Obama muss zittern
Mit großen Gewinnen im Kongress haben die Republikaner in den vergangenen Wochen im Wahlkampf gerechnet, mittlerweile scheint ihnen aber doch kein so großer Triumph ins Haus zu stehen wie erhofft - jedenfalls im Senat. Umfragen in Pennsylvania und anderen Schlüsselstaaten deuten auf einen Aufwärtstrend für die Demokraten hin.
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Für die Partei von US-Präsident Barack Obama sind das dringend nötige wenigstens halbwegs positive Nachrichten: Dass sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren könnten, haben die Demokraten hinter vorgehaltener Hand bereits eingeräumt. Auch im Senat in die Minderheit zu rutschen wäre für sie aber ein verheerender Rückschlag.
Doch die diesjährigen Kongress- und Gouverneurswahlen dürften zu den unvorhersehbarsten seit Jahren gehören. In Pennsylvania beispielsweise lag der demokratische Abgeordnete Joe Sestak in Umfragen monatelang hinter seinem republikanischen Konkurrenten Pat Toomey, ein Sieg der Republikaner galt immer als wahrscheinlich.
Äußerst knappes Rennen erwartet
Doch jüngste Erhebungen deuten darauf hin, dass Sestak aufgeschlossen hat. Und während die Republikaner nach außen an ihre Anhänger appellieren, nicht in Panik zu verfallen, heißt es in der Führungsriege: Was ist da bloß los? Denn das Rennen zwischen Sestak und Toomey ähnelt dem Wahlkampf um Senatorenposten in anderen Staaten.
In den meisten dieser Staaten steuert alles auf eine nervenzerreißend knappe Spanne zwischen den Kandidaten hin. Im Senat könnten sich die Republikaner zehn der 37 zur Wahl stehenden Sitze sichern und damit künftig die Mehrheit stellen. Für die Mehrheit im Repräsentantenhaus bräuchten sie 40 zusätzliche Mandate. Alle 435 werden am 2. November neu besetzt.
Obama in der Defensive
Obama konzentriert sich bei seinen Auftritten in den kommenden Tagen vor allem darauf, die demokratischen Senatoren im Staat Washington sowie in Kalifornien, Nevada und Wisconsin zu unterstützen - ein klares Zeichen dafür, dass sich seine Partei weiterhin in der Defensive befindet. In Kalifornien und Washington nähern sich die republikanischen Herausforderer den demokratischen Amtsinhabern in Umfragen immer weiter an; anderswo scheinen die Demokraten dagegen auf dem aufsteigenden Ast zu sein.
Zugutekommt ihnen eine weit verbreitete Behauptung: Dass die erzkonservative Tea Party als gefährliche Randbewegung die Kontrolle über die republikanische Partei übernommen hat. Unstreitig hat die Tea Party mit ihrem Eintreten für ein Abspecken des Regierungsapparats und Steuersenkungen den Republikanern einen Schub verpasst. Zugleich hat sie selbst bei den Vorwahlen der Partei in mehreren Staaten Erfolge erzielt und den Republikanern damit Bewerber verpasst, deren ultrakonservative Haltung vielen zu extrem erscheint, um mit ihnen gegen die Demokraten bestehen zu können.
Wie stark ist die Tea Party?
Anders als seine Kandidatenkollegen in Colorado und Nevada passt der in Pennsylvania antretende Toomey besser in die wirtschaftsfreundliche Tradition der Republikaner als in das Modell Tea Party. Trotzdem lässt auch er sich von der trotz ihrer Niederlage im Rennen um das Amt der US-Vizepräsidentin 2008 zur Galionsfigur aufgestiegenen Sarah Palin unterstützen.
Der Demokrat Sestak nutzt diese Offenheit seines Konkurrenten gegenüber der Tea Party aus und führt zusätzlich den Namen Christine O’Donnell ins Feld: Die Anhängerin der Tea Party kandidiert für die Republikaner im benachbarten Delaware für den Senat. Toomey sei daher der Lotse einer neuen und erschreckenden republikanischen Partei, die gefährlich auf den politischen Rand zusteuere, heißt es in Sestaks Wahlkampf.
Mobilisieren Demokraten besser?
Und diese Parole könnte als Strategie der Demokraten wirken und in ähnlicher Form gegen Tea-Party-Republikaner in Nevada, Colorado und anderen Staaten zum Einsatz kommen. Sie könnte sogar dem demokratischen Senatskandidaten Jack Conway aus Kentucky helfen: Der Republikaner Rand Paul hat einen Sieg dort noch nicht sicher, und die Demokraten haben die Chance, ein bisher von den politischen Gegnern gehaltenes Mandat zu erobern. Der amtierende republikanische Senator Jim Bunning tritt in den Ruhestand.
Nach Auffassung mehrerer Beobachter kommen Sestak und möglicherweise seinen Parteikollegen in anderen Staaten zwei weitere Faktoren zugute: Erstens sind die Demokraten gut darin, Wähler zu mobilisieren. Möglicherweise spiegelt sich der intensive telefonische und direkte Kontakt zu Wahlberechtigten in den jüngsten Umfragewerten bereits wider. Zweitens ist sich nicht nur Obama sicher, dass die demokratischen Wähler regelrecht „aufwachen“, sobald ihnen klar wird, was am 2. November für die Partei auf dem Spiel steht.
Der Ärger über die Krise
Vielen Republikanern können diese Argumente nichts anhaben. Die Wut und die Sorge der Menschen angesichts der schleppenden Erholung der Wirtschaft und der hohen Arbeitslosigkeit sitzen tief und nutzten der Partei weiterhin, heißt es. Tatsächlich kosten die sogenannten „midterm elections“ traditionell die Regierungspartei Sitze im Kongress. In diesem Jahr rechnen die Republikaner allerdings mit einem weitaus drastischeren Ergebnis, ähnlich wie während der ersten Amtszeit von Bill Clinton im Jahr 1994.
Toomey selbst ist bemüht, einen gewissen Abstand zu den Tea-Party-Aktivisten zu wahren und sich zugleich den eher traditionellen Republikanern zuzuwenden. Auf eine Frage von Reportern, ob Palin für das Amt der Präsidentin qualifiziert sei, antwortete er diplomatisch: „Politiker entscheiden nicht, wer für ein Amt qualifiziert ist“. Das sei allein Sache der Wähler. Zwei Tage zuvor hatte er eine entsprechende Frage ganz übergangen.
„Verrücktheiten“ der Tea Party
Der Demokrat Ed Rendell, der nach zwei Amtszeiten als Gouverneur von Pennsylvania aufhört, sieht im Auftreten der Tea Party unstreitig einen Ansporn für seine Partei. Die demokratischen Wähler „kriegen Angst bei der ganzen Verrücktheit da draußen“, sagte Rendell nach einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit Sestak.
Forderungen wie die von einigen Republikanern, Vergewaltigungsopfern die Möglichkeit einer straffreien Abtreibung zu nehmen, würden im Zusammenspiel mit der Mobilmachung demokratischer Wähler den Kandidaten ihrer Partei helfen. Möglicherweise aber auch nicht. „Es kommt alles zusammen“, sagt Rendell. „Aber wird es schnell genug zusammenkommen, um etwas auszumachen? Ich kann das nicht vorhersagen.“
Charles Babington/AP
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