Attacken auf al-Sawija „Komödie“
Mit einer neuen bizarren Schimpftirade hat sich der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi am Donnerstag zu Wort gemeldet. Al-Gaddafi, der vom staatlichen Fernsehen diesmal nicht gezeigt, sondern nur per Telefon zugeschaltet wurde, sagte, in der Stadt al-Sawija spiele sich derzeit eine „Komödie“ ab.
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„Wenn Ihr einander töten wollt, dann tut das“, sagte er an die Adresse der Einwohner der Stadt gerichtet, aus der am Vormittag heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Al-Gaddafi-Truppen gemeldet worden waren. Der Moderator des libyschen Fernsehens hörte die wirre Ansprache mit versteinertem Gesicht an. Al-Gaddafi machte die Terrororganisation Al-Kaida für den Aufstand in seinem Land verantwortlich.
Menschen „stehen unter Drogen“
Al-Kaida manipuliere die Libyer, Osama bin Laden sei der wirkliche Verbrecher. Keine vernünftige Person würde sich an den Protesten beteiligen. Die Menschen kämpften untereinander und stünden unter Drogen, sagte der seit mehr als 40 Jahren herrschende Gaddafi. Zugleich äußerte er sein Beileid für die Angehörigen all jener, die in den vergangenen Tagen ums Leben gekommen sind. Er bezeichnete sie als „Kinder Libyens“.
Al-Gaddafi betonte gleichzeitig, dass seine Herrschaft über das Land rein „moralischer“ Natur sei. Er sei wie die britische Queen Elizabeth II. nur ein symbolischer Führer des Landes.
Tatsächlich hat sich Al-Gaddafi nie als Staatsoberhaupt bezeichnet. Er trägt den Titel des Revolutionsführers, ist dabei aber auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Al-Kaida hatte sich am Donnerstag erstmals zu den Vorgängen in Libyen geäußert und sich auf die Seite der Aufständischen gestellt. Al-Gaddafi wurde von dem nordafrikanischen Ableger des Terrornetzwerks heftig kritisiert.
Stimmendouble statt Original?
Einige arabische Beobachter meldeten Zweifel an, dass die Stimme des Sprechers der Rede wirklich die Stimme von Al-Gaddafi ist. Zwar erinnerte der Stil der Ansprache sehr an frühere Einlassungen des cholerischen Machthabers. Doch klang die Stimme - vielleicht auch nur wegen der schlechten Telefonleitung - anders als sonst. Dies schürte Spekulationen, dass Al-Gaddafi, der in seiner vorherigen Fernsehansprache gedroht hatte, „bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen“, vielleicht doch schon dabei sein könnte, Vorbereitungen zu treffen, um mit seiner Familie das Land zu verlassen.
Wulff bezeichnet Al-Gaddafi als „Psychopathen“
Mit Aussagen wie, die Demonstranten stünden unter Drogen, die sie von „ausländischen Agenten“ erhalten hätten oder dass man ihnen bewusstseinsverändernde Tabletten in „ihre Milch, ihren Kaffee, ihren Nescafe“ getan habe, sorgte Al-Gaddafi auch bei ausländischen Politikern für Kopfschütteln. Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff bezeichnete ihn sogar als „Psychopathen“, der „Staatsterrorismus“ gegen die libysche Bevölkerung ausübe.
Augenzeuge: „Schlachthaus“ al-Sawija
Unterdessen gingen in Teilen Libyens die Proteste weiter. Die von Al-Gaddafi-Getreuen angegriffene „abtrünnige“ Stadt al-Sawija gleiche einem „Schlachthaus“, sagte ein Augenzeuge am Donnerstag dem arabischen Nachrichtensender al-Arabija. „Es ist schwer, jetzt die vielen Toten und Verletzten in der Stadt zu zählen.“ Aus der 40 Kilometer von Tripolis entfernten Stadt wurden am Mittag heftige Kämpfe zwischen regierungstreuen Truppen und Aufständischen gemeldet.
Misrata: Mehrere Menschen getötet
Schwerbewaffnete Sicherheitskräfte griffen am Mittwoch auch in der drittgrößten Stadt Misrata nach Angaben von Augenzeugen Demonstranten an und töteten mehrere Menschen. „Anhänger des Regimes haben unbewaffnete Demonstranten mit Maschinengewehren und Panzerfäusten attackiert“, sagte ein Augenzeuge. Es habe „mehrere Märtyrer“ gegeben. Zuvor zählte die Stadt zu jenen, die als „befreit“ galten.
Am Donnerstag gingen die Kämpfe in Misrata offenbar weiter. Dabei seien mehrere Menschen getötet worden, sagte ein Zeuge per Telefon der Nachrichtenagentur Reuters in Algier. Die Kämpfe fänden in der Nähe des Flughafens der Stadt statt.
Österreicher-Konvoi erreichte die Grenze
Ein österreichischer Fahrzeugkonvoi, der sich unterdessen durch das Chaos gekämpft hatte, erreichte am Donnerstag Nachmittag wohlbehalten die Grenze zu Tunesien. Außenministeriumssprecher Peter Launsky-Tieffenthal bestätigte APA-Informationen, wonach ein Konvoi von sieben Fahrzeugen mit 15 Österreichern und zwei oder drei weiteren Personen mit fünf Begleitern des Außen-, Innen- und Verteidigungsministeriums Tunesien sicher erreicht hatte - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Al-Gaddafi-Pilot soll nach Wien geflohen sein
Ein Pilot von Al-Gaddafis Privatmaschine, der Norweger Odd Birger Johansen, soll unterdessen mit seiner Frau und seiner Tochter nach Wien geflohen sein, wie die BBC online berichtete. Sie hätten um ihr Leben gefürchtet. Johansen ist einer von vier persönlichen Piloten Al-Gaddafis.
Aufständische planen Attacke auf Tripolis
Gegner Al-Gaddafis sind Augenzeugen zufolge nach ihren Erfolgen im Osten des Landes, wo die Proteste ihren Anfang nahmen, nun im Westen auf dem Vormarsch. Milizen würden die Ortschaft Suwara etwa 120 Kilometer westlich von Tripolis kontrollieren, sagten nach Tunesien geflohene ägyptische Gastarbeiter am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. Laut den Aufständischen ist ein Angriff auf Tripolis geplant. Die Stadt soll am Freitag in ihre Hände fallen, wie es heißt.
EU will nicht eingreifen
Trotz der akuten Krise plant die Europäische Union (EU) kein militärisches Eingreifen. „Es ist weder offiziell noch halboffiziell eine solche Anfrage eingegangen“, sagte der ungarische Verteidigungsminister Csaba Hende am Donnerstag in Budapest zum Auftakt eines informellen Treffens mit seinen europäischen Amtskollegen. Es müssten Regeln des internationalen Rechts beachtet werden. „Libyen ist ein souveräner Staat“, sagte Hende.
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