Baustellen, wohin das Auge reicht
Beirut boomt. Nicht nur dass immer mehr Touristen wieder ihren Weg in die krisengeschüttelte Hauptstadt des Libanons finden, der Immobilienmarkt in der Mittelmeer-Metropole erreicht derzeit ungeahnte Höhen: Wohnungspreise haben sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt, und das trotz der politisch immer wieder instabilen Lage.
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Bei den Städten mit den teuersten Geschäftsmieten weltweit liegt Beirut mittlerweile auf Platz 30, wie ein aktueller Bericht der Immobilienberater Cushman and Wakefield besagt. Luxusshopping ist in Beirut ein Leichtes, ob im revitalisierten Downtown oder dem neuesten Prestigeprojekt Beirut Souks, das mit orientalischem Marktflair herzlich wenig zu tun hat. Die im Bürgerkrieg zerstörten traditionellen Einkaufsstraßen für Lebensmittel, Kleidung und Gold im Herzen der Stadt wurden nun in ein Shoppingareal verwandelt, das auf über 100.000 Quadratmetern von High Fashion bis H&M keine Wünsche offenlässt.
Die Geschäftsmieten liegen hier mit rund 1.500 Euro pro Quadratmeter um einiges höher als in Luxemburg, Stockholm und Tel Aviv. Hermes, Yves Saint Laurent, Balenciaga und Jimmy Choo sind schon da und viele weitere Luxuslabels im Anmarsch. Die Dekadenz des Angebots wird durch vollen Klimaanlagenbetrieb in den offenen Gängen und Gassen, durch die sich ein vorwiegend schickes Klientel schlängelt, noch unterstrichen.
Kritik am Wiederaufbau
Beirut Souks ist nur ein weiteres Projekt der privaten Planungsfirma Solidere, die seit Ende des Bürgerkriegs 1990 in einer einzigartigen Public-Private-Partnership aus der Revitalisierung Beiruts Kapital schlägt. Gründer ist der 2005 bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommene Ex-Premierminister Rafik Hariri, dessen Familie auch heute noch Hauptanteilseigner ist. Bekannt wurde Solidere durch das ehrgeizige Projekt der Renovierung von Beiruts altem Stadtzentrum Downtown, das zwar architektonisch einwandfrei umgesetzt wurde, jedoch in der Kritik stand, die Zeichen des Konflikts völlig auszulöschen und einen kollektiven Gedächtnisverlust der Kriegsjahre anzustreben.
Tatsächlich dauerte es einige Jahre, bis sich Downtown auch tatsächlich mit Leben füllte. Wo jetzt Familien in einer der wenigen Fußgängerzonen der Stadt flanieren und Cafes und Restaurants aus allen Nähten platzen, hatte man vor wenigen Jahren noch den Eindruck, durch eine verlassene Filmkulisse zu spazieren - schön, aber ohne Seele.
Verdrängung in die Vororte
Auch rund um den Stadtkern wird gebaut, was das Zeug hält. Immer mehr Wolkenkratzer werden aus dem Boden gestampft, Kräne prägen die Skyline, der Baulärm ist längst Teil der Geräuschkulisse geworden. Die Luxusapartments mit 300 Quadratmetern aufwärts werden vor allem von den zahlreichen Auslandslibanesen und Arabern aus den Golf-Staaten gekauft. Eine Immobilienblase ist für Experten dennoch nicht in Sicht, zumal die Wohnungen an zahlungskräftige Käufer gehen und nicht auf Pump gekauft werden.
Nebenwirkungen des Baubooms machen sich aber auch bemerkbar. Die fast ausgestorbene Mittelschicht wird immer mehr in die Vororte verdrängt, so sie nicht über Familienbesitz oder Mieterschutzwohnungen verfügt. Allein in Downtown hatten vor Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 mehr als 150.000 Menschen gewohnt, von denen sich kaum jemand eine Rückkehr leisten konnte.
„Beirut gehört nicht länger den Libanesen“, liest man immer wieder auf Mauern verwaister Gebäude. Auch auf alte ottomanische Häuser, die eigentlich unter Denkmalschutz stehen müssten, wird keine Rücksicht genommen. Sie weichen immer öfter den Neubauten, werden teilweise von ihren Besitzern mutwillig beschädigt, damit sie eine Abrisserlaubnis erhalten.
Das „richtige“ Leben pulsiert anderswo
Doch auch wenn Solidere und manche Libanesen es sich anders vorstellen, ist das richtige Beirut weit entfernt von Downtown und den neuen Souks. Blickt man von dort in Richtung Süden, thront zwischen Großbaustellen immer noch das völlig zerschossene ehemalige Holiday Inn wie ein Kriegsdenkmal auf einem Hügel.
Dahinter erstreckt sich das ehemalige Geschäftsviertel Hamra, das in den letzten Jahren wieder zum Leben erwacht, ohne die Hilfe von Solidere, organisch gewachsen. Hier finden sich kleine Greißler neben Schönheitssalons, Buchgeschäfte, internationale Modemarken und kleine Boutiquen, Coffeeshops und Snackbars - neuerdings auch Bioläden. Hier pulsiert das Leben vielfältig, Menschen aus allen Bevölkerungsschichten treffen aufeinander und leben miteinander. Hier ist Beirut vielleicht am ehesten so, wie es früher einmal war.
Nayla Haddad, ORF.at
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