Explosionen zu hören
Nach den massiven Luftangriffen des Westens am Samstag ist Sonntagfrüh in der libyschen Hauptstadt Tripolis heftiges Feuer aus Flakgeschützen zu hören gewesen. Der US-Fernsehsender CNN zeigte Aufnahmen von Leuchtspurgeschoßen. Das Staatsfernsehen sprach von Luftangriffen, die Luftabwehr der Stadt war in Aktion, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete.
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Der Schusslärm habe etwa zehn Minuten gedauert, hieß es im britischen Sender BBC. Was genau die Flugabwehr ausgelöst hatte, ist nicht klar. Ein CNN-Reporter sagte, die vorausgehenden Schüsse hätten ähnlich wie Marschflugkörper geklungen, wie sie auch am Abend schon eingesetzt wurden.
Die Koalitionstruppen begannen am Samstag die größte internationale Militärintervention in der arabischen Welt seit dem Einmarsch der US-Truppen in den Irak 2003. Die USA nahmen dabei am Samstag überraschend eine führende Rolle ein und feuerten gemeinsam mit Großbritannien etwa 110 Tomahawk-Raketen von Kriegsschiffen und einem U-Boot aus auf 20 Ziele in Libyen ab. Der US-Einsatz trägt den Namen „Odyssey Dawn“ (etwa: Dämmerung einer Odyssee) und wird von dem im süddeutschen Stuttgart ansässigen Afrika-Kommando (AFRICOM) der US-Armee befehligt.
US-Führungsrolle, bis Kommandostruktur geklärt ist
Die USA würden bei der Koordinierung des Militäreinsatzes eine „strategische“ Rolle einnehmen, bis die endgültige Kommandostruktur der internationalen Koalition geklärt sei, hieß es aus Paris. Zuvor hatte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums erklärt, dass das AFRICOM vorübergehend die Führung bei dem Einsatz „Odyssey Dawn“ übernehmen werde.
TV: 48 Tote, 150 Verletzte
Das libysche Staatsfernsehen meldete, dass „zivile Ziele“ in Tripolis, Bengasi und Misrata von Kampfflugzeugen der „Kreuzzügler“ - also der westlichen Mächte - bombardiert würden. 48 Menschen seien getötet und 150 verletzt worden. Darunter seien vor allem Frauen und Kinder gewesen, hieß es in einem Statement der libyschen Führung.
Al-Gaddafi: Notwendig, Waffenlager zu öffnen
Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi kündigte Vergeltungsangriffe im Mittelmeer an. Dieses werde zu einem „wahren Schlachtfeld“ werden. Er wolle nun Zivilisten bewaffnen. Diese würden Libyen gegen die „koloniale Aggression“ des Westens verteidigen, sagte Al-Gaddafi am Samstagabend in einer Fernsehansprache. „Es ist nun notwendig, die Waffenlager zu öffnen und das Volk mit allen Arten von Waffen auszurüsten, um die Unabhängigkeit, Einheit und Ehre Libyens zu verteidigen.“
Unterdessen sammelten sich Tausende seiner Anhänger auf seinem Gelände nahe Tripolis, um den Machthaber zu beschützen. Die Völker arabischer und islamischer Länder sowie Lateinamerikas, Asiens und Afrikas rief Al-Gaddafi auf, Libyen beizustehen.
Libyen will Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats
Außerdem fordere man eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats in New York. Nach den westlichen Angriffen sei die UNO-Resolution 1973 nicht länger gültig, erklärte das libysche Außenministerium in der Nacht auf Sonntag.
Libyens Führung kündigte auch an, als Reaktion auf die Militäraktion die EU nicht mehr in ihrem Kampf gegen die illegale Einwanderung unterstützen zu wollen. „Libyen sieht sich bei der illegalen Einwanderung nach Europa nicht mehr in der Verantwortung“, zitierte das staatliche Fernsehen in der Nacht auf Sonntag einen für die Sicherheit zuständigen Regierungsvertreter, ohne dessen Namen zu nennen.
Laut dem Fernsehsender al-Jazeera wurde ein französisches Kampfflugzeug über Libyen abgeschossen. Der Sender berief sich dabei auf das libysche Fernsehen. Die französische Armee dementierte die Berichte.
Obama: „Können nicht untätig bleiben“
Trotz einer zuvor von der libyschen Regierung verkündeten Waffenruhe waren die Kämpfe zwischen den Truppen von Al-Gaddafi und Rebellen am Samstag zunächst weitergegangen. Den Aufständischen zufolge rückten Al-Gaddafis Streitkräfte zeitweise in Bengasi ein.

Reuters/Jason Reed
US-Präsident Barack Obama gab den Einsatzbefehl an die US-Streitkräfte für eine „begrenzte Militäroperation in Libyen“. „Diese Aktion hat jetzt begonnen“, sagte Obama am Samstag bei seinem Besuch in Brasilien. „Wir werden keine, ich wiederhole, keine US-Truppen auf dem Boden einsetzen.“ Aber die USA könnten nicht zusehen, wie „Männer und Frauen in Libyen Brutalität und Tod durch die Hand ihrer eigenen Regierung“ ausgeliefert seien.
Erster Schuss am Nachmittag
Frankreich hatte am Samstag als erstes Land mitgeteilt, zum Schutz libyscher Zivilisten Waffengewalt eingesetzt zu haben. Gegen 17.45 Uhr MEZ sei von einem Kampfjet ein erster Schuss abgegeben und das Ziel zerstört worden. Das Einsatzgebiet liege etwa 100 bis 150 Kilometer von der Rebellenhochburg Bengasi entfernt. Mehrere Panzer seien zerstört worden. Zudem hieß es, der französische Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ werde Frankreich am Sonntag Richtung Libyen verlassen.

Graphi-Ogre/ORF.at (Montage)
Basis für das militärische Vorgehen ist die Resolution des UNO-Sicherheitsrats vom Donnerstag. Das Gremium hatte die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen beschlossen, wo Aufständische nach wochenlangen Kämpfen in die Defensive gedrängt worden waren. Zum Schutz von Zivilisten dürften „alle notwendigen Maßnahmen“ außer der Einsatz von Bodentruppen ergriffen werden, hieß es in der Resolution.
Russland und China „bedauern“
Russland und China äußerten ihr „Bedauern“ über die Militärintervention. Das russische Außenministerium kritisierte zudem den „übereilten“ Beschluss der entsprechenden UNO-Resolution und rief zu einer schnellstmöglichen Waffenruhe auf. „Wir sind überzeugt, dass das Blutvergießen schnell gestoppt werden muss und die Libyer den Dialog aufnehmen müssen, damit der interne Konflikt dauerhaft gelöst werden kann“, hieß es in der Mitteilung vom Samstag.
Die Sprecherin des Außenministeriums in Peking, Jiang Yu, sagte am Sonntag, China habe „die jüngste Entwicklung in Libyen zur Kenntnis genommen und bedauert die Militärschläge gegen Libyen“. China sei wie immer gegen den Einsatz von Gewalt in internationalen Beziehungen. Peking hoffe, dass die Stabilität in Libyen so bald wie möglich wieder hergestellt werden könne, damit weitere zivile Opfer vermieden würden.
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