Kampusch-Stück „erzählt etwas über uns“
Für ihr Stück „worst case“ wird die in Berlin lebende Salzburgerin Kathrin Röggla am 8. November bei der Nestroy-Gala den Autorenpreis entgegennehmen. Nun hatte ihr medienkritisches Stück „Die Beteiligten“, im April 2009 in Düsseldorf uraufgeführt, im Wiener Akademietheater Premiere. Der APA beantwortete Röggla dazu einige Fragen per E-Mail.
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„Die Beteiligten“ beschäftigen sich anhand von sechs Figuren mit dem Wechselspiel von Medien und Beobachtern, bei dem das öffentliche Interesse immer weiter angestachelt und schließlich zum Voyeurismus wird. „Ich habe mich mit Patricia Hearst und dem Stockholm-Syndrom auseinandergesetzt gehabt und fand hier eine merkwürdige Situation vor“, vergleicht Röggla den Fall des 1998 entführten Schulmädchens mit dem 1973 erstmals beobachteten Phänomen des Sympathisierens von Opfern mit ihren Geiselnehmern.
„Es schien mir mehr die Öffentlichkeit zu sein, die unter dem Stockholm-Syndrom litt, als wäre sie entführt von den Boulevardmedien und müsse mit ihnen immer mit.“ Kampusch sorgte nicht nur durch ihre Flucht nach achtjähriger Gefangenschaft für Aufsehen, sondern auch durch ihren Umgang mit dem weltweiten Interesse an ihr.
Exemplarischer Umgang mit den Medien
„Ich fand ihre Geschichte insofern ungewöhnlich, als sie mutig versucht hat, aktiv zu bleiben, mit den Medien umzugehen. Dadurch hat sie enorm viel Angriffsfläche geboten. Das heißt, anscheinend halten wir es nicht aus, wenn ein Opfer eines Verbrechens das macht“, so Röggla. „Ihre Geschichte mit der Öffentlichkeit konnte anscheinend exemplarisch etwas über uns erzählen. Und insofern handelt mein Stück nicht von ‚Natascha Kampusch‘, sondern erzählt etwas über uns.“
Etwa darüber, dass das Sensationsbedürfnis der Menschen, das die Medien zu befriedigen vorgeben, sehr wohl vorhanden ist? „Hmm, ich gebe zu, ich lese gerne selber diese Seiten. Ja, Unterhaltung ist es sicher. Auch dass es sich ja meist bei diesen ‚Panoramen‘ um eine krude Mischung von beinahe anekdotenhaften Nachrichten handelt.“
Recherche in Leserforen
Der Name Kampusch fällt in Rögglas Stück kein einziges Mal. Und doch ist klar, auf welchen Fall sich die von Röggla erfundenen sechs Figuren beziehen. „Der Quasifreund“, „der Möchtegern-Journalist“, „die Pseudopsychologin“, „die Irgendwie-Nachbarin“, „die ‚optimale‘ 14-Jährige“ und „das gefallene Nachwuchstalent“ sind für Röggla Vertreter der „zweiten Reihe“, deren Rollen sich „sehr schnell durch die Berichterstattung und die Positionierung in den Leserforen ergeben“ hatten.
Diese sensationsgierigen Beobachter, schaulustigen Zaungäste und sich mit durchaus widerstrebenden Gefühlen Einmischenden hätten sie wesentlich mehr als die helfenden Profis interessiert, „weil diese mit mir und den Zuschauern im Theater mehr zu tun haben. Wir sind sozusagen meist die zweite Reihe. Und für das Theater ist meist nur produktiv, was bei den Zuschauern ankommt.“
In Berlin, wo die Salzburgerin seit 18 Jahren lebt und das ihr zu einer zweiten Heimat geworden ist, verfolgt sie öffentliche Auftritte von Kampusch wie zuletzt die Präsentation ihres Buches „3069 Tage“ (List Verlag) und deren mediale Kommentierung auch weiterhin, „wenn auch nicht in der Breite wie zu Beginn. Leider erlebe ich darin viel Bestätigung für mein Stück.“
Verwechslung mit Britney Spears
Allerdings hätten sich „die österreichischen Medien mehr und längerfristig darauf gestürzt, klar, und so blieb ihre Geschichte in Österreich stärker in Erinnerung. Ein Schauspieler in Düsseldorf las den Text und dachte zuerst an Britney Spears, das fand ich dann schon lustig bzw. sprechend. Vor allem die österreichischen Leserforen fanden in ihren Diskussionen kein Ende“, sagte Röggla. „Ich glaube schon, dass es da eine spezifische österreichische Besessenheit und auch eine spezifisch österreichische Unfähigkeit gibt, mit so einer Geschichte umzugehen.“
Das Stück wurde für die österreichische Erstaufführung durch Stefan Bachmann nicht aktualisiert, „nur ein wenig für die Inszenierung adaptiert“, sagte Röggla. „Da es ja nicht so sehr um das öffentliche Handeln von Natascha Kampusch geht, sondern vielmehr um das öffentliche Urteilen und Verurteilen und Bewerten ihrer Geschichte, und nicht nur ihrer, sondern exemplarisch für so viele Opfergeschichten, braucht man den Bogen nicht immer weiter und weiter zu spannen.“
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