Was von der Erregung geblieben ist
Was bleibt 22 Jahre nach dem größten Theaterskandal der zweiten Republik vom damaligen Aufregerstück „Heldenplatz“? Diese Frage versuchte das Wiener Theater in der Josefstadt am Donnerstagabend zu beantworten. Während andere Stücke Thomas Bernhards längst in den Spielplänen auf der Tagesordnung stehen, wurde um sein letztes Drama in Wien seit der „Burg“-Inszenierung ein großer Bogen gemacht.
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Die Schwierigkeit liegt auf der Hand: Ein Vergleich mit der ebenso umjubelten wie gehassten Uraufführung, die in der Inszenierung des Burgtheaters aller Aufregung zum Trotz letztendlich zum Klassiker und Erfolgsstück für Bernhard und Claus Peymann avancierte, lässt sich in Österreich nicht vermeiden. Kein Theaterstück hat in Österreich jemals so die Gemüter erhitzt und die Menschen provoziert. Ohne auch nur eine Szene gesehen zu haben, forderten Medien und Politiker - nicht nur die des rechten Randes - eine Absage der Premiere.
Jetzt sieht Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger das Stück auf dem Spielplan seines traditionell bürgerlichen Theaters als Statement gegen den schockierenden Rassismus im Wiener Wahlkampf. Im ZIB-Interview sprach Föttinger vom „Theater als moralischer Stachel“ und sieht das als Auftrag, dem österreichischen Publikum wieder einmal den Spiegel vorzuhalten.

APA/Roland Schlager
Das neue „Heldenplatz“-Ensemble
Niemand bleibt ungeschoren
In der sehr präzisen und überlegten Inszenierung von Philip Tiedemann provoziert das Stück in der Josefstadt nicht den Hauch einer Erregung. Das mag an der Abgeklärtheit des Publikums heute ebenso liegen wie daran, dass man sich nicht angesprochen fühlt, wenn die Bernhard’sche Suada von der Bühne schwappt. Und das, obwohl sich Tiedemann an den Originaltext hält - die Fassung ist nur leicht gekürzt - in der fast niemand ungeschoren bleibt.
Neben den Wienern, Grazern und Oberösterreichern (im Speziellen die Linzer) auch die Politiker und Katholiken, die Universitätsprofessoren ebenso wie das gemeine Volk: In den Augen des nicht auftretenden Protagonisten Josef Schuster sind das alles Nazis, Massenmörder, ein stumpfsinniges und einfältiges Volk, das er kaum erträgt und vor dem er ein zweites Mal fliehen will.
Professor Schusters Heimkehr
Schauplatz der Handlung ist eine Wohnung mit Blick auf den Heldenplatz - jenem Ort bei der Hofburg, an dem Hitler im März 1938 Österreich unter Jubelrufen „Heim ins Reich“ holte. Der jüdische, intellektuelle Professor Schuster hat sich - genau 50 Jahre später - aus dem Fenster in den Tod gestürzt. Die Hinterbliebenen versammeln sich nun zum Begräbnis und lassen sein Leben Revue passieren: Von den Nazis verjagt, ist er nach Oxford emigriert und später nach Wien zurückgekehrt.
Doch das gegenwärtige Österreich erschien ihm unerträglich. Seine Frau (Gertraud Jesserer) glaubt noch immer, das Geschrei der Massen vom Heldenplatz zu hören, und auch sein Bruder (Michael Degen) und seine Kinder (Sona MacDonald, Elfriede Schüsseleder, Siegfried Walther) klagen den sich ungeniert ausbreitenden Antisemitismus an.
Kammerspielartige Gefälligkeit
An manchen Stellen lässt die Inszenierung Bernhards boshaften Witz allzu sehr in den Klamauk abdriften, und der schwarze Humor versinkt im gefälligen Kammerspiel. Im sehr klaren schwarz-weiß gehaltenen Bühnenbild von Etienne Plus wirkt die Handlung wie die Erinnerung an einen Traum - und schafft dadurch wiederum eine Distanz des Publikums zum Text, die nach 22 Jahren nur selbstverständlich ist. Gedanken und Wirklichkeit verschwimmen teilweise buchstäblich im Nebel, aus dem doch immer wieder der spitze Stachel zusticht.
Slapstickartige Einlagen beim Dienstbotentratsch und der Zehrung scheinen den Figuren dann eher zu schaden und nehmen dem Stück noch ein wenig Schärfe. Das Premierenpublikum reagierte freundlich, aber nicht überschwänglich. Türenknallen, Buhrufe und andere Missfallensbekundigungen blieben erwartungsgemäß aber ebenso aus wie Jubelrufe.
Sophia Felbermair, ORF.at
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