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Geeinte Opposition als Ansage

Zumindest für den Westen hat die Protestbewegung in Ägypten spätestens seit Sonntag ein Gesicht: Der Ex-Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed ElBaradei, setzte sich mit seinem Auftritt auf dem Tahrir-Platz in Szene und bot sich für eine Übergangsregierung an. Mit dem mutigen Schritt wollte ElBaradei wohl auch die Kritik an ihm abschwächen – doch wie viel Rückhalt er tatsächlich hat, ist noch nicht abzusehen.

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Der Diplomat ElBaradei bewies jedenfalls taktisches Geschick. Immer wieder wurde ihm vorgeworfen, er sei zu spät aus Wien angereist und habe sich den Gefahren der Proteste damit entzogen. Nun ignorierte er den über ihn verhängten Hausarrest und stellte sich den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, dem Zentrum des Protests.

Gleichzeitig erklärte er sich zum Wortführer der Opposition. Er sei bereit, eine Übergangsregierung zu bilden. Er überraschte vor allem mit der Aussage, wer hinter ihm stehe: ElBaradei erschien mit Anführern der verbotenen Muslimbruderschaft, der wohl am besten organisierten Oppositionsgruppe mit einem Potenzial von rund einem Viertel aller Wählerstimmen.

Gleichzeitig sagte er, die vor allem über das Internet organisierten jungen Protestgruppen würden hinter ihm stehen, die „Jugendbewegung 6. April“, die nach einem von der Polizei getöteten Jugendlichen benannte Gruppe „We are all Khalid Said“, die Gruppe „25. Jänner“ und ElBaradeis eigene Organisation „Ägyptische Nationale Front für den Wandel“.

Erste Namen für Übergangsregierung

Und auch der anerkannte liberale Oppositionspolitiker Aiman Nur, der drei Jahre im Gefängnis war, sagte gegenüber al-Jazeera, er und seine Gefolgsleute würden mit ElBaradei kooperieren. Nur soll auch der Übergangsregierung angehören, verlautbarte die Nationale Front für den Wandel am Montag, ebenso wie Mohammed al-Beltaki, ein führendes Mitglied der Muslimbruderschaft, zwei Richter und ein Mann aus dem Militär.

Allerdings erklärten die liberale Traditionspartei al-Wafd und zwei weitere Oppositionsparteien, ElBaradei spreche nicht in ihrem Namen. Aus dem Lager von ElBaradei hieß es, al-Wafd und ihre Verbündeten verhandelten mit dem Regime.

Unklar, ob ElBaradei überhaupt wahrgenommen wird

Der 68-Jährige hatte seine politische Rolle auch geschickt eingefädelt: Von Anfang an sagte er, er würde sich zur Verfügung stellen, wenn die Demonstranten das wollten, und vermied damit, dass ihm Machtgelüste unterstellt werden. Der Auftritt, die starken Worte und die Bündelung der Kräfte der Opposition beurteilten westliche Medien als klare Kampfansage ElBaradeis an Präsident Hosni Mubarak.

Nur: Ob das in Ägypten selbst so wahrgenommen wurde, ist fraglich. Denn auf dem Platz sprach er mit einem einfachen Megafon vor einer Handvoll Menschen und Kameras von TV-Sendern wie al-Jazeera, die in Ägypten nicht mehr zu empfangen sind. Insofern ist fraglich, ob die Bevölkerung die Rolle ElBaradeis überhaupt wahrnehmen kann.

„Zu wenig politische Erfahrung“

In den Internetforen der Oppositionsgruppen und auf Facebook wird der Ex-IAEA-Chef weiter kontroversiell diskutiert: Viele glauben nicht, dass er die Protestbewegung repräsentieren kann. Schon jetzt habe diese keine Galionsfiguren gebraucht. ElBaradei habe zu wenig politische Erfahrung und wisse durch seine langen Auslandsaufenthalte mit Golfspiel und Opernbesuchen zu wenig über die Lage in Ägypten.

Andere sehen ihn zumindest für eine Übergangszeit als wichtige politische Figur – und mit seiner Ansage habe er das Regime von Mubarak zum Handeln gezwungen. Zudem wird ins Treffen geführt, dass er nicht anfällig für Korruption ist und auch kaum als „US-Marionette“ gelten kann: Das habe er als IAEA-Chef mit seiner kritischen Haltung gegenüber dem Irak-Krieg und Ex-US-Präsident George W. Bush deutlich gezeigt.

Nur Elitenprogramm und Wunschdenken?

Und ähnlich wie die ägyptische Bevölkerung zeigen sich auch Analysten und Kommentatoren nicht sicher, ob ElBaradei tatsächlich maßgeblich für ein neues Ägypten einer möglichen Post-Mubarak-Ära werden kann. Es sei noch unklar, wo er programmatisch und politisch stehe, so der Politikwissenschaftler Holger Albrecht von der Amerikanischen Universität in Kairo.

Andere Experten zweifeln, ob ElBaradei tatsächlich das Zeug zum Politiker und Anführer hat. Bis vor einigen Tagen habe er vor allem westlichen Medien reihenweise Interviews gegeben, aber keine konkreten Schritte gesetzt. Erst jetzt habe sich das geändert. Ob er damit die Massen in Ägypten tatsächlich gewinnen kann oder lediglich ein „Elitenprogramm“ und Produkt des Wunschdenkens des Westens bleibt, muss sich nun bald entscheiden.

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