Erfolge lassen auf sich warten
Seit fast einem Jahr führen die USA im Jemen in aller Stille einen Kampf gegen Al-Kaida. Doch die militanten Islamisten scheinen davon unbeeindruckt, und die schwache Regierung in Sanaa sträubt sich dagegen, energischer durchzugreifen.
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Das politische Überleben des langjährigen Staatschefs Ali Abdullah Saleh hängt an der Loyalität der Stämme und an Bündnissen mit Extremisten. Regierungsvertreter fürchten zudem, dass ein zu hartes Vorgehen gegen Al-Kaida in der erzkonservativen und den USA nicht gerade wohlgesonnenen Bevölkerung schlecht ankommen würde.
So ist es häufig gängige Praxis, mit den Stämmen zu verhandeln und sie zu überreden, gesuchte Extremisten auszuliefern. „Die Amerikaner machen kräftig Druck, und die Regierung wehrt sich kräftig“, sagt der Saleh nahestehende Abgeordnete Yasser al-Awadi.
Unterschlupf in Bergregionen
Seit Jahren baut Al-Kaida seine Präsenz im Jemen aus. Unterschlupf finden die Extremisten bei den Stämmen in entlegenen Bergregionen, wo Sanaa nicht viel zu sagen hat. Wie weit sein Arm reicht, zeigte sich zuvor bei dem dem Terrornetzwerk zugeschriebenen Anschlagsversuch auf ein US-Verkehrsflugzeug am Weihnachtstag voriges Jahr. Die USA betrachten den Zweig des Netzwerks als globale Bedrohung und haben ihre Zusammenarbeit mit dem Jemen deutlich verstärkt.
150 Mio. US-Militärhilfe
Etwa 50 US-Militärexperten sind zur Ausbildung der jemenitischen Terrorabwehr im Land, doppelt so viel wie vor einem Jahr. Washington leistet dieses Jahr rund 150 Millionen Dollar (106 Millionen Euro) Militärhilfe für Hubschrauber, Flugzeuge und anderes Gerät, dazu eine ähnliche Summe für humanitäre und Entwicklungshilfe. Nach Angaben der jemenitischen Regierung sind ihre Streitkräfte im ganzen Land auf der Jagd nach Extremisten. Von Fortschritten ist allerdings wenig zu sehen.
Anschläge in der Hauptstadt
In den vergangenen Wochen wagten sich Al-Kaida-Kämpfer mit Anschlägen sogar in die Hauptstadt vor. Die einwöchige Belagerung einer Gruppe Extremisten in der Provinzhauptstadt Houta im September feierte die Regierung als Erfolg, doch die meisten Kämpfer entkamen in die unwegsamen Berge.
Kurz darauf entging der Gouverneur derselben Provinz nur knapp einem Anschlag auf seine Fahrzeugkolonne. In der nahen Provinz Abian wurden nach einer Serie von Anschlägen auf Polizisten und Offiziere Motorräder im Stadtverkehr verboten.
„Schaut unter eure Betten beim Schlafengehen ...“
Die Führung von Al-Kaida im Jemen ist immer noch intakt. Anfang des Monats verbreitete sie in einem Video im Internet Morddrohungen gegen hohe Sicherheitsbeamte in Saudi-Arabien, dessen Regierung in ihren Augen nicht islamisch genug, zu korrupt und zu amerikafreundlich ist: „Schaut unter eure Betten beim Schlafengehen, ihr könntet eine Bombe von uns finden“, warnte sie.
Und die Spur zu dem radikalen Geistlichen Anwar al-Awlaki, den die USA zum Führungszirkel rechnen, ist möglicherweise kalt geworden. Der Gouverneur der Provinz Schabwa, wo sich der gebürtige US-Bürger in den Bergen versteckt halten soll, sagte der Nachrichtenagentur AP, er sei seit zwei Monaten nicht mehr gesehen worden.
Sanaa gegen US-Drohnenangriffe
Washington war bisher bemüht, keinen Eindruck von Spannungen aufkommen zu lassen. Nach einem Treffen mit Saleh, erklärte der Diplomat William Burns kürzlich, die Fähigkeiten des jemenitischen Sicherheitssystems verbesserten sich stetig. Doch einen Streitpunkt sprach Außenminister Abu Bakr al-Kirbi neulich offen an: Sanaa habe Angriffe amerikanischer Kampfflugzeuge oder Drohnen auf Al-Kaida-Ziele unterbunden.
Vergangenen Dezember waren bei drei Luftangriffen mindestens sechs Al-Kaida-Männer und mehr als 40 Zivilpersonen getötet worden. In einem Interview der arabischen Tageszeitung „Al Hayat“ Ende September bestätigte Al-Kirbi nun, dass es US-Flugzeuge gewesen waren. „Amerikanische Luftangriffe haben seit Dezember aufgehört, weil die jemenitische Regierung darauf beharrt hat, dass diese Angriffe keine Ergebnisse bringen“, sagte er.
Informanten angeheuert
Ein US-Regierungsvertreter beteuerte, dass alle Aktionen auf Terroristen abzielten. „Wir geben uns große Mühe, zivile Opfer zu vermeiden, wenn wir gemeinsam mit unseren jemenitischen Partnern koordinierte Aktionen gegen Al-Kaida unternehmen“, sagte er. Zu sehen ist vom Antiterrorkampf der Amerikaner nicht viel. Tief im Landesinneren, berichten Dorfbewohner, seien rund um die Uhr Drohnen zu hören - vermutlich US-Fluggeräte auf Terroristenjagd.
Jemenitischen Sicherheitskreisen zufolge wurden in den letzten Monaten Dutzende Informanten angeheuert, um die Amerikaner über das Tun und Treiben der Extremisten auf dem Laufenden zu halten. Zudem berichtete man den US-Kollegen täglich über den Fortgang der Suche nach Al-Awlaki.
Im Schutz der Stämme
Die schätzungsweise 300 Al-Kaida-Kämpfer haben sich in den Provinzen Schabwa, Abjan, Juf und Marib festgesetzt, wilden Bergregionen, in denen die Regierung kaum präsent ist. Der größte Teil von Schabwa zum Beispiel ist Sicherheitskräften zufolge in der Hand bewaffneter Stammeskrieger, die Al-Kaida-Leuten Schutz gewähren.
Jemenitische Abgeordnete und Stammesfürsten vertreten häufig den Standpunkt, die Gefahr sei ein Mythos, den Washington propagiere, um das Land in den Griff zu bekommen - oder den die Regierung in Sanaa nutze, um ihre innenpolitischen Gegner auszuschalten.
„Ich bin sicher, es ist übertrieben“
Von Al-Awlaki, den die USA tot oder lebendig kriegen wollen, haben im Heimatland seiner Familie nur wenige schon einmal gehört. Und diese wenigen sagen, sie verstünden die ganze Aufregung nicht. Sollte er gefasst werden, würde er aus verfassungsrechtlichen Gründen ohnehin nicht an die USA ausgeliefert, wie Außenminister al-Kirbi erklärt hat.
„Ich glaube, seine Rolle und Bedeutung werden grob übertrieben“, sagte der Gouverneur von Schabwa, Ali Hassan al-Ahmadi, der AP. „Ich glaube nicht, dass das, was die Amerikaner von ihm behaupten, völlig unbegründet ist. Aber ich bin sicher, es ist übertrieben.“
Hamza Hendawi, AP
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