Eine Liebe, die weiterlebt
Es gibt Mutter-Tochter-Beziehungen, die wirken über den Tod hinaus, die lassen nicht locker. Im Schmerz. Und in der Liebe. Die Kärntnerin Helga Emperger (geborene Peskoller) hat ihre Beziehung zur Mutter in einem nun anlaufenden Film öffentlich gemacht.
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In dem sehr persönlichen, intimen Film „Wilde Minze“ erlebt sie die letzten Tage einer Mutter-Tochter-Beziehung nach - und spricht von einem Trauma, das sie ihr Leben lang begleitet.

Jenny Gand
Eines der letzten Bilder, das von Maria Peskoller geblieben ist.
NS-„Volksgerichtshof“ statuiert Exempel
Einen Tag vor Weihnachten 1944 wird die Villacher Kommunistin Maria Peskoller zusammen mit sieben politischen Weggefährten in Graz hingerichtet. Am Grazer „Volksgerichtshof“ wurde unter dem Vorsitz von Roland Freisler, dem bekanntesten und berüchtigsten NS-Richter, ein Exempel statuiert. Helga Peskoller war der Anklage entkommen und überlebte. Nach dem Krieg kommen die Schwester, der Vater, der länger politisch aktiv war als die Mutter und immer wieder inhaftiert war, zusammen.
Helga Peskoller beginnt ein neues Leben, wird zweimal heiraten, hat Kinder und Enkelkinder, die weit verstreut leben. Einen zentralen Platz in ihrem Leben, das macht die Dokumentation von Jenny Gand und Lisa Rettl deutlich, nimmt die Auseinandersetzung mit der Mutter ein - gerade auch die Suche nach Orten, an denen man persönlich und öffentlich der Mutter gedenken kann.
Behutsame Annäherung
Rettl und Gand nähern sich der Lebensgeschichte von Helga Emperger sehr persönlich und direkt: Sie ist unterwegs zu ihren Enkelkindern in Kalifornien und wird sich auf dem Weg zum Flughafen an einen anderen schwierigen Weg erinnern: den von der Verhaftung der Mutter und ihrer Tochter, der Inhaftierung zunächst in Villach und schließlich die Überstellung nach Klagenfurt. Nach Graz muss die Tochter der Mutter nicht folgen. Sie kann überleben, während die Mutter wegen ihrer Tätigkeiten im Partisanenkampf gegen die Nazi-Herrschaft ermordet wird.
Opfer mussten lange warten
In Österreich mussten die Opfer der NS-Unrechtsjustiz und deren Angehörige 64 Jahre auf ihre Rehabilitierung warten. Erst am 7. Oktober 2009 stimmten SPÖ, ÖVP und Grüne einem Gesetzesantrag zu, wonach alle Urteile des Volksgerichtshofs, der Sonder- und Standgerichte sowie der „Erbgesundheitsgerichte“ pauschal aufgehoben wurden.
Historische Hintergrundinfos zum Film von Lisa Rettl
Langsam und behutsam faltet der Film die Familiengeschichte der Peskollers aus. Immer wieder schauen die Regisseurinnen auf die Hände von Helga Emperger, wie sie die spärlichen Dokumente und Erinnerungsstücke, die von der „Mama“ geblieben sind, auflegt, immer wieder in die Hand nimmt und anschaut. Emperger erzählt von der Geschichte der Familie, dem Eisenbahner-Vater, der sich als Sozialdemokrat schon während der Dollfuß-Zeit auflehnt, durch seine Rolle als Betriebsrat in Haft kommt.
Die Mutter wird später politisch aktiv, nimmt dabei eine zentrale, organisierende Rolle im Widerstand gegen die Nazis im Raum Villach ein. Die Tochter wird einmal eine Waffe nach Bleiburg transportieren müssen - und empfindet das als Auszeichnung.

Jenny Gand
Helga Emperger und die Suche nach einem Gedenkort an die „Mama“.
Die sorgende Mutter
Emperger berichtet von einer sorgenden Mutter, die bis zum letzten Moment und auch in einem berührenden Abschiedsbrief für ihre Familie lebt. Die Töchter sollten „anständige Menschen“ werden, ist einer der letzten Wünsche der Mutter. Als Emperger, während sie ihre Lebensgeschichte erzählt, einen Pfefferminztee kocht, entspinnt sich eine Kette von Erinnerungen: an den Duft der wilden Minze, als man früher mit der Mutter durch den Wald gegangen ist. Ein Hauch von Prousts „Madeleine“ liegt über dieser kleinen Alltagsszene, in der scheinbar Nebensächliches derart starke Assoziationen, Gefühle und Erinnerungen auslöst.
Helga Emperger hat lange gekämpft, auch das zeigt der Film: dafür, dass es Orte des Gedenkens gibt an die Widerstandkämpfer gegen die Nazis. Immer wieder wird sie diesen Gedenkort aufsuchen und mit ihrer Mutter reden. Bis heute ist Emperger im Vorstand des Vereins „Erinnern“ aktiv.

Jenny Gand
Denkmal auf dem Grazer Zentralfriedhof für die politischen Opfer des Nationalsozialismus, die auf dem Gelände des Grazer Feliferhofes hingerichtet wurden
Film soll in Schulen reisen
Nun wollen die Filmemacherinnen gemeinsam mit ihrer lebensfrohen Hauptdarstellerin an Schulen gehen. „Wilde Minze“ läuft vorerst in Salzburg und Kärnten an und wird dann schrittweise auch andere österreichische Kinos erreichen (in zwei Wochen läuft der Film in Wien an). Danach soll der Film in Schulen gezeigt und vor allem diskutiert werden.
„Wilde Minze“ ist ein eindrucksvolles und in der direkten Vermittlung höchst gelungenes Beispiel von Oral History. Langsam entwickelt sich hier Zeitgeschichte aus einem intimen Moment, aus einer sehr persönlichen, direkt wirkenden Erzählung. Gerade Schulen könnten von diesem Zugang profitieren, kann doch das Einzelschicksal der Einstieg sein, sich dem Thema Widerstand gegen die Nazis in einem größeren Kontext anzunähern.
Gerald Heidegger, ORF.at
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