Das saftige Stück Fleisch des Einbrechers
Der Debatte über das Verhältnis von alten und neuen Medien hat sich der kanadische Medientheoretiker Herbert Marshall McLuhan, der heuer seinen 100. Geburtstag feiern würde, bereits in den 1960er Jahren gewidmet. Die Kulturgeschichte liest McLuhan, der über sein Diktum, dass das Medium selbst (und nicht dessen „Inhalt“) die Botschaft sei, berühmt wurde, als eine Serie von Medienumbrüchen.
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Das Verhältnis von alten und neuen Medien fokussiert McLuhan zu Beginn der 1960er Jahre, rund um die Veröffentlichung seiner zwei großen Standardwerke „The Gutenberg Galaxis“ (1962) und „Understanding Media“ (1964). McLuhan löst sich von der Fixierung auf Inhalte in der Auseinandersetzung mit Medien, um Struktur und Gestalt direkt ins Auge zu fassen. Die Fixierung auf den Inhalt mache blind für die Wesensart des Mediums. „Denn der ‚Inhalt‘ eines Mediums“, so McLuhan in „Understanding Media“, „ist mit dem saftigen Stück Fleisch zu vergleichen, das ein Einbrecher mit sich führt, um die Aufmerksamkeit des Wachhundes abzulenken.“
Die „Botschaft“ der Medien
Die „Botschaft“ jedes Mediums sei die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, „die es der Situation des Menschen bringt“: „Die Eisenbahn hat der menschlichen Gesellschaft nicht Bewegung, Transport oder das Rad oder die Straße gebracht, sondern das Ausmaß früherer menschlicher Funktionen vergrößert, beschleunigt und damit vollkommen neuen Arten von Städten und neue Arten der Arbeit und Freizeit geschaffen.“ Die Verbreitung des gedruckten Buches hatte McLuhan in seiner davor veröffentlichten „Gutenberg Galaxis“ als Motor für Nationalstaat und Nationalismus ausgemacht.
Die neue Buchkultur, die durch die Erfindung der Gutenbergpresse in der Mitte des 15. Jahrhunderts in die Wege geleitet wurde, brachte für McLuhan die Dominanz der visuellen Kultur über die Hör- und mündliche Kultur. Entscheidend ist für McLuhan die visuelle Homogenisierung von Erfahrung durch die gedruckte Kultur. Die Veränderung der Wahrnehmung wirkt sich für McLuhan auch auf die soziale Organisation aus. Protestantismus, vor allem aber Nationalstaat und Nationalismus sind für McLuhan Ergebnis der Wirkung der Drucktechnologie und des dadurch möglichen raschen Zirkulierens von Identitäten.
Neue Medien schärfen Blick auf alte Medien
Wenn McLuhan in „Understanding Media“ Überlegungen von der „Gutenberg Galaxis“ auf das „elektrische“ Zeitalter überträgt, dann muss er sich auch dem Ineinandergreifen von alten und neuen Medien nähern. In einer Konferenz an der Ohio State University im Herbst 1960 erläuterte McLuhan sehr plastisch, was passiert, wenn ein neues Medium ein altes scheinbar verdrängt.
„Ich denke“, so McLuhan in der Diskussion mit dem prominenten Kulturkritiker David Seldes und dem Kommunikationswissenschaftler Edgar Dale, „dass einem, sobald ein ein neues Medium auftaucht, die Grundeigenschaften älterer Medien deutlicher bewusst werden. Ich denke, uns ist heute besser bewusst, was Print ist, als uns das in der Vergangenheit klar war. Radio hat mehr von einer eigenen Identität angenommen ab dem Moment, in dem das Fernsehen auftauchte, und dem Film ging es genauso.“ Teil von Medienrevolutionen sei, dass sie die Grundeigenschaften alter Medien klarer zu Bewusstsein brächten.
„Kein Medium“, so McLuhan in „Understanding Media“, „hat Sinn und Sein aus sich allein, sondern immer nur in der Wechselwirkung mit anderen Medien.“
Buchhinweis
McLuhans Überlegungen zum Verhältnis von alten und neuen Medien finden sich im Kapitel „Popular/Mass Culture“ im McLuhan-Band „Understanding me. Lectures und Interviews“, hg. von Stephanie McLuhan und David Staines, MIT Press (ca. 14 Euro).
Auch alte Medien müssen sich neu finden
Neue Medien, so der aus der Literaturwissenschaft kommende und gerade am modernen Roman geschulte McLuhan, würden auch die Haltung in scheinbar älteren Medien beeinflussen. Der alte „Standpunkt-Journalismus“, der noch alle Nachrichten aus einem Blickwinkel heraus arrangierte und überarbeitete, sei mit dem Aufkommen des Fernsehens obsolet geworden: „So wie die Nachrichten parallel in die Stuben der Zeitungen in hoher Geschwindigkeit hineinfließen, ändert sich auch die Erzählhaltung dieser Medien hin zu einem neutraleren, objektiveren Ton.“
Man müsse sich, so McLuhan, der kein Internet und schon gar kein Facebook kannte, auf die gesamte Veränderung unserer Auffassung des Privaten im Verhältnis zum Staat und zur Gesellschaft im elektrischen Zeitalter einstellen.
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