Themenüberblick

Heikles Treffen der EU-Innenminister

In der EU spitzt sich der Streit über den Umgang mit Flüchtlingen aus Nordafrika zu. Italien fühlt sich mit dem Problem alleingelassen und will Tausende Afrikaner innerhalb der EU weiterreisen lassen. Proteste kamen zunächst aus Frankreich, nun wollen deutsche Bundesländer die mit dem Schengen-Abkommen ausgesetzten Grenzkontrollen wieder einführen. Die EU-Innenminister stehen bei ihrem Treffen am Montag vor heißen Debatten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Rom hatte am vergangenen Donnerstag angekündigt, tunesischen Flüchtlingen, die bis zu einem bestimmten Stichtag ankamen, befristete Aufenthaltsgenehmigungen zu geben. Damit könnten sie auch in andere EU-Staaten einreisen. Später angekommene Tunesier will Rom von Montag an nach Tunis ausfliegen. Rom pocht auf eine europäische Lösung. „Europa kann sich der Sache nicht entziehen“, hatte der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi am Samstag bei einem Besuch auf der Mittelmeer-Insel Lampedusa gemeint.

Protest von Frankreich und Deutschland

Weil es im Schengen-Raum keine Grenzkontrollen mehr gibt, fürchtet vor allem Frankreich einen Flüchtlingsstrom - die meisten Migranten aus Nordafrika sprechen Französisch oder haben bereits Verwandte oder Freunde in dem Land. Paris lehnt die Aufnahme von Tunesiern ab und verweist darauf, dass die Einreise in ein anderes Land auch innerhalb der Schengen-Zone nur erlaubt ist, wenn Reisende Ausweispapiere und Geld haben. Diese Auffassung wurde von der EU-Kommission bestätigt.

Auch Deutschland protestierte gegen das Vorgehen Italiens: Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wolle beim Treffen in Luxemburg deutlich machen, dass das gegen den Geist des Schengen-Abkommens verstoße, sagte ein Ministeriumssprecher. Nach EU-Recht ist das Land, in dem Flüchtlinge EU-Boden betreten, für die Prüfung von Asylanträgen und Aufenthaltsbegehren zuständig.

EU-Kommission: Keine „Massenflucht“

Von einer Massenflucht nordafrikanischer Flüchtlinge nach Europa kann nach Ansicht der EU-Kommission keine Rede sein. Die für Flüchtlingsfragen zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström sieht deshalb keinen Anlass, eine europäische Richtlinie zu aktivieren, um Flüchtlinge auf andere europäische Länder zu verteilen. „An diesem Punkt sind wir noch nicht“, sagte Malmström beim Treffen der EU-Innenminister. „Man kann auch solidarisch sein, ohne Regeln zu haben.“

Bayern und Hessen überlegen Kontrollen

Das Land Bayern will die Einwanderung tunesischer Flüchtlinge notfalls mit der Wiedereinführung von Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze verhindern. „Wir werden es nicht hinnehmen, dass die italienische Regierung die Tunesier einfach zu Touristen erklärt und sie auf diese Weise in andere Länder schiebt“, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in der „Welt am Sonntag“.

Hermann sagte, die gegebenenfalls nötigen „lageangepassten Grenzkontrollen“ würden das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien erheblich belasten. „Deshalb erwarten wir von Regierungschef Silvio Berlusconi, dass sein Land das Einwandererproblem selbst regelt und nicht auf andere EU-Länder ablädt.“ Berlusconi würde sich einen Gefallen tun, wenn er Wirtschaftsflüchtlinge konsequent wieder in deren Heimat zurückbringen ließe, sagte Herrmann. „Dazu müsste die italienische Marine wohl in der Lage sein.“ Italien sei ein so großes Land, dass es auch 23.000 tunesische Migranten aufnehmen könne.

Auch der hessische Innenminister Boris Rhein, der derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz der Bundesländer ist, sagte der „Welt“, wenn Italien Visa an Flüchtlinge vergebe, „dann wird zu erwägen sein, ob in Deutschland das Schengen-System vorübergehend außer Kraft gesetzt wird.“

Fekter verstärkt Grenzsicherung

Nach Angaben der „Kronen Zeitung“ (Sonntag-Ausgabe) verstärkt Österreich die Sicherung der Südgrenze. Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) habe angeordnet, vor allem in Tirol, aber auch in Kärnten verstärkt Durchzugsverbindungen von Süd nach Nord zu überprüfen. Dazu gehören Kontrollen der internationalen Reisezüge aus Italien, aber auch Kontrollen von Regionalverbindungen wie etwa die vom Brenner nach Innsbruck.

Fekter erklärte im Vorfeld des EU-Innenministertreffens gegenüber der „Kronen Zeitung“, die EU-Kommission sitze „am falschen Dampfer, wenn sie illegale Migranten ähnlich behandelt wie tatsächliche Flüchtlinge“. Wenn man Illegale nach Europa einsickern lasse und dann nur mit den Achseln zucke, brauche man sich über die fatalen Folgen nicht zu wundern.

„Europa kann nicht wegschauen“

Die UNHCR-Vertreterin Melitta Hummel-Sunjic ruft Europa dazu auf, sich seiner humanitären Traditionen zu besinnen. Im Ö1-Morgenjournal sagte sie, der UNO-Hochkommissar ersuche die EU vor allem darum, zunächst Ägypten und Tunesien zu unterstützen - mehr dazu in oe1.ORF.at. Denn diese beiden Ländern hätten die meisten Flüchtlinge aufgenommen - Ägypten 200.000, Tunesien weit mehr als 200.000 Menschen. Nur ein Bruchteil, rund 25.000, sei nach Malta und Lampedusa gekommen.

Vergleichsweise wenige von ihnen seien politische Flüchtlinge: In Libyen seien es 8.000 bis 10.000 Menschen, etwa aus Somalia und Eritrea, die jetzt zum zweiten Mal flüchten. „Und für diese Leute bitten wir als UNHCR um Aufnahme. Die haben eine solche Odyssee hinter sich, da kann Europa nicht wegschauen.“

Links: