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Es geht um „die Entdeckung des Ichs“

Am Samstag stand mit „Don Giovanni“ in der Wiener Staatsoper die dritte szenische Opernpremiere der ersten Spielzeit unter dem neuen Direktorenduo Dominique Meyer und Franz Welser-Möst auf dem Programm. Die APA sprach mit dem neuen Generalmusikdirektor im Vorfeld über Neid und sein Bestreben, nicht das Rad neu zu erfinden.

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Staatsoperndirektor Meyer beschreibt Sie als einen der uneitelsten Dirigenten, die er kennt. Erkennen Sie sich in dieser Charakterisierung wieder?

Franz Welser-Möst: Jeder hat auch sein Ego. Aber ich finde, als musikalischer Chef ist die Institution ja nicht für einen selbst, sondern man selbst für die Institution da. Und deshalb sollte man sich darum bemühen, dass man die bestmöglichen Dirigenten ans Haus bekommt, die verfügbar sind. Diese Tradition unseres Hauses muss man wieder mehr beleben. Außerdem erleichtert das meine Arbeit. Und das ist doch auch fürs Publikum spannend - denn letztlich sind wir ohne das Publikum gar nichts.

Es hätte Sie also nicht gereizt, anstelle von Christian Thielemann neuerlich selbst den „Ring des Nibelungen“ zu dirigieren?

Welser-Möst: Ich bin selbst auf Thielemann zugegangen und habe ihn gefragt, ob er sich vorstellen könne, den Ring zu dirigieren. Da ist ihm die Kinnlade runtergefallen. Aber Thielemanns andere Sicht auf Wagner, die genauso eine Berechtigung hat wie meine und die sich vor allem durch große Qualität auszeichnet, sollte hier am Haus präsentiert werden. Punkt.

Sehen Sie sich die Aufführungen von Kollegen im Haus an, wenn Sie selbst nicht am Pult stehen?

Welser-Möst: Ja, ich bin immer wieder auch in Proben. Ich gehe mir vieles anschauen - da genügen mir auch oft zehn Minuten, dann weiß man ja, wo es hingeht. Von 300 Abenden im Haus sind 40 hervorragend, 40 sind gut und über den Rest, wie Herbert von Karajan das ausgedrückt hat, breiten wir den Mantel des Schweigens. Es muss aber immer das Ziel sein, etwas besser zu machen. Je mehr und je bessere Kollegen hier dirigieren, desto mehr freue ich mich darüber.

Bei Händels „Alcina“ saß das erste Mal seit Jahrzehnten nicht das Staatsopernorchester, sondern mit den Musiciens de Louvre ein „fremdes“ Orchester im Graben. Sollte man diesen Weg fortsetzen?

Welser-Möst: So weit ich das beurteilen kann, ist die „Alcina“ vom Publikum sehr gut angenommen worden. Es war ein Versuchsballon, der sehr wohl gestiegen ist - also warum sollte man das nicht wiederholen? Aber das muss man Dominique Meyer fragen. Es wäre natürlich eine völlig andere Situation, wenn man die Berliner Philharmoniker einladen würde, hier einen „Ring“ zu spielen - aber so finde ich das absolut in Ordnung.

Sie haben in dieser Spielzeit vier Premieren und rund 35 Auftritte in Planung. Wird das in der kommenden Spielzeit weniger werden?

Welser-Möst: Dieses Jahr ist eine Ausnahmesituation. Ursprünglich war nur vorgesehen, dass ich „Cardillac“ und „Katja Kabanova“ mache, dann kam „Figaro“ dazu und dann ist für „Don Giovanni“ ein Dirigent ausgefallen. Als musikalischer Chef in einem Haus ist es Teil des Jobs, der Feuerwehrmann zu sein. Dann haben wir aus der Not eine Tugend gemacht, und ich habe gesagt: Na gut, dann mache ich alle drei Da-Ponte-Opern selber.

Jede Direktion hat ihre Vorlieben - das ist jetzt keinerlei Kritik an irgendeinem Vorgänger -, aber Mozart muss auch wieder einen stärkeren Stellenwert haben an diesem Haus. Und wir müssen versuchen, auch in diesem Bereich das Ensemble mehr aufzubauen. Jetzt haben wir beispielsweise im „Don Giovanni“ wieder zwei Sänger vom Haus, Sylvia Schwartz und Adam Plachetka, die wirklich solche Stützen sein könnten. Der Plachetka könnte wirklich ein Weltklasse-Don-Giovanni werden.

Das heißt, Sie haben das Ziel, in den nächsten Spielzeiten einen Mozart zu präsentieren, der in allen wesentlichen Rollen aus dem Ensemble besetzt wird?

Welser-Möst: Das muss das Ziel sein.

Wie legen Sie Ihren „Don Giovanni“ an?

Welser-Möst: Ich bin nicht jemand, der versucht, das Rad neu zu erfinden, sondern ich versuche, mich der Substanz zu nähern - und das ist wesentlich schwieriger, als das Rad neu zu erfinden. Das sind ja ganz weise, zutiefst philosophische Stücke. Ich persönlich versuche, mich diesem philosophischen Kern dieser Stücke zu nähern.

Im „Figaro“ versucht Mozart zu zeigen, dass Standesunterschiede etwas Künstliches sind, und zur Menschlichkeit vorzudringen. Im „Don Giovanni“ geht es um die Entdeckung des Ichs. Und in der „Cosi fan tutte“ geht es darum, wie diese verschiedenen Ichs miteinander umgehen. Für mich ganz persönlich ist „Cosi“ das weiseste Stück Kunst, das jemals über die menschliche Natur geschrieben worden ist - und das interessiert mich einfach.

Das Gespräch führte Martin Fichter, APA