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USA setzen auf Macht der Bilder

Mit der Veröffentlichung beschlagnahmter „Heimvideos“ des Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden ist den USA wohl ein wichtiger Schachzug nach der Erschießung des meistgesuchten Terroristen gelungen. Die Videos geben einen ersten, teils überraschenden Einblick, wie Bin Laden die letzten Jahre seines Lebens verbrachte. Und sie erfüllen gleich mehrere Zwecke.

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Die bisher unbekannten Aufnahmen wurden bei der Kommandoaktion der US-Eliteeinheit Navy SEALs beschlagnahmt, bei der Bin Laden am vergangenen Montag in der pakistanischen Stadt Abbottabad getötet worden war. Knapp eine Woche später präsentierte die US-Regierung am Samstag fünf Videoclips.

Die Auswahl wurde gewiss sorgfältig getroffenen. Denn die gezeigten - tonlosen - Videos sind laut Aussagen der US-Behörden nur ein Bruchteil des Materials, das bei der Operation sichergestellt wurde. Noch nie zuvor sei es gelungen, so viele Daten und Unterlagen eines Topterroristen zu beschlagnahmen. Auch Telefonnummern und andere Dokumente wurden sichergestellt.

Der Eindruck, der bleibt

Die Hauptabsicht des Publikmachens der Bänder dürfte darin liegen, der Öffentlichkeit und Bin Ladens Anhängern im Besonderen ein entmystifiziertes und unvorteilhaftes Bild ihres Anführers zu zeigen. Der Al-Kaida-Chef sieht in den gezeigten Privataufnahmen weitaus älter aus, als man ihn bisher kannte, scheint aber zugleich auf ein jüngeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit sehr großen Wert gelegt zu haben.

Osama bin Laden vor einem Fernsehgerät

Reuters/Pentagon

Bin Laden verfolgt Bilder von sich selbst im Fernsehen.

Einer der insgesamt fünf Videoclips zeigt den stark gealterten Al-Kaida-Chef mit grauem Haar und Bart. Gebeugt sitzt er mit einer Decke über den Schultern und einer Strickkappe auf dem Kopf vor dem Fernseher. Der Raum ist karg und schäbig, mit nackten Wänden und herabhängenden Kabeln. Mit einer Fernbedienung in der Hand betrachtet Bilder von sich selbst im Fernsehen, während er gelegentlich nickend vor- und zurückwippt.

„Das Bild, das sich den Menschen eingräbt, wird das eines alten, einsamen Mannes sein“, so eine Kommentatorin im US-Fernsehsender CNN. „Mir fiel sofort das Bild von Saddam Hussein in seinem Erdloch ein“, zitierte die Nachrichtenagentur dpa eine Studentin in Washington. Und ein Blogger auf der Website von CNN schrieb: „Wer auch immer die Idee hatte, diese Videos anstatt Osamas Leiche zu zeigen - er hat eine Gehaltserhöhung verdient.“

Proben für eine Videobotschaft

Ein anderes Video, das nach US-Angaben vermutlich zwischen dem 9. Oktober und dem 5. November 2010 aufgenommen wurde, ist im Stil von Al-Kaida-Propagandabotschaften gedreht. Die sechsminütige Aufzeichnung trage den Titel „Eine Botschaft an das amerikanische Volk“, sagte ein ranghoher US-Geheimdienstvertreter. Zu sehen ist, wie Bin Laden einen Text abliest, sein Bart ist nun sorgfältig gestutzt und schwarz gefärbt.

Die drei übrigen Videos zeigen jeweils Aufnahmeversuche, die wegen Problemen mit dem Licht oder dem Text abgebrochen wurden. Alle Videos wurden ohne Ton veröffentlicht, um einer Verbreitung eventueller Terrorbotschaften vorzubeugen. Bin Laden in seiner Freizeit und Bin Laden als Anchorman von Terrorvideobotschaften - der Unterschied könnte kaum größer sein.

„Kommando- und Kontrollzentrum“

Neben der wohl gelungenen Entmystifizierung müssen die USA die Tötung Bin Ladens freilich weiter rechtfertigen. CIA-Chef Panetta erklärte am Samstag, die Dokumente zeigten „erneut, wie wichtig es war, Bin Laden zu verfolgen“. Die jahrelange Fahndung nach ihm zeige „die Ausdauer, das Geschick und den Mut“ der CIA.

Für den US-Geheimdienst gilt das Videomaterial als Beleg dafür, dass der Al-Kaida-Chef bis zu seinem Tod „aktiv“ gewesen ist und seiner Terrorgruppe aus seinem Versteck in Abbottabad Anweisungen erteilt hat. Die Daten zeigten, „dass das Gelände in Abbottabad ein aktives Kommando- und Kontrollzentrum für den Al-Kaida-Chef war“, so ein Geheimdienstmitarbeiter.

Was die Ermittler zu diesem Schluss bringt, wird zumindest aus dem ausgestrahlten Material allerdings nicht ganz klar, zumal die Öffentlichkeit das, was in den Filmen Bin Ladens gesagt wird, nicht erfahren soll.

Erste Spekulationen über Nachfolger

Die Videos gäben keinen Aufschluss über den Verbleib von Bin Ladens Stellvertreter und möglichem Nachfolger Aiman al-Sawahri, hieß es. Über Sawahiri sagte der Nationale Sicherheitsberater der USA, Tom Donilon, dieser stehe nicht auf einer Stufe mit Bin Laden. Zuvor hatten US-Geheimdienstvertreter bereits gesagt, der Ägypter sei in gewissen Kreisen von Al-Kaida „nicht beliebt“.

Als einen der wichtigsten Al-Kaida-Führer auf der arabischen Halbinsel stuft die US-Regierung den Prediger Anwar al-Aulaqi ein. Er entkam nach Angaben von Stammesvertretern und US-Medien am Donnerstag einem US-Raketenangriff im Süden des Jemen. Aulaqi soll mehrere Anschläge gegen die USA vorbereitet haben.

Pakistan bezweifelt aktive Terrorrolle

Pakistan wies die US-Darstellung, wonach Bin Laden von seinem letzten Wohnort aus das Terrornetzwerk geleitet haben soll, unterdessen als „lächerlich“ zurück. „Das ist absoluter Unsinn“, sagte ein hochrangiger Mitarbeiter des pakistanischen Geheimdienstes. In dem Haus habe es weder Telefon noch Internet gegeben.

Pakistan war zuletzt selbst immer mehr unter Druck geraten, weil Bin Laden dort über Jahre unerkannt bleiben konnte. Donilon sagte in der Sendung „Meet the Press“ von NBC, die USA hätten bis dato keine Beweise dafür, dass die pakistanische Regierung, das Militär oder die Geheimdienste über den Aufenthaltsort Bin Ladens informiert gewesen seien. Allerdings müsse die jahrelange Residenz Bin Ladens „untersucht“ werden, forderte Donilon.

Obama glaubt an „Netzwerk von Unterstützern“

Auch Obama sagte in einem CBS-Interview am Sonntag, dass er glaube „dass es ein Netzwerk an Unterstützern in Pakistan für Bin Laden gegeben haben muss“. Dieses müsse die pakistanische Regierung untersuchen. Gleichwohl gebe es keine Informationen darüber, wer die Helfer Bin Ladens seien, fügte Obama hinzu. „Wir wissen auch nicht, ob Mitglieder der Regierung daran beteiligt waren“, sagte er dem Sender weiter.

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