Gleiche Chancen für Türken gefordert
Beim Deutschland-Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auch die Integration türkischer Migranten angesprochen. „Das Thema Assimilation ist für uns kein Thema, es geht um Integration“, betonte Merkel. Dazu gehöre vor allem das Erlernen der deutschen Sprache.
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Es gebe noch unverkennbare Probleme, die gelöst werden sollten, sagte Merkel. Bei der Integration sei es wichtig, Werte und Lebensweisen der Gesellschaft, in der man lebe, zu respektieren und sich anzupassen. „Da bin ich selbstverständlich dafür, dass die Menschen türkischer Abstammung hier in Deutschland sich integrieren für ihr eigenes Glück.“
50 Jahre Gastarbeiteranwerbung
Beide Seiten wollen zum 50-jährigen Jubiläum der Gastarbeiteranwerbung im Oktober 2011 Bilanz ziehen. Erdogan sagte, man wolle herausfinden, „wo wir angekommen sind und was wir noch tun könnten“.
Nach Merkels Worten geht es um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben - etwa dem Erlernen der deutschen Sprache und dem Akzeptieren der Verfassung. Vor allem gehe es aber darum, dass Menschen türkischer Herkunft die gleichen Chancen hätten. Oft hätten diese Bürger eine geringere Ausbildung und beendeten seltener die Schule mit einem Abschluss. „Das möchten wir ändern“, sagte die deutsche Kanzlerin. Der Schlüssel dazu sei Integration.
Erdogan lobt Wulffs Worte
Erdogan sagte, die Integration der rund zwei Millionen in Deutschland lebenden Türken in die Gesellschaft sei „sehr wichtig“. Dabei gebe es noch Defizite, räumte er ein. Deshalb müssten beide Länder nun überlegen, was noch weiter für die Integration getan werden könne. Erdogan begrüßte die Äußerungen von Bundespräsident Christian Wulff, dass auch der Islam zu Deutschland gehöre.
Empörung bei Besuch 2008
Bei seinem letzten Besuch in Deutschland vor zwei Jahren sorgte Erdogan für Empörung, indem er vor einer Assimilierung der Türken in Deutschland warnte und diese als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnete.
Wulff habe „eine Realität zur Sprache gebracht“, sagte Erdogan. „Ich erkenne das hoch an.“ Ein Staat müsse Andersgläubigen gegenüber Verantwortung wahrnehmen, sagte Erdogan und mahnte Toleranz ein. „Da darf es nicht dazu kommen, dass politische Parteien solche Meinungen bekriegen. Das kann man nur machen, wenn man laienhaft vorgeht“, sagte der türkische Ministerpräsident. Eine laizistische Gesellschaft müsse allen Religionszugehörigkeiten „neutral“ gegenüberstehen.
Merkel: „Grundgesetz, nicht die Scharia“
„Es gilt bei uns das Grundgesetz, und nicht die Scharia“, hatte Merkel nach Wulffs Rede gesagt. Wie einige andere Unions-Politiker hob die Kanzlerin die christlich-jüdische Prägung der deutschen Kultur hervor. Wulff habe deutlich gemacht, „dass die vom Islam vertretenen Werte mit unserem Grundgesetz übereinstimmen müssen“, sagte Merkel.
Keine Gleichstellung mit Christentum
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte, die „Präsenz einer anderen Kultur in unserem Land“ verunsichere viele Menschen. Deshalb sollte die veränderte Realität aber nicht von der Politik tabuisiert werden. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) distanzierte sich von den Aussagen Wulffs: Die Muslime seien zwar in Deutschland willkommen. Der Islam könne aber die „Werteordnung nicht bestimmen“.
Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) sah auf absehbare Zeit keine Gleichstellung von Christentum und Islam in Deutschland. Der umstrittene Satz von Wulff bedeute zwar, dass der Islam dazugehöre - aber eben auch, dass diese Religion nur ein Teil sei.
CSU: Keine Zuwanderung mehr aus der Türkei
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer forderte unterdessen, in Zukunft keine Zuwanderung mehr aus der Türkei oder aus arabischen Ländern zuzulassen. Im Magazin „Focus“ sagte Seehofer, die Integrationsfähigkeit von Zuwanderern hänge auch von ihrer Herkunft ab. „Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen.“
Seehofer verwies darauf, dass ab Mai nächsten Jahres ohnehin die EU-Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Osteuropa gelte. „Ich habe kein Verständnis für die Forderung nach weiter gehender Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen.“ Nun müsse sich die Politik mit den Menschen beschäftigen, die bereits in Deutschland leben. 80 bis 90 Prozent seien gut integriert. „Die Integrationsverweigerer müssen wir aber härter anpacken.“ Diese müssten sich stärker anstrengen.
Zu Wulffs Rede sagte Seehofer: „Ich habe ihn nicht so verstanden, dass er die christliche Religion und den Islam für die Wertorientierung in unserem Land gleichsetzt.“ Die deutsche Leitkultur ergebe sich eindeutig aus dem Grundgesetz und vor allem aus den Werten, die Grundlage der Verfassung seien. Zu der christlich geprägten Wertetradition Deutschlands gehöre auch die Toleranz gegenüber anderen Religionen. „Aber andere Religionen können nicht prägend für unsere gewachsene Werteorientierung sein.“ Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber kritisierte Wulffs Äußerung als „Verkürzung“.
SPD verweist auf Verfassung
„Der Islam gehört zu Deutschland, wenn er im Rahmen unserer Verfassung gelebt und praktiziert wird und nur dann“, sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erklärte, beim Thema Integration sei die Union „anders als ihr Bundespräsident nach wie vor nicht in der Realität angekommen“.
Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), sagte, er halte Wulffs Äußerung für „falsch, den Islam in diesen Kontext der historischen Werteschöpfung zu stellen“. Wichtig sei, dass der Bundespräsident Grundwerte wie Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung unterstrichen habe. Wulff hätte aber auch darauf hinweisen sollen, dass muslimische Eltern ihre Kinder im Sinne dieser Werte erziehen müssten.
Grüne: „Fatale Rangordnung zwischen Menschen“
Grünen-Chef Cem Özdemir warf der CSU vor, eine „fatale Rangordnung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten“ herzustellen. Der „wesentliche Bezugspunkt“ müssten aber die freiheitlich demokratischen Werte der Verfassung und nicht die Frage der Religionszugehörigkeit sein.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland rügte die Proteste aus der CDU gegen die Rede von Wulff. Diese Form der „Selbstvergewisserung der Union“ offenbare eine „Sinnkrise unter manchen Konservativen“, sagte der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek.
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