kontrolle über den Gazastreifen übernahm, war die Grenze ins benachbarte Ägypten geschlossen. Am Samstag hob sich der Grenzbalken wieder. Allerdings handelt es sich um eine neue Reisefreiheit mit Einschränkungen. Die Gaza-Einwohner müssen sich weiterhin bei der Innenbehörde in Gaza zuerst eine Ausreisegenehmigung besorgen.

Am ersten Tag nützten 270 Personen die Gelegenheit für einen Ausflug auf die andere Seite der Grenze. Einige um einzukaufen, andere waren schwer mit Gepäck beladen und dürften wohl einen längeren Aufenthalt außerhalb des Gazastreifens planen. Die Warteliste für Sondergenehmigungen ist lang und reicht bis zum 1. Juli.

Passkontrolle in Rafah

Reuters/Suhaib Salem

Passkontrollen am wiedereröffneten Grenzposten Rafah.

Auch dürfen vorerst nur Frauen und Kinder problemlos aus dem Gazastreifen ausreisen. Alle Männer im Alter zwischen 18 und 40 Jahren müssen aus Sicherheitsgründen vor Reiseantritt bei den ägyptischen Behörden eine Sondergenehmigung einholen.

Shoppingtour nach Ägypten

Erwartet wird, dass trotzdem Tausende die Gelegenheit nützen werden, um jenseits der Grenze einzukaufen. Vorerst ist ein freier Warenverkehr noch nicht vorgesehen, jedoch gibt es Signale aus Kairo, dass der Import von „politisch korrekten“ Gütern in den Gazastreifen bald möglich sein könnte. Zumindest dürften private Investoren damit rechnen, dass dringend benötigtes Baumaterial bald zugelassen wird, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) berichtete. Am Donnerstag wurde ein Fonds in der Höhe von einer Milliarde Dollar zum Wiederaufbau eingerichtet.

Versorgung bisher nur über Tunnel

Rafah ist der einzige Grenzübergang zum Gazastreifen, der nicht von Israel kontrolliert wird. Israel und Ägypten hatten ihre Grenze zum Küstengebiet geschlossen, nachdem die radikal-islamische Palästinenserorganisation dort im Juni 2007 die Macht gewaltsam an sich gerissen hatte. Für ihre Versorgung waren die 1,6 Millionen Einwohner deshalb bisher vorwiegend auf illegale Tunnel unter der Grenze bei Rafah angewiesen, durch die aber auch Waffen geschmuggelt werden.

Schmuggeltunnel unter der Grenze bei Rafah

Reuters/Ibraheem Abu Mustafa

Über Tunnel wurde alles Lebensnotwendige in den Gazastreifen geschmuggelt.

EU-Grenzkommission nicht informiert

Mit der Grenzöffnung kehrt die neue Regierung in Ägypten zu den Bestimmungen zurück, die vor der Machtübernahme der Hamas vorherrschten. Damals waren jedoch EU-Beobachter am Grenzort stationiert, die die Lage überwachten. Die neuerliche Öffnung findet nun zwar mit Zustimmung der EU, aber ohne Kontrolle statt. Ein Sprecher der EU-Grenzmission sagte am Donnerstag, man habe noch keine Aufforderung zur Rückkehr an die Grenze bekommen.

Die Öffnung soll die Versöhnung zwischen den ehemals tief zerstrittenen Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah sowie die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit fördern, heißt es aus Kairo. Die Entscheidung sei laut einer Sprecherin des Außenministeriums gefällt worden, ohne andere Regierungen zu konsultieren.

Israel fürchtet Zunahme bei Waffenschmuggel

Israel reagierte besorgt über die Öffnung. Heimatschutzminister Matan Vilnai sagte am Donnerstag, es handle sich um „den ersten Schritt in Richtung einer neuen regionalen Ordnung, die für Israel sehr problematisch ist“. Nach der Lockerung durch Ägypten befürchtet Israel, dass sich die radikal-islamische Hamas-Organisation wesentlich einfacher mit Waffen und Bargeld eindecken kann.

Hamas erfreut

Die Hamas hatte die Öffnung als „richtige Entscheidung, die das Leben der Bevölkerung erleichtern und ihr Leid verringern wird“, begrüßt. Erst vor kurzem hatte die Nothilfe-Koordinatorin der Vereinten Nationen, Valerie Amos, auf den äußerst kritischen Zustand der wirtschaftlichen Lage und insbesondere der Gesundheits- und Nahrungsmittelversorgung im Gazastreifen verwiesen. Amos schätzte, dass derzeit mehr als eine Million Menschen auf Nahrungslieferungen angewiesen sind und rief deshalb zur Aufhebung der Blockade auf.

Umkämpftes Stück Land

Ägypten hatte den Gazastreifen zwischen 1949 und 1967 verwaltet. Israel eroberte im Sechstagekrieg von Ägypten die Sinai-Halbinsel sowie den Gazastreifen. Die Sinai-Halbinsel gab Israel nach dem separaten Friedensschluss 1979 zurück an Ägypten. Aus dem Gazastreifen zog sich die israelische Armee dagegen erst 2005 zurück; die israelischen Siedlungen in dem Küstenstreifen wurden geräumt.

Seit 2007 wird der Gazastreifen von der Hamas kontrolliert. Bei der dreiwöchigen israelischen Gaza-Offensive zwischen Dezember 2008 und Jänner 2009 mit der Bezeichnung „Gegossenes Blei“ gegen andauernde Raketenangriffe wurden mehr als 1.400 Palästinenser getötet.

Links: