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Anfang vom Ende der Atomenergie?

Mit Blick auf den Klimawandel hat die Atomenergie in den letzten Jahren eine wahre Renaissance erlebt. Mit dem Unglückskraftwerk Fukushima I, in dem die Gefahr einer atomaren Katastrophe weiter nicht gebannt ist, findet sich 25 Jahre nach Tschernobyl nun auch in Japan ein Symbol, das die Schattenseiten der von der Lobby als sauber gefeierten Energie deutlich macht.

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Als direkte Reaktion auf die Ereignisse in Japan wurde auf EU-Ebene die österreichische Forderung nach europaweiten „Stresstests“ für Atomkraftwerke aufgegriffen. EU-Energiekommissar Günther Oettinger kündigte nach einem Sondertreffen mit Ministern und Spitzenbeamten im Gefolge der Nuklearkatastrophe in Japan an, es habe eine „einvernehmliche Zustimmung“ für europäische Kernkraftwerke in den EU-Mitgliedsstaaten gegeben. Oetttinger sprach von einem „großen Fortschritt“.

Man könne von gemeinsamen Standards für die Tests und von gemeinsamen Prüfkriterien für die Risikoüberprüfung im Lichte der Erkenntnisse in Japan ausgehen. Die EU werde die Tests durchführen, sobald sie über die Kriterien und den Umfang einig sei, sie würden aber noch in diesem Jahr kommen. Nach geltendem Recht seien die Tests allerdings freiwillig.

Berlakovich „sehr zufrieden“

Als „vollen Erfolg“ sieht Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) die Durchführung von „Stresstests“. „Ich bin sehr zufrieden. Meine Forderung nach Stresstests hat sich durchgesetzt“, so Berlakovich gegenüber der APA. Sollten diese Tests ergeben, dass dann einige der 143 AKW in der EU dabei durchfallen, dann „müssen sie meiner Meinung nach abgeschaltet werden“.

Jedenfalls seien die Stresstests ein „Beweis, dass Österreich Europa bewegen kann“. Der Atomlobby „muss auch klar sein, dass das kein Freibrief für Kernkraftwerke ist. Das Ziel für Europa muss lauten, raus aus der Atomenergie. Das erwarten sich die Menschen, dazu gibt es keine Alternative“. Berlakovich ortete ein Umdenken in allen europäischen Staaten in Richtung erneuerbare Energien. „Mein Weg für Österreich ist eine solche Energieautarkie, um zu zeigen, dass es funktioniert.“

GB: Gehetzte Entscheidung

Der britische Energieminister Chris Huhne hat andere europäische Länder wie etwa Deutschland bezichtigt, in der Atompolitik vorschnell auf die Ereignisse in Japan reagiert zu haben. Europäische Regierungen scheinen „gehetzte Entscheidungen“ über die Sicherheit von Atomkraft getroffen zu haben, sagte Huhne am Dienstag im Parlament in London.

Sieben deutsche AKWs gehen vom Netz

Mit Blick auf die umstrittene Laufzeitverlängerung seiner alten Atommeiler gibt es mittlerweile in Deutschland bereits eine Kehrtwende in der bisherigen Atompolitik. Wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bekanntgab, soll die beschlossene Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken für drei Monate ausgesetzt werden. Als direkte Folge der Maßnahme sollen die Sicherheitsstandards von sämtlichen deutschen AKWs überprüft und insgesamt sieben deutsche Atomreaktoren - zumindest vorübergehend - vom Netz genommen werden.

Schweiz stoppt AKW-Verfahren

Als erstes Land reagierte zuvor bereits die Schweiz auf die Vorfälle in Japan. Laut Energieministerin Doris Leuthard (CVP) wurden sämtliche Pläne zum Neubau von Kernkraftwerken vorerst auf Eis gelegt. Zudem sei die Atomaufsicht „beauftragt, die Ursachen des Unfalls in Japan genau zu analysieren“ und daraus „neue oder schärfere Sicherheitsstandards abzuleiten“, so Leuthard am Montag.

Zweifel an Kernenergie auch in Finnland

In Finnland, wo derzeit ein neuer Atomreaktor in Bau und zwei weitere in Planung sind, zeigten sich zu Wochenbeginn zaghafte Ansätze zu einer Diskussion über die Zukunft der Atomenergie. Der als möglicher nächster Regierungschef gehandelte Konservativen-Chef und Finanzminister Jyrki Katainen rief vorbeugend zur „Zurückhaltung“ in einer neuen Atomdebatte in Finnland auf. Eine solche forderten am Wochenende aber bereits die Grünen und die Linkspartei.

Die Boulevardzeitung „Iltalehti“ forderte in ihrem Leitartikel eine weltweite und auch ausdrücklich in Finnland verschärfte Sicherheitskontrolle von Atomkraftwerken. Allerdings könne man zumindest derzeit nicht auf die Atomkraft als Energiequelle verzichten.

Auch in Spanien wurde vor übereilten Reaktionen gewarnt. „Wir sollten uns bei den Entscheidungen über die Nutzung der Kernenergie nicht von besonderen Vorkommnissen (wie in Japan, Anm.) leiten lassen“, sagte die spanische Wirtschafts- und Finanzministerin Elena Salgado am Montag in Brüssel.

Frankreich: „Gute Energie“

Frankreich als Land mit den zweitmeisten Atomreaktoren weltweit verwies auf die Sicherheit seiner Anlagen. „Frankreich hat beim Bau und Betrieb seiner Einrichtungen stets größtmöglicher Sicherheit den Vorrang gegeben“, teilte die Regierung nach einem Treffen mehrerer Minister und Experten für Atomsicherheit am Sonntagabend mit. Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet bezeichnete die Atomkraft als „gute Energie“.

Italien und Polen weiter für Atomeinstieg

Auch Italiens Regierung will von einer Kehrtwende noch nichts wissen und plant weiter den Einstieg in die Atomenergie: „Wir haben einen bewussten Beschluss gefasst. Wir haben strenge Kriterien für die Wahl der Orte ergriffen, in denen die Atomkraftwerke errichtet werden sollen. Wir werden die Erdbebengefahr berücksichtigen, die in Italien jedoch nicht mit jener in Japan vergleichbar ist“, sagte Umweltministerin Stefania Prestigiacomo in einem Interview mit Radio RAI am Dienstag.

Weiter an seinen Atomplänen festhalten will auch Polen. Politiker aller im Parlament vertretenen Parteien sprachen sich dafür aus, trotz der Ereignisse in Japan an der Einführung der Kernkraft in ihrem Land festzuhalten. Atomkraftwerke der neuesten Generation seien sicher, so Ministerpräsident Donald Tusk. Die polnische Regierung will bis 2020 in Nordpolen das erste Kernkraftwerk des Landes bauen.

Ungarn prüft Sicherheitsvorkehrungen

Ungarn wird angesichts der Erdbebenkatastrophe in Japan mit möglicherweise unabsehbaren Folgen für die Atomkraft seine eigenen Kernkraftwerke auf die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen überprüfen.

Tschechien sieht nach der Katastrophe in Japan keine Notwendigkeit, die Erdbebensicherheit des umstrittenen Atommeilers Temelin neu zu bewerten. „Das AKW Temelin kann ein Erdbeben in der Größenordnung von 5,5 auf der Richterskala überstehen“, sagte der stellvertretende Leiter des staatlichen Amts für Atomsicherheit, Petr Brandejs, der dpa.

In Bulgarien ließen die Betreiber des AKW Kosloduj wissen: Der Störfall in Fukushima sei weniger auf das verheerende Erdbeben zurückzuführen, sondern vielmehr auf die riesige Tsunamiwelle. „Eine derartige Verkettung ist in Bulgarien nicht vorstellbar.“

Türkei hält an AKW-Plänen fest

Auch die türkische Regierung will an ihren Plänen für den Bau von zwei Atomkraftwerken festhalten. Energieminister Taner Yildiz wies darauf hin, dass die Türkei die neueste Technologie einsetzen werde, während die bei dem Erdbeben in Japan zerstörten Anlagen aus dem Jahr 1971 stammten. Ein erstes Atomkraftwerk will Ankara am Mittelmeer von einem russischen Unternehmen errichten lassen. Für den Bau des zweiten geplanten Atommeilers verhandelt die Türkei derzeit mit japanischen und französischen Anbietern.

Kehrtwende auch in China?

Obwohl erst vor wenigen Tagen China im Rahmen seines Fünfjahresplans den Bau von rund 40 weiteren Reaktoren ankündigte, gibt es erste Anzeichen für eine mögliche Kehrtwende. Mit Blick auf die Entwicklungen in Japan sollen vorerst keine neuen Atomkraftwerke genehmigt werden. Alle bestehenden und in Bau befindlichen Reaktoren würden zudem umfassenden Sicherheitstests unterzogen, kündigte die chinesische Regierung am Mittwoch an.

Mit 20 geplanten Atomkraftwerken will Russland weiterhin stark in Atomenergie investieren. „Wir werden unsere Pläne nicht ändern, aber natürlich unsere Schlüsse daraus ziehen, was im Moment in Japan passiert“, sagte Regierungschef Wladimir Putin nach Angaben der Agentur Interfax am Montag bei einem Besuch in der Stadt Tomsk.

US-Regierung bekräftigt Vertrauen in Atomkraft

Weiter festhalten an ihren Atomplänen wollen auch die USA. US-Präsident Barack Obama kündigte zwar Sicherheitsnachbesserungen an Nuklearanlagen in den Vereinigten Staaten an. Die Anlagen seien demnach so gebaut, dass sie Erdbeben bis zu einer bestimmten Stärke standhalten könnten, aber „nichts ist zu einhundert Prozent sicher“, fügte Obama hinzu. Energieminister Steven Chu machte zuvor allerdings deutlich, dass die US-Regierung nicht auf den geplanten Ausbau der Atomkraft verzichten werde.

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