US-Kongress prüft Militärhilfe
Offiziell haben die USA Pakistan nicht beschuldigt, Al-Kaida-Chef Osama bin Laden Unterschlupf gewährt zu haben. Informell geht die US-Regierung aber davon aus, dass, wenn schon nicht die pakistanische Zivilregierung, zumindest Teile des Militärs und des Geheimdienstes von Bin Ladens Aufenthaltsort wussten.
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Der Geheimdienst ISI sei „im besten Fall bewusst blind“ gewesen, zitierte die „New York Times“ den ehemaligen CIA-Agenten Art Keller, der an der Suche nach Bin Laden beteiligt war: „Bewusste Blindheit ist in Pakistan ein Überlebensmechanismus.“ Die US-Regierung forderte Pakistan auf, die Helfer Bin Ladens zu ermitteln. Mögliche Konsequenzen sind bereits absehbar. So möchte etwa der US-Kongress prüfen, ob die Militärhilfe von 1,3 Milliarden Dollar an Pakistan erneuert werden soll.
Am Montag nahm Pakistans Premier Yusuf Raza Gilani im Parlament zu den Vorgängen rund um Bin Ladens Tötung Stellung und kämpfte für die Unterstützungsbereitschaft der USA. Er wies jegliche Vorwürfe der Komplizenschaft und Inkompetenz pakistanischer Behörden zurück. Solche Anschuldigungen seien „absurd“. Er räumte zwar ein Versagen der Geheimdienste ein, „aber das ist nicht nur unser eigenes Versagen, sondern das Versagen aller Geheimdienste dieser Welt“.
Untersuchungskommission zu Bin Laden
„Al-Kaida wurde nicht in Pakistan geboren“, ergänzte er. Sein Land dürfe deshalb nicht für die Taten des Terrornetzwerks verantwortlich gemacht werden. Pakistan sei entschlossen, „den Terrorismus auszulöschen“. Zudem kündigte Gilani eine Untersuchungskommission zu Bin Ladens Aufenthalt in Pakistan unter der Leitung eines ranghohen Generals an. Allerdings kritisierte der Premier auch den US-Angriff. Solche unilateralen Aktionen könnten ernste Konsequenzen mit sich bringen, ließ er in seiner Rede wissen. Gleichzeitig betonte er aber die Wichtigkeit, die Pakistan den Beziehungen zu Washington beimesse.
„Mord an unserer Ehre“
Die pakistanische Regierung war wegen des einseitigen Vorgehens der USA auf pakistanischem Gebiet auch innenpolitisch unter Druck geraten. Gilani wurde vorgeworfen, nicht die Souveränität seines Landes geschützt zu haben. Selbst aus der eigenen Volkspartei PPP gab es Rücktrittsforderungen an ihn und Präsident Asif Ali Zardari. Verlangt wurde auch die Bestrafung der Führung von Armee und Geheimdienst ISI, weil sie das Eindringen der Amerikaner nicht bemerkt habe.
„Die Abbottabad-Operation war der Mord an unserer Ehre und zeigt, dass es keine Regierung in diesem Land mehr gibt“, kritisierte der Fraktionschef der wichtigsten Oppositionspartei PML-N, Chaudry Nisar Ali Khan.
Die pakistanische Regierung begrüßte den Tod Bin Ladens und gestand „Versäumnisse“ bei den Erkenntnissen über Bin Ladens Aufenthaltsort ein. Gleichzeitig zeigte sich das Land aber auch verärgert und kritisierte die USA, die Souveränität Pakistans durch die Bin-Laden-Aktion verletzt und den Al-Kaida-Chef und andere Unbewaffnete „kaltblütig“ erschossen zu haben.
Konsequenzen angekündigt
Dennoch hatte der pakistanische Botschafter in den USA, Husain Haqqani, bereits personelle Konsequenzen wegen des angeblich jahrelang unentdeckt gebliebenen Verstecks Bin Ladens angekündigt: „Es werden Köpfe rollen, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist.“ Pakistan wolle sämtliche „Bedenken der Welt“ über die Rolle des Landes im Fall Bin Laden ausräumen. Der pakistanische Innenminister, Rehman Malik, dementierte am Montag gegenüber der saudischen Zeitung „Okas“ aber jegliche Rücktrittsoptionen. „Niemand wird zurücktreten, weder der Innenminister, noch der Ministerpräsident, nicht der Geheimdienstchef und auch nicht der Präsident.“
US-Präsident Barack Obama hatte Pakistan aufgefordert, selbst Untersuchungen einzuleiten. In einem CBS-Interview betonte Obama, dass Bin Laden ein Unterstützernetzwerk in Pakistan gehabt haben müsse, er aber nicht wisse, ob es sich dabei um offizielle Regierungsvertreter handle. „Das ist etwas, das wir untersuchen müssen, und noch wichtiger, das die pakistanische Regierung untersuchen muss.“
Unterschlupf für weitere Terroristen?
Der Fall Bin Laden schürt auch die Unsicherheit, welche Terroristen noch Unterschlupf in Pakistan finden. Es gibt Augenzeugenberichte, dass Bin Ladens Aiman Al-Sawahiri in Extremistentrainingslagern in Pakistan gesehen wurde. Als offenes Geheimnis gilt zudem, dass der Führungsrat der afghanischen Taliban von Pakistan aus den Aufstand führt. „Ich glaube, es gab wirkliche Ignoranz auf höchster Ebene und geheimes Einverständnis auf lokaler Ebene“, analysiert der ehemalige General Talat Masood im Reuters-Interview.
Eine Möglichkeit, das Image zu verbessern, wären Festnahmen von hochrangigen Terroristen durch pakistanische Sicherheitskräfte. Schon Zardari-Vorgänger Pervez Musharraf präsentierte überraschende Verhaftungserfolge, wenn der internationale Druck zu groß wurde. Nach der Erfolgsmeldung verschwanden Festgenommene aber meist. Auch von Prozessen wurde kaum etwas bekannt. Einige der verhafteten Extremisten erschienen wieder - auch auf der Seite der Taliban in Afghanistan.
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