Truppen in Sirte zusammengezogen
Während die Rebellen in Libyen in den letzten Tagen mit westlicher Luftunterstützung mehrere wichtige Städte unter ihre Kontrolle gebracht haben, zeichnen sich nun erbitterte Gefechte um die Stadt Sirte ab. Nicht nur, weil die Hafenstadt gleichfalls von strategischer Bedeutung ist, sondern weil sie der Geburtsort von Machthaber Muammar al-Gaddafi ist.
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Am Dienstag hieß es in mehreren Kommentaren, Al-Gaddafi würde alles Verfügbare aufbieten, um seine Gegner vor der Stadt zu stoppen. Tatsächlich kam ein Vorstoß der Rebellen in Richtung der Stadt, in der Al-Gaddafi 1942 geboren wurde, in der Nacht auf Dienstag zum Erliegen. Die Regimetruppen hätten Angriffe der Rebellen mit Artillerie und Granatwerfern zurückgeschlagen, hieß es.
Vorstoß gestoppt
Die Aufständischen seien über Bin Dschawad, das sie am Sonntag eingenommen hatten, nicht hinausgekommen, berichteten arabische und britische TV-Korrespondenten aus der Region. Sirte, eine Stadt mit mehr als 130.000 Einwohnern, liegt an der Küstenstraße, die die Hauptstadt Tripolis - das Machtzentrum Al-Gaddafis - mit der Rebellenhochburg Bengasi im Osten des Landes und den wichtigsten Erdölexporthäfen verbindet. Der Militärflughafen von Sirte hat zwei Startbahnen von 3,6 Kilometer Länge.
Am Dienstag mussten die Rebellen Berichten zufolge Bin Dschawad aufgeben. Daraufhin attackierten Al-Gaddafis Truppen die 60 Kilometer östlich gelegene Raffinieriestadt Ras Lanuf, berichtete Al-Jazeera. Zuvor seien die Rebellen in langen Autokolonnen aus Bin Dschawad geflohen. Kommandeure der Rebellen klagten darüber, dass viele Rebellen nicht willens seien, sich einer militärischen Befehlsstruktur unterzuordnen.
„Telegraph“ zieht drastischen Vergleich
Vor Ausbruch der Unruhen soll Al-Gaddafi Pläne gehegt haben, seine Geburtsstadt zur faktischen Hauptstadt des Landes zu machen. Deshalb hat die Kontrolle über Sirte auch einen entsprechenden Propagandawert. Die Stadt werde das „Stalingrad“ Libyens, hieß es am Dienstag sinngemäß im britischen „Telegraph“. An der Stadt würden die Rebellen wahrscheinlich scheitern. Die Stadt sei nicht nur eine Bastion der letzten Anhänger Al-Gaddafis und eine seines eigenen Stammes, der Gadadfa, sondern biete auch ideale Verteidigungsmöglichkeiten gegen Angriffe von außen.
Al-Gaddafi-loyale Truppen, bewaffnet mit schweren Maschinengewehren, hätten sich bereits am Montag auf den Weg nach Sirte gemacht, berichtete der britische „Guardian“, der in der Stadt ebenfalls die „Entscheidungsschlacht“ zwischen Anhängern und Gegner des Regimes erwartet, die sich über Wochen ziehen könnte.

Graphi-Ogre/ORF.at (Montage)
Im Zentrum der Stadt seien in der Nacht bewaffnete Anhänger Al-Gaddafis aufmarschiert. Rund um Sirte soll auch eine Brigade der Regierungstruppen unter dem Kommando von Al-Gaddafis Sohn Al-Saadi zusammengezogen worden sein.
NATO: Nur Schutz von Zivilisten
Die Stadt einzunehmen dürfte den Rebellen, die ihre Erfolge der letzten Tage zu einem großen Teil der Unterstützung aus der Luft verdanken, folglich schwerfallen, insbesondere, da auch die NATO zuletzt klargemacht hat, dass es ihr um den Schutz libyscher Zivilisten vor Al-Gaddafis Truppen gehe und nicht darum, den Rebellen einen Schutzschirm zu bieten.

Reuters/Youssef Boudlal
Konvoi der Rebellen auf dem Vormarsch
Russland und andere Länder hatten zuvor kritisiert, dass das Eingreifen der NATO mit Hunderten Luftangriffen bereits weit über das Mandat der UNO-Resolution zu Libyen hinausgehe. Am Dienstag befanden sich die Rebellen rund 100 Kilometer von Sirte entfernt, zahlreiche Zivilisten flohen bereits aus der Stadt, die Rebellen zogen sich zurück - Video dazu in iptv.ORF.at.
Über 700 Angriffe aus der Luft
Auf die Truppen Al-Gaddafis wurden laut Angaben des US-Militärs seit Beginn des internationalen Einsatzes vor etwa eineinhalb Wochen mehr als 700 Luftangriffe geflogen. US-Vizeadmiral Bill Gortney unterstrich, dass der internationale Einsatz keine „direkte Unterstützung“ der Opposition sei, die Rebellen aber von den Angriffen profitierten.
Seit dem 19. März seien 1.602 Lufteinsätze geflogen worden, davon 735 Angriffe, so der Admiral. Gortney zog aber eine eher ernüchternde Bilanz: Seiner Ansicht nach erzielten die libyschen Rebellen in den vergangenen Tagen trotz der westlichen Luftunterstützung wenige Erfolge. Die Oppositionellen seien nicht stark, sagte Gortney am Montag.
US-Armee schoss auf libysche Schiffe
Die US-Armee attackierte indes mehrere libysche Schiffe vor der Küste des Landes. Das libysche Küstenwacheschiff „Vittoria“ und zwei kleinere Boote hätten am Montagabend „wahllos“ auf Handelsschiffe im Hafen der Stadt Misrata gefeuert, teilte das Afrika-Regionalkommando der US-Streitkräfte (Africom) in Stuttgart am Dienstag mit.
Nachdem mehrere Detonationen in der Nähe des Hafens beobachtet worden seien, hätten die US-Streitkräfte aus der Luft das Feuer eröffnet. Das Küstenwachschiff sei außer Gefecht gesetzt worden. Von den beiden kleineren Booten sei eines zerstört worden, die Mannschaft des zweiten habe das Boot aufgeben müssen.
„Stoppt barbarische Aggression“
Al-Gaddafi verglich unterdessen den internationalen Militäreinsatz mit den Kriegszügen der Deutschen unter Adolf Hitler. „Stoppt diese barbarische Aggression gegen Libyen! Lasst die Libyer in Ruhe!“, schrieb Al-Gaddafi in einer Botschaft an europäische und amerikanische Parlamentarier. „Wir sind ein Volk, das hinter seiner Führung steht, wir bekämpfen den Terrorismus von Al-Kaida auf der einen und den Terrorismus der NATO, der Al-Kaida nützt, auf der anderen Seite“, fuhr er fort.
Totgesagter Al-Gaddafi-Sohn im TV
Das libysche TV zeigte in der Nacht auf Dienstag Bilder, auf denen der totgesagte Al-Gaddafi-Sohn Chamis zu sehen ist. Er wird dabei von Anhängern des Regimes auf dem Militärstützpunkt Bab al-Asisija in Tripolis umjubelt. Die Gegner Al-Gaddafis hatten Anfang vergangener Woche berichtet, Chamis, der eine Brigade der Armee befehligt, sei Opfer eines Kamikaze-Piloten geworden.
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