Endlager gesucht
Deutschland will seine Atomkraftwerke länger als geplant in Betrieb lassen. Um bis zu zwanzig Jahre wäre das noch sinnvoll, zeigt ein aktuelles Expertengutachten. Kritiker laufen gegen die geplante Laufzeitverlängerung der AKW-Meiler Sturm. Sie fürchten vor allem, dass der Nuklearmüll dadurch massiv ansteigen wird - was damit geschehen soll, ist noch nicht geklärt.
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Strom aus Atomkraftwerken ist besonders günstig: Nach Angaben der deutschen Agentur für Erneuerbare Energien kann eine Kilowattstunde (kWh) Strom in einem alten, als Investition bereits abgeschriebenen Kraftwerk für etwa einen Cent produziert werden. Bei Strom aus Erdöl hingegen schlagen die sogenannten Stromenstehungskosten mit etwa 15 Cent pro kWh zu Buche. Bei Windenergieanlagen liegt dieser Betrag etwa halb so hoch.
Die Energiegewinnungsform bringt jedoch eine bisher nicht ungelöste Herausforderung mit sich: wohin mit den nuklearen Abfällen? Rund 12.500 Tonnen Atommüll haben sich in Deutschland bisher angesammelt. Ein tatsächliches Endlager für die hochaktiven Stoffe gibt es bisher nicht.
Gorleben wieder Anwärter auf Endlager
Der wahrscheinlichste Kandidat für ein solches scheint im Moment der niedersächsische Ort Gorleben zu sein. Nach knapp zehn Jahren politisch verordneter Zwangspause wird dort die Wiederaufnahme der Erkundungsarbeiten für ein mögliches Atomendlager vorbereitet. Die Energiekonzerne wollen den dortigen Salzstock von Oktober an weiter auf seine Eignung als Endlager für hoch radioaktiven Abfall untersuchen. Kritiker halten den Salzstock in Gorleben aufgrund seiner geologischen Beschaffenheit für nicht geeignet zur Lagerung von gefährlichem Atommüll.

Reuters/Morris MacMatzen
„Castor“-Lager- und Transportcontainer für radioaktives Material im Lager Gorleben
Zudem soll das von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) als „gescheitert“ und „marod“ bezeichnete Lager Asse in Niedersachsen mithilfe einer geplanten Brennelementesteuer saniert werden.
Nord-Süd-Konflikt
Diese Pläne dürften dazu beitragen, dass sich in der Atommülldebatte immer klarer ein Nord-Süd-Konflikt abzeichnet. So argumentieren Bayern und Baden-Württemberg vehement für lange Laufzeiten, weil in beiden Ländern die meisten Kraftwerke stehen und die Industrie den Atomstrom weiter nutzen will. Das erklärt die vehemente Opposition des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) gegen seinen Parteifreund Röttgen.
Der wiederum kommt aus Nordrhein-Westfalen - wo Atomstrom nur aus anderen Ländern bezogen wird. Und das erklärt, dass Röttgen wie die meisten anderen NRW-Unionspolitiker nur eine moderate Laufzeitverlängerung anstrebt und wenig Interesse daran hat, große gesellschaftliche Proteststürme zu entfachen.
Streitfrage: Standort für Endlager
Röttgens stärkster Verbündeter kommt derzeit nicht ohne Grund aus Niedersachsen: Ministerpräsident David McAllister (CDU) hat ebenfalls einen ganz anderen Blick auf die künftige Energieversorgung als seine Unionskollegen im Süden. Zwar gibt es auch in Niedersachsen Atomkraftwerke. Aber während im Süden die meisten Kraftwerke stehen, dürfen sich Länder wie Niedersachsen mit den ungeliebten nuklearen Abfällen herumschlagen.
Auch McAllister kritisiert deshalb, dass er sich in seinem Bundesland mit einem möglichen Endlager für stark radioaktiven Müll in Gorleben sowie den Problemen mit Schacht Konrad und Asse für mittel- und schwachaktiven Atommüll herumschlagen soll, während im Süden nicht einmal nach Endlagern gesucht werden darf.
Atommüll außer Landes schaffen?
Einen provokanten und umstrittenen Lösungsvorschlag für dieses Problem hat Georg Erdmann, der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für Energiewissenschaft und Energiepolitik: In einem Interview mit dem Deutschlandfunk plädiert er dafür, den deutschen Atommüll in weniger dicht besiedelte Nicht-EU-Länder zu bringen, um sie dort zu lagern.
Um eine Einigung in der Debatte zu beschleunigen, hat Merkel am Donnerstag für Sonntagnachmittag einen Koalitionsgipfel zur AKW-Laufzeitverlängerung einberufen. Denn die Schlussfolgerungen, die aus dem Gutachten gezogen werden, sind völlig unterschiedlich. Der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) plädiert für eine Laufzeitverlängerung von bis zu 20 Jahren. Röttgen hingegen ließ seine Präferenz für eine deutlich kürzere Nutzung der Atomkraftwerke erkennen.
Wie groß ist der Nutzen?
Der Wirtschaftsminister argumentierte, dass es durch eine längere Nutzung der Atomenergie bis 2030 beim Strompreis zu Einsparungen von acht Milliarden Euro kommen könnte. Auch der Ausstoß von Treibhausgasen könnte so wirksam verringert werden. Atomkraftskeptiker Röttgen hingegen betonte, längere Laufzeiten hätten keine entscheidende Bedeutung. Die Auswirkungen auf den Klimaschutz und den Strompreis seien äußerst gering.
Die deutsche Kanzlerin ließ unterdessen erneut Sympathien für eine Laufzeitverlängerung von zehn bis 15 Jahren erkennen. Das bringe „wichtige Vorteile“, sagte Angela Merkel (CDU).
Länder drohen mit Verfassungsklage
Diese solle wenn nötig auch gegen den Willen des Bundestags beschlossen werden. Der energiepolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer, will den Bundesrat bei der Laufzeitverlängerung außen vor lassen. Die christlich-liberale Koalition arbeite an einer Lösung, die der Zustimmung des Bundesrates nicht bedürfe. Die Koalition muss dann allerdings mit einer Verfassungsklage mehrerer Bundesländer rechnen.
Bundespräsident für max. neun Jahre Verlängerung?
Widerstand gegenüber dieser Variante könnte auch von anderer Seite kommen: Laut „Handelsblatt“ hat das Bundespräsidialamt Bedenken gegen eine Verlängerung der Atomlaufzeiten von mehr als neun Jahren, wenn der Bundesrat nicht beteiligt wird. Laut „Handelsblatt“ heißt es in einer entsprechenden Expertise des Präsidialamts, ohne Zustimmung des Bundesrats seien nur neun Jahre Verlängerung möglich. Jedes weitere Jahr würde die Gefahr steigern, dass das Verfassungsgericht ein entsprechendes Gesetz kippen würde.
Einer Umfrage zufolge ist auch die Mehrheit der Deutschen gegen eine Laufzeitverlängerung von zehn bis 15 Jahren, wie die ARD am Donnerstag unter Berufung auf die von ihr in Auftrag gegebene Umfrage mitteilte.
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