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Strafanzeigen in über 80 Fällen

Der Rücktritt des deutschen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist am Dienstag relativ überraschend erfolgt. Nachdem er vor rund zwei Wochen erstmals wegen Plagiaten in seiner Dissertation unter Beschuss geraten war, wurden Dutzende Strafanzeigen gegen Guttenberg erstattet.

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Allein bei der Staatsanwaltschaft Hof gingen inzwischen mehr als 80 Anzeigen gegen den bisherigen Verteidigungsminister ein. Die meisten beträfen „den Vorwurf des Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz“, teilte die Ermittlungsbehörde am Mittwoch mit. Diese seien in den zurückliegenden Wochen eingehend geprüft worden.

Wenn Guttenberg nun wie angekündigt sein Bundestagsmandat niedergelegt habe und seine Immunität damit erloschen sei, werde man „im Ermittlungsverfahren insbesondere prüfen, ob hier strafrechtlich relevante Urheberrechtsverletzungen vorliegen und das besondere öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung im oben genannten Sinn zu bejahen ist“, erklärte die Staatsanwaltschaft. Man werde dabei die Ergebnisse der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Universität Bayreuth berücksichtigen.

Plagiatsjäger im Internet

Ursprünglich hatte der Bremer Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano die Affäre ins Rollen gebracht, als er in der „Süddeutschen Zeitung“ Guttenbergs Arbeit als ein „dreistes Plagiat“ bezeichnete. Doch dann kam die Website GuttenPlag Wiki (Plag wie Plagiat, Anm.), auf der private Plagiatsjäger immer mehr Passagen zusammentrugen, bei denen der scheidende Minister geschwindelt haben könnte. Am Dienstag, dem Tag von Guttenbergs Rücktritt, umfasste das Wiki 1.800 Seiten.

Hälfte der Arbeit abgekupfert

Laut einer automatischen Auswertung seien 8.000 der 16.300 Textzeilen Plagiate, erklärten die Betreiber des Internetprojekts in einem Zwischenbericht - ein Anteil von 49 Prozent. Auf 82 Prozent aller Seiten sind die Plagiatsjäger nach eigenen Angaben fündig geworden. Man habe 891 Fragmente aus mehr als 120 Quellen entdeckt. In dieser Statistik fehlten noch die Textstellen, die Guttenberg aus Berichten des Wissenschaftlichen Diensts des deutschen Bundestags übernommen habe. Diese sollen bald nachgetragen werden.

„Kein Rücktritt ohne dieses Wiki“

Die Onlinezusammenarbeit habe eine entscheidende Rolle beim Fall des Politikers gespielt, sagte die deutsche Journalistin und Social-Media-Expertin Christiane Schulzki-Haddouti nach Guttenbergs Rücktrittsankündigung. „Ohne dieses Wiki hätte er nicht zurücktreten müssen.“ Die „Fleißarbeit der vielen“ hätte kein Promotionsausschuss „in dieser Gründlichkeit und Schnelle“ leisten können.

Die Wiki-Software, die auch von der Onlineenzyklopädie Wikipedia genutzt wird, ermöglicht es, dass viele an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. „Das Wiki ist ideal für eine solche Ad-hoc-Zusammenarbeit“, sagte Schulzki-Haddouti gegenüber der deutschen Nachrichtenagentur dpa. „Es ist ein effizientes Werkzeug für die kollaborative Erstellung und Analyse von Inhalten.“ Vielen sei gar nicht bewusst, wie schnell man über ein Wiki zusammenarbeiten könne. Die Idee dahinter wird auch als „Crowdsourcing“ bezeichnet.

Texte „auseinandergenommen“

„Das ist das Schlimmste, was passieren kann, dass eine Horde von Menschen die eigenen Texte auseinandernimmt“, so Schulzki-Haddouti. „Das Ergebnis war eindeutig.“ Dabei habe die politische Diskussion eher darauf abgezielt, die ganze Sache herunterzuspielen. Die Ergebnisse im GuttenPlag Wiki seien dann von anderen aufgegriffen worden und hätten auch international breite Beachtung gefunden. „Vor allem (die Microblogging-Website, Anm.) Twitter ist da ein Mobilisierungsinstrument gewesen.“

Künftig jedenfalls würden „solche Verfehlungen schneller aufgedeckt, weil alles digital verfügbar ist“. Für die Politiker heißt das: Ihre akademischen Würden könnten auf den Prüfstand geraten - wenn der Schwarm der Prüfer groß genug ist. Spätestens jetzt müsse jedem, der in Versuchung komme, „klar sein, dass es so nicht mehr geht“.

„Grenzen meiner Kräfte erreicht“

Guttenberg hatte seinen Rücktritt damit begründet, dass die entstandene Aufmerksamkeit ihn von den eigentlich wichtigen Fragen ablenke. „Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht“, erklärte er und machte deutlich, dass er sich mit seinem Rücktritt schwergetan habe. Das sei „unbefriedigend, aber allzu menschlich“. Man gebe nicht leicht ein Amt auf, „an dem das Herzblut hängt“.

Kritik an „Hetze“ und „#guttbye“

Die Reaktionen auf den Rücktritt fielen im Netz naturgemäß zwiespältig aus. Auf der Facebook-Fanseite des scheidenden Ministers hagelte es Sympathiebekundungen und Kritik an einer „Hetze“ gegen Guttenberg. Auf der anderen Seite tauchten schon bald nach der Erklärung des Ministers eine Fanseite „Guttenberg muss gehn“ und ein hämisches „#guttbye“ auf Twitter auf – mehr dazu in science.ORF.at.

Guttenberg selbst ließ auf seiner Facebook-Seite wissen: „Ich habe in einem sehr freundschaftlichen Gespräch die Bundeskanzlerin (Angela Merkel, Anm.) informiert, dass ich mich von meinen politischen Ämtern zurückziehen werde, und um meine Entlassung gebeten. Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens.“

„Wir wollen Guttenberg zurück“

Guttenberg kann aus dem Netz auch auf Solidarität zählen. Die Facebook-Seite „Wir wollen Guttenberg zurück“ erreichte bis Mittwochnachmittag mehr als 350.000 Unterstützer. Schon in der vergangenen Woche war die Gruppe „Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg“ auf über 336.000 Mitglieder gekommen.

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