Themenüberblick

Die Liebe sucht die Diagonale

Als letzten Erotiker des Theaters in einer Zeit, in der nur noch Pornografen das Bühnengeschehen bedienen, hat sich Botho Strauß in einem „Zeit“-Interview bezeichnet. Wie schwer es die Erotik und die ihr zugrunde liegenden Triebkräfte Neugier, Anziehung, gar Liebe in einer Welt der stärker werdenden Unverbindlichkeit haben, das durchmisst in wilden wie märchenhaften Schritten sein neues Stück „Das blinde Geschehen“. Am Freitag wird es an der Burg uraufgeführt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Um Strauß war es ruhig geworden in den vergangenen Jahren. Polarisierende Artikel wie der „Anschwellende Bocksgesang“ liegen zurück. Doch Strauß bleibt bei seiner Haltung der Unangepasstheit gegenüber einem Zeitgeist, den er ohnedies als zu flüchtig ansehen würde, um sich zu diesem noch deklarieren zu müssen.

Glasklarer Blick auf das digitale Zeitalter

Die Rückbeziehung zeitgenössischer Paarkonflikte in den mythologischen Raum (samt der zugrunde liegenden Sehnsucht nach Archaischem) führt Strauß jetzt weiter: ins digitale Zeitalter. Und dass er es bewusst wie ein Fremder ansieht, verleiht der Gegenwart doch glasklare Züge. „Hättest du mich gewollt, wärst du mich längst los“, heißt es gleich zu Beginn, und man darf erschauern, mit wie viel Lust am Spiel die Unverbindlichkeiten gegenwärtiger Welt-, Lebens- und Liebesentwürfe hier noch durchdekliniert werden.

Szene aus "Das blinde Geschehen"

Burgtheater/Reinhard Werner

Dörte Lyssewski als Freya Genetrix, Robert Hunger-Bühler als John Porto und die schwierige Frage, wie viel Distanz man in einer gemeinsamen Wohnung braucht

Gemeinsam leben als Spielanordnung

„Nie war die Welt so voll von Zauberei“, wird der Game-Designer John Porto sagen. Doch selten fand die Zauberei einen so tönernen Boden: Wovon stößt sich die Zauberkunst ab in einer Welt zunehmenden Referenzverlustes? Wenn zwei Menschen in dieser Welt zueinanderfinden wollen, dann müssen sie sich Game-Räume, Spiel-Flächen schaffen, wo sich die Annäherung unter klaren Spielregeln und als Spielanordnung vollziehen lässt.

Szene aus "Das blinde Geschehen"

Burgtheater/Reinhard Werner

Nähe via Remote Control?

„Wir liegen flach auf dem Parkett, wenn wir uns unterhalten. Oder kauern jeder in seiner Zimmerecke. Am besten spricht man in der Diagonale“, wird John Porto Freya Genetrix rund um das Teilen einer „gemeinsamen“ Wohnung vorschlagen.

„Es ist wie mit dem Lehmklumpen“

Strauß stelle das Paar, „den menschlichen Vierfuß, über alles“, sagte die Strauß-Expertin und Hauptdarstellerin des Stücks, Dörte Lyssewski, im Vorfeld der Uraufführung (das gesamte Interview lesen Sie im Bericht „Jede Menge Spielmaterial“). Bei Strauß sei es nun einmal wie in der alten Geschichte Platons, so Lyssewski im Gespräch mit ORF.at: „Es ist wie mit dem Lehmklumpen, wo Mann und Frau mal eins waren und voneinander getrennt wurden und seitdem einander suchen, und es kann nie wieder eins werden.“ Und trotzdem seien seine Texte zutiefst lebensbejahend: „Nur wird bei Strauß der Küchenstreit eines Paares nicht auf Küchenniveau abgehandelt.“

Zentrales Gegenüber von Lyssewski wird wieder einmal Robert Hunger-Bühler sein, der ebenso Strauß- als auch Lyssewski-erprobt ist. Strauß brauche „Schauspieler, von denen er weiß, dass sie verstehen, was er meint. Bei Robert Hunger-Bühler weiß er das auch“, sagte Lyssewski.

„Das war Schweinekram, Botho Strauß“

Hunger-Bühler war auch an vorderster Front bei Lyssewskis letztem Strauß-Auftritt in Wien dabei. Dieser liegt schon einige Jahre zurück. 1998 wagte man sich mit der Peter-Stein-Inszenierung der „Ähnlichen“ im Rahmen einer Festwochen-Koproduktion in die Josefstadt. Lyssewskis Erinnerungen daran: „Das war eigentlich nur eine Niederlage.“

„Das war einfach der falsche Ort mit der Josefstadt“, so Lyssewski. „Ich kam damals aus Berlin, mir ist das ja wurscht, wo ich hinkomm’ als Schauspielerin. Ich denke mir, da geht man hin, weil man eine spannende Truppe, einen spannenden Autor erwartet. Nicht so in Wien.“

Die einen seien nicht hingegangen, „weil es in der Josefstadt war. Und das Josefstädter Publikum wollte das nicht. Für die war das eine Schweinerei. Das war Schweinekram, Botho Strauß.“

Szenenbild zu den "Ähnlichen" Dörte Lyssewski hängt sich auf dem Fenster, zwei Männer schauen zu

Hans Techt, APA

Zu weit aus dem Fenster gelehnt? „Die Ähnlichen“, 1998 im Theater in der Josefstadt

„Nach der Pause war das halbe Theater leer“

Nach den ersten zehn Minuten, in denen sich die drei Hauptdarstellerinnen ausgiebig die Haare gekämmt hatten, hätten einige im Publium „Anfangen!“ geschrien - nach der Pause sei das halbe Theater leer gewesen. Helmut Lohner habe damals als Direktor der Josefstadt Wäschekörbe voll mit Schmähbriefen bekommen.

Ob sich Burg-Direktor Matthias Hartmann, der bei der Uraufführung Regie führt, auf eine ähnliche Zusendungsflut einstellen müsse? Lyssewski wartet die Reaktionen mit Spannung ab: „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, wie die Wiener jetzt auf Botho Strauß reagieren werden.“ Sollte es einen ähnlichen Aufstand geben wie in der Josefstadt, kann man sich sicher auf weniger Papier einstellen. Wie das Stück sind ja auch die Zuseher mittlerweile im digitalen, papierloseren Zeitalter angekommen. Und per Mail soll man ja auch loben können. Manchmal.

Sophia Felbermair, Gerald Heidegger, ORF.at

Links: