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Ein unendliches Spiegellabyrinth

Der Name Natascha Kampusch wird in Kathrin Rögglas „Die Beteiligten“ nicht erwähnt, hatte es schon im Vorfeld der Inszenierung geheißen. Trotzdem sei klar, um wen es sich bei dem Opfer im Stück handle, das von Medien, Gesellschaft und der zweiten Reihe ihres Umfeldes parasitär ausgenutzt wird.

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Zur Assoziation mit Kampusch braucht es in der Inszenierung von Stephan Bachmann am Wiener Akademietheater letztlich keinen Namen und nicht sehr viel Fantasie: Die Geschichte von Rotkäppchen, das vom bösen Wolf für 3.096 Tage in dessen Bauch gefangen gehalten wurde, steht als Prolog vor dem Reigen der „Beteiligten“.

Die Causa Kampusch gleicht einem Spiegellabyrinth. Die Geschichte wird von den Medien reflektiert, indem ein Kommentar auf den anderen Bezug nimmt. Diese Kette setzt sich bis ins Unendliche fort: nun auch mit einem Theaterstück, den darauffolgenden Kritiken und Reaktionen auf die Inszenierung sowie Leserbriefe.

Das Opfer als Projektionsfläche

Die österreichische Schriftstellerin Röggla ist sich dessen bewusst und zeigt in ihrem Stück, wie das Opfer zuerst von selbst berufenen Experten, Freunden und Medienprofis aggressiv umworben, später medial abgewertet wird. In „Die Beteiligten“ wird Kampusch zur Projektionsfläche für Worte, Meinungen und Verhaltensmuster. Und weil sie den Anforderungen nicht entsprechen will, wird sie schnell zum „Opfer, mit dem etwas nicht stimmt“.

Die Phrasen klingen vertraut, Röggla präsentiert in ihrem Text ein unglaublich dichtes Konglomerat aus Zitaten und Stimmungsbildern, die inhaltlich eins zu eins aus einer beliebigen Leserbriefseite oder einem Onlineforum stammen könnten: „Was heißt hier Hexenjagd? Man wird doch noch seine Zweifel äußern dürfen.“

Quasifreund und Pseudopsychologin

Der „Quasifreund“, der „Möchtegern-Journalist“, die „Pseudopsychologin“, „die Irgendwie-Nachbarin", die „optimale 17-Jährige“ und ein „gefallenes Nachwuchstalent“: Röggla lässt die ganze Entourage an Opferparasiten als Kampusch-Doubles auftreten und spart in den Texten nicht mit Zynismus. Die Täter-Opfer-Konstellation bricht die Autorin strukturell und grammatikalisch von vornherein: Alle Personen bedienen sich nur der indirekten Rede, sprechen im Konjunktiv, der nicht aussagt, was real der Fall ist. Außerdem formulieren alle so, als würde das Opfer ihre Worte wiedergeben.

Bachmann inszeniert die Geschichte ohne Samthandschuhe, manchmal haarscharf an der Grenze zur Geschmacklosigkeit. Er verwebt den Text mit aktuellen Bezügen und stellt mit Videoeinspielungen aus „The Sound of Music“ die Frage nach dem spezifisch österreichischen Anteil am voyeuristischen Opferumgang. Handwerklich greift Bachmann tief in die Trickkiste der Regieeinfälle, von denen sich doch nicht alle so ganz von selbst erschließen, etwa wenn ein gen Himmel schwebender SS-General Marius Müller Westernhagens „Freiheit, Freiheit“ singt.

Hinweis

Stephan Bachmanns Inszenierung „Die Beteiligten“ von Kathrin Röggla ist bis 25. November im Wiener Akademietheater zu sehen.

Trotzdem gelingt es Bachmann, potenzielle Fettnäpfchen zu umschiffen und in der Gesamtheit einen modernen Abend voller Esprit zu präsentieren. Jörg Ratjen, Peter Knaack, Alexandra Henkel, Barbara Petritsch, Katharina Schmalenberg und Simon Kirsch bilden ein ausnahmslos großartiges Ensemble und ernteten ebenso wie der Regisseur und die (abwesende) Autorin tosenden Applaus am Premierenabend.

Sophia Felbermair, ORF.at

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