„Camorra will den Dauernotstand“
Das Geschäft mit dem Abfall ist für die neapolitanische Mafia, die Camorra, mindestens so lukrativ wie jenes mit Drogen. Hinter der scheinbar unlösbaren Müllkrise im Großraum der süditalienischen Metropole steckt nicht zuletzt auch das organisierte Verbrechen, das in der illegalen Entsorgung eine Goldgrube entdeckt hat.
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Der illegale Müllhandel zählt zu den Hauptgeschäften der Camorra. Davon ist auch der Schriftsteller Roberto Saviano überzeugt, der in seinem Bestseller „Gomorrah“ die Hintergründe minuziös beschrieben hat. „Die Camorra verwaltet ein kriminelles Imperium, in dem der Müllhandel für Riesengewinne sorgt. Die illegale Abfallentsorgung zählt zu den rentabelsten Geschäftszweigen der Camorra“, schrieb Saviano.
Lösung nicht in Sicht
Die Müllkrise in Neapel und der umliegenden Region Kampanien existiert seit Jahren. Die bestehenden Deponien sind hoffnungslos überfüllt, betroffene Gemeinden blockieren aber den Bau neuer Halden. Obwohl seit 1994 mehr als eine Milliarde Euro zur Bekämpfung der Müllkrise im Raum Neapel aufgewendet und renommierte staatliche Experten eingesetzt wurden, um das Problem zu bewältigen, ist vorerst kaum eine Lösung in Sicht.
Die Camorra hat Interesse daran, dass alles so bleibt, wie es ist oder noch schlimmer wird, meinen Ermittler. Denn das organisierte Verbrechen verdient schon gut drei Jahrzehnte an illegalen Mülllagern und hat sich seither mit Erfolg in das „dreckige“ Geschäft der Abfallbeseitigung gedrängt. Umweltschützer sprechen seit langem von „Ökomafia“. Sie verdient im Müllgeschäft über undurchsichtige, staatlich-private Unternehmen enorme Summen.
Monopol im Müllgeschäft
„Die Camorra besitzt das Monopol im Handel mit Giftmüll. Seit über 30 Jahren entsorgen norditalienische Unternehmen ihre Gifte über Vermittler, die mit der Camorra verstrickt sind. Der gefährliche Abfall landet auf illegalen Deponien in der Region Kampanien und verseucht die Felder, was zu einer deutlichen Steigerung der Krebsrate geführt hat“, so Saviano.
„Sollte man den illegalen Müll, der bisher von den Clans entsorgt wurde, auftürmen, würde sich ein Berg bilden, der zweimal so hoch wäre wie der Mount Everest“, sagt Saviano. Gefährliche Substanzen und Reste chemischer Verarbeitung würden von mafiösen Organisationen als harmloser Abfall verpackt und im Auftrag von Unternehmen auf öffentlichen Deponien oder in Verbrennungsöfen entsorgt. 258 Mafia-Clans mischen in diesem illegalen Geschäft mit.
Aber auch mit dem normalen Hausmüll erzielt die Camorra Gewinne. Wenn wie jetzt die Deponien voll und nur wenige in Betrieb sind, kann die Camorra ihre Macht ausspielen und auf dem Höhepunkt der Krise alternative Deponien anbieten oder Abfälle verschwinden lassen. „Die Camorra will keine Müllverbrennungsanlage: Deponien garantieren, dass sie irgendwann voll werden und dass man neue braucht. Die Camorra will den Dauernotstand“, sagte eine Anti-Mafia-Expertin.
„Ökomafia kennt keine Krise“
20 Milliarden Euro jährlich erwirtschaftet die „Ökomafia“ mit der illegalen Abfallentsorgung und schwarzen Geschäften in der Bauwirtschaft, ergab eine jüngst veröffentlichte Studie des italienischen Umweltschutzverbands Legambiente. „Die Ökomafia kennt keine Krise“, heißt es in dem Bericht. 28.586 Umweltdelikte wurden im Jahr 2009 festgestellt, das sind 78 pro Tag, drei pro Stunde.
Die meisten davon werden in den vier süditalienischen Regionen Kampanien, Apulien, Kalabrien und Sizilien registriert, in denen die Mafia am stärksten vertreten ist. Allein im vergangenen Jahr wurden 5.217 Umweltverbrechen in Zusammenhang mit illegalem Müllhandel registriert, im Jahr davor waren es 3.911.
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