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„Er schreibt große, starke Frauenrollen“

Dörte Lyssewski ist seit Beginn ihrer Karriere an der Berliner Schaubühne unter Peter Stein eine ständige Begleiterin der dramatischen Arbeit von Botho Strauß. Im Interview mit ORF.at erklärt sie, wie man sich den schwierigen Texten nähert - und warum es gerade in Wien alles andere als ein Heimspiel ist, mit Strauß anzutreten: Strauß, das war hier schon mal „Schweinekram“.

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Szene aus "Das blinde Geschehen"

Burgtheater/Reinhard Werner

Dörte Lyssewski im neuen Botho-Strauß-Stück „Das blinde Geschehen“

ORF.at: Sie sind ja mittlerweile die paradigmatische Botho-Strauß-Interpretin ...

Dörte Lyssewski: (lacht) Ach so?

ORF.at: ... durch die Vielzahl der Rollen, die Sie in seinen Stücken übernommen haben. Wie ist Ihr Verhältnis zu seinen Texten gewachsen?

Lyssewski im Kurzporträt

Dörte Lyssewski, geboren 1966, startete ihre Theaterkarriere Ende der 1980er Jahre an der Schaubühne Berlin unter Peter Stein. In Österreich wurde sie einer breiteren Öffentlichkeit mit der Rolle der Buhlschaft im Salzburger „Jedermann“ an der Seite von Ulrich Tukur bekannt. Lyssewski wurde über die Jahre zur zentralen Interpretin der Arbeiten von Botho Strauß, dessen Werk sie auch auf Französisch spielte. Lyssewski ist mit der Direktion von Matthias Hartmann festes Ensemblemitglied des Burgtheaters.

Lyssewski: Es ist natürlich von Vorteil, wenn man bei Botho Strauß die Figurenwelt kennt und weiß, was ihn beschäftigt. Dann kann man das vielleicht besser dechiffrieren als jemand, der da noch nie Umgang mit seinen Texten hatte. Aber: Beim ersten Mal Lesen ist es wie zu Anbeginn, dass ich nämlich so gut wie gar nichts verstehe und dass das Texte sind, die sich durch eingehendere Lektüre erschließen - und die sich eigentlich erst durchs Tun und durchs Proben konkretisieren.

Durch das Verlautbaren, durch das Situative werden seine Texte, wird das Kryptische klarer. Es ist dieses sich wissend unwissend Hineinbegeben, das diese Texte erfordern. Andere Texte schrumpfen ja, seine wachsen. Das jetzige Stück ist eines, das er, glaube ich, selber noch nie so geschrieben hat, es hat etwas ganz Märchenhaftes, es nimmt sehr Bezug auf die „Riesen vom Berge“ (von Pirandello, Anm.) und andere Mythologien, was zu einem feinen Gewebe zusammengeführt wurde und uns eine Menge Spielmaterial in die Hand gibt.

ORF.at: Strauß projiziert seine Reflexionsmodelle mit Vorliebe auf Frauenfiguren.

Lyssewski: Wofür ich sehr dankbar bin, weil das sonst ja kaum einer macht. Er schreibt große und starke Frauenrollen. Von der theatralischen Wucht her vertraut er mehr der Frau, wo andere diesen Part beim Mann ansiedeln. Und das schon seit Jahrzehnten.

Wie sehen Sie dann den Part des Mannes bei Strauß?

Ulrich Tukur und Dörte Lyssewski bei der Jedermann-Inszenierung in Salzburg 1999

Barbara Gindl/GI

Bekanntheitsschub durch den „Jedermann“: Dörte Lyssewski 1999 als Buhlschaft auf den Schultern von Ulrich Tukur

Lyssewski: (lacht) Die Rolle des Mannes bei Botho Strauß, oh was für eine große Frage. Das eine ist natürlich nicht ohne das andere zu denken. Er stellt, wie er das nennt, den menschlichen Vierfuß, das Paar, über alles. Wie man das durchdeklinieren kann in allen Lebens- und Traumrollen. Da ist der Mann auch nicht degradierbar zum Statisten. Aber ich glaube, Strauß ist auf diesen Ansatz auch gekommen, weil er zu Beginn seiner Theaterkarriere diese großen, starken Heroinnen vorfand, eine Jutta Lampe oder Edith Clever. Da macht es Spaß, für solche Schauspielerinnen zu schreiben. Und er braucht auch Schauspieler, von denen er weiß, dass sie verstehen, was er meint. Bei Robert Hunger-Bühler weiß er das auch.

ORF.at: Aber die Paare kommen auch nie ganz zusammen bei Botho Strauß. Sie drängen zueinander, aber wenn sie sich dann offenbaren, tauchen wieder die Hürden auf.

Lyssewski: Ja, aber es ist die alte Geschichte Platons mit dem Lehmklumpen, wo Mann und Frau mal eins waren und voneinander getrennt wurden und seitdem einander suchen, und es kann nie wieder eins werden. Und es ist trotzdem zutiefst optimistisch und lebensbejahend, was er schreibt. Nur wird bei Strauß der Küchenstreit eines Paares nicht auf Küchenniveau abgehandelt. Sondern sie sagt, etwa in „Die Zeit und das Zimmer“: „Medea hatte recht!“ Und er: „Nein, Jason hatte recht!“ Und dann ist man mit einem Fuß sofort in der Mythologie, und das bereichert diese zeitgenössischen Figuren ungemein.

ORF.at: Ist Theater dann, wenn man sieht, wie Sie die Entstehung eines Texts als Stück beschreiben, auch ein Erkenntnisvorgang?

Lyssewski: Ja, für mich auf jeden Fall. Das ist eine Erkenntnissuche, über Menschen, über das Leben.

ORF.at: Kann man diese Erkenntnissuche im und über das Stück dann auf zwei, drei Stunden kondensieren und genau auch das mit Publikum, dem man ja so nah ist wie in wenigen Medien, teilen?

Lyssewski: Das gibt es sicherlich, aber das steht auf sehr dünnem Eis, weil wir ja öfter spielen als einmal, insofern muss das immer wieder hergestellt werden. Es ist bei jeder Vorstellung ein Austausch, aber ich kann hier immer nur meine Erfahrungen, mein Universum hinwuchten und hoffen, dass es sich verströmt, verdunstet, und dass die Menschen ähnlich empfinden. Und natürlich gibt es da Energien, die hat nur das Theater, die gibt es im Kino nicht.

ORF.at: Begleitet Strauß sein Stück auch vor der Uraufführung?

Lyssewski: Ja, er war hier, um sich eine Szene anzusehen, eine Zweierbeziehung, die ihm sehr wichtig war und aus der sich vieles im Stück entwickelt. Aber ich habe ihn in der Vorbereitung besucht, wir haben telefoniert und uns geschrieben, und dieser Prozess der Vorbereitung ist mir schon sehr wichtig.

ORF.at: Strauß ist ein Autor, der Theater immer als Umbruchsprozess wahrgenommen und darauf reagiert hat. Wie sehr haben Sie für die Gegenwart den Eindruck, dass man mit dem Theater nur noch einen eingefleischten Kreis erreichen kann? Wie sehr ist Theater eine hermetische Veranstaltung?

Lyssewski: Gott sei Dank ist Theater auch hermetisch. Natürlich will man die Leute erreichen. Die Frage ist natürlich immer, wie sehr man Zugeständnisse machen soll. Theater ist ja für das Sperrige zuständig, denn für alles andere gibt es Medien, die das konsumierbarer darstellen können. Wir machen es natürlich fürs Publikum und hoffen, dass es das Publikum erreicht. Aber ich weiß es in dem Fall nicht, denn ich habe nur eine Strauß-Erfahrung in Wien, und das war nicht so wahnsinnig toll. Ich kann nicht sagen, wie sehr es jetzt mit Matthias Hartmann ein vielleicht anderes Publikum anzieht. Natürlich eilt diesem Autor ein Ruf voraus, schwieriger zu sein. Dennoch hoffe ich, dass die Leute neugierig werden und auch hier etwas entdecken können.

ORF.at: Es gab ja vor einiger Zeit an der Burg die Konstellation Heiner Müller und Claus Peymann. Also zwei von den Lebensdaten alte Männer. Und dennoch haben die auch Leute ins Theater gelockt, die, sagen wir einmal, kaum Klassischeres mochten als die Einstürzenden Neubauten. Insofern könnte da doch noch ein Generationensprung nach unten gelingen mit Lyssewski und Hartmann, noch dazu mit einem Stück, das vom Mythologischen bis hin in die digitale Kultur ausfranst.

Lyssewski: Ich muss gestehen, ich weiß überhaupt nicht, wie sich das Publikum hier zusammensetzt. Und wer sich auf so was per se abonniert. Und ob Botho Strauß jungen Leuten etwas sagt. Ich würde mir das wünschen, dass man nicht sagt: Hier feiert sich die Bourgeoisie selber ab. Botho Strauß ist aber nicht Rene Pollesch, auch nicht Heiner Müller, sondern er ist, wie er ist. Aber vielleicht gelingt da etwas durch unsere Aufführungsform. Das ist im Moment aber mal rein hypothetisch.

Dörte Lyssewski und August Zirner auf einem Bett in den "Ähnlichen"

Hans Techt / APA

Dörte Lyssewski 1998 mit August Zirner in den „Ähnlichen“ beim Gastauftritt in Wien

ORF.at: Was war das Unangenehme an Ihrer letzten Botho-Strauß-Aufführung in Wien, das Sie vorher angesprochen haben?

Lyssewski: Das waren „Die Ähnlichen“. Das war einfach der falsche Ort mit der Josefstadt. Ich kam damals aus Berlin, mir ist das ja wurscht, wo ich hinkomm’ als Schauspielerin. Ich denke mir, da geht man hin, weil man eine spannende Truppe, einen spannenden Autor erwartet. Nicht so in Wien. Das war eine Koproduktion zwischen Festwochen und Josefstadt. Die einen gingen nicht hin, weil es in der Josefstadt war. Und das Josefstädter Publikum wollte das nicht. Für die war das eine Schweinerei. Das war Schweinekram, Botho Strauß. Das Theater war dann halb leer nach der Pause, und die ersten gingen schon nach den ersten zehn Minuten.

ORF.at: Aber die, die aushielten, waren dann die Hardcore-Begeisterten. Ist das nicht auch ein Prozess, den man als spannend empfinden kann?

Lyssewski: Ja, aber es ist natürlich skandalös, dass mal nach den ersten zehn Minuten die ersten Rufe „Anfangen!“ kommen, weil wir uns zu Beginn des Stücks mal stumm die Haare kämmten. Der Lohner (damaliger Direktor der Josefstadt, Anm.) hat damals wäschekörbevoll Schmähbriefe bekommen, was so ein Zeugs an der Josefstadt soll. Und das hat mich schon gewundert, dass die Stadt nicht sagen konnte: „Hey, das ist Botho Strauß, das hat Peter Stein gemacht, da spielen Frauen wie Jutta Lampe mit.“

ORF.at: Aber werden Bastionen nicht immer von außen aufgebrochen?

Lyssewski: Wir haben ja nichts aufgebrochen. Es war einfach nur eine Riesenniederlage. Wir wussten, wenn wir dasselbe Stück in Berlin spielen würden, das könnten wir dort zwei Jahre spielen. Das war einfach nur der falsche Ort. Aber vielleicht war es auch die falsche Zeit.

ORF.at: Sie sind mit Hartmann nach Wien gekommen – wie war das Gefühl, hier in Wien anzukommen, als neuer Teil des Ensembles?

Lyssewski: Schön, denn es gab bekannte Gesichter, dann wieder Neues. Und es ist die Mischung aus Vertrautem und Neuem, die das Ganze spannend macht. Dann fing die Spielzeit an mit einer Wiederaufnahme und einer Neuinszenierung, also auch mit Vertrautem und Neuem, und ich finde, das war ein guter Weg, sich einer Stadt anzunähern, weil sich die Menschen natürlich fragen: „Wir haben viele tolle Schauspieler, was will denn die hier?“ Da muss man sich schon etablieren und durchsetzen. Es sei denn, man ist bekannt durch Film, Funk und Fernsehen, aber das bin ich nicht.

ORF.at: Gibt es noch Ressentiments gegenüber Deutschen am Burgtheater?

Lyssewski: Das müssen Sie die Österreicher fragen. Ich habe kein Problem damit. Also zu mir sind alle nett. Man redet halt über die Arbeit. Außerdem: Theater ist ja nicht demokratisch. Das ist ja ein völliger Irrglaube, dass Theater demokratisch sei. Wir haben mit Deutschland, Österreich und Schweiz drei Länder, wo man arbeiten kann. Und wo die Besten gefragt sind, gehen die Besten hin. Wenn man da anfängt mit Patriotismus, da verrennt man sich schnell. Außerdem: Nach 16 Jahren Peymann kann man nicht die Deutschenkarte ziehen. Bis hin zur Technik sind das großartige Menschen, die hier arbeiten, und wenn sie ein Problem mit mir haben, dann sollen sie es mir sagen.

Das Gespräch führten Sophia Felbermair und Gerald Heidegger, ORF.at

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