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Versuche an Flüchtlingen

Wirkungsvolle Medikamente können Menschenleben retten - und ihren Herstellern Milliardeneinnahmen bescheren. Doch damit Tabletten, Impfstoffe etc. so rasch wie möglich auf den Markt kommen, muss die Testphase so kurz und billig wie möglich sein. Dabei werden oftmals Menschen als „Versuchskaninchen“ rekrutiert, die die Risiken gar nicht abschätzen können.

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Ein Bericht der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg sorgte 2005 für einiges Aufsehen. Damals deckten Reporter auf, dass die Firma SFBC International, die Millionen mit Auftragsforschung verdient, Medikamententests an illegal Eingereisten durchführte. In einem alten, maroden Hotelkomplex in Florida wurden über 300 Patienten behandelt. Ein Richter ließ das Gebäude schließlich wegen mangelnder Brandschutzbestimmungen abreißen. SFBC kündigte daraufhin an, die Tests künftig nach Kanada zu verlagern. Auch die Zentrale wurde aus den USA nach Großbritannien verlegt.

Einen Monat später geriet SFBC wieder in die Schlagzeilen, als sich Patienten während der Tests mit offener Tuberkulose ansteckten. Ein Patient beschuldigte das Unternehmen, ihn mehrere Tage neben einem Mann liegen gelassen zu haben, der bereits Blut spuckte. In der Einrichtung in Montreal wurde ein Medikament der Firma Isotechnika getestet, das die Immunabwehr nach Organspenden unterdrücken soll.

Mysteriöse Selbstmordfälle

Gravierender waren jedoch die Selbstmordfälle, die ein Jahr zuvor durch die Medien gingen. Ein 27-Jähriger tötete sich mit mehreren Messerstichen selbst, während er das Psychopharmakon Seroquel testete. Und eine 19-jährige Frau erhängte sich, während sie für den Konzern Eli Lilly an einer Testreihe für Antidepressiva teilnahm. Beide Fälle landeten vor Gericht.

Sechs Männer in Lebensgefahr

Im Frühjahr 2006 hatte dann auch Großbritannien seinen Medikamententestskandal. Sechs junge Männer waren nach der Einnahme des Präparates TGN 1412 der Würzburger TeGenero AG schwer erkrankt - zwei waren nach multiplem Organversagen sogar in Lebensgefahr. Das Medikament sollte gegen Multiple Sklerose eingesetzt werden, warum es zu dieser Reaktion gekommen war, konnte das Pharmaunternehmen selbst nicht erklären. Die Männer erhielten später 10.000 Pfund (11.000 Euro) Entschädigung.

Kinder als Versuchskaninchen missbraucht

Weit größere Dimensionen hatte der Fall des Pharmariesen Pfizer. 1996 wurde während einer Meningokokkenepidemie in Nigeria ein Antibiotikum an Hunderten Kindern getestet, ohne dass die Eltern ausreichend darüber informiert wurden. Elf Kinder starben, viele andere blieben dauerhaft geschädigt. Dabei gab es bereits zugelassene Medikamente. Doch Pfizer wollte beweisen, dass sein neues Mittel besser sei. 13 Jahre wurde vor Gericht gestritten. 2009 wurde Pfizer schließlich zu 75 Mio. Dollar (56 Mio. Euro) Schadenersatz verurteilt.

Im Zuge der WikiLeaks-Veröffentlichungen kam zudem ans Licht, dass Pfizer den nigerianischen Staatsanwalt unter Druck gesetzt haben soll, um hohen Strafzahlungen zu entgehen. Zweitweise waren Strafzahlungen bis zu acht Mrd. Dollar verlangt worden. Der Pharmakonzern soll Korruptionsvorwürfe gegen den Staatsanwalt ausgegraben haben, um ihn unter Druck zu setzen. Das habe ein damaliger Manager in dem Land freimütig in der Botschaft erzählt. Wie erfolgreich das Unternehmen damit war, wurde jedoch nicht vermerkt.

Falsche Voraussetzungen

In einem Krankenhaus in Peking wurden 2003 Tests für ein neues Medikament gegen Aids durchgeführt. Mehrere Teilnehmer starben. Der US-Firma Viral Genetics, die als Sponsor auftrat, wurde vorgeworfen, die Teilnehmer nicht ausreichend über die Risiken informiert zu haben. Außerdem wurde die Kontrollgruppe nicht mit einem bereits erprobten Medikament behandelt, sondern bekam ein Placebo, was den Verlauf der Krankheit weiter verschlimmerte.

Dass es sich dennoch für Firmen auszahlt, in Schwellenländer auszuweichen ,zeigen die Zahlen eindrucksvoll. In Industrieländern springen bis zu 70 Prozent der Studienteilnehmer wieder ab. In Indien halten hingegen bis zu 90 Prozent bis zum Schluss durch, wie der „Spiegel“ berichtete. Zudem wird auch Ethik nicht unbedingt großgeschrieben. So suchte die Firma Sun Pharmaceuticals Frauen, die bisher vergeblich versucht hatten, schwanger zu werden. 400 Frauen meldeten sich. Doch statt eines Fruchtbarkeitsmedikaments erhielten sie Letrozol, ein Arzneimittel gegen Krebs.

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