Große Emotionen trotz Gigantomanie
Das „360 Grad“-Raumschiff namens U2 ist Montagabend im Wiener Ernst-Happel-Stadion gelandet. Trotz der gigantischen Ausmaße der Bühne wussten die vier Iren restlos zu begeistern und zeigten dabei selbst Gefühle.
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Vielen großen Bands scheint eine Sache gemeinsam zu sein, nämlich der Unwille ihres Publikums, sich auf deren Support-Bands einzulassen. Bei Depeche Mode werden solche für sie unerwünschte Nebenerscheinungen mitunter gnadenlos von der Bühne gepfiffen, und die Anhängerschaft von AC/DC schreckte einst gar vor dem Werfen von Bierbechern auf die eröffnenden Metallica nicht zurück. U2-Fans scheinen da offensichtlich von der etwas freundlicheren Sorte zu sein, denn die im Wiener Ernst-Happel-Stadion eröffnenden „One Republic“ wurden mit mehr als nur wohlmeinendem Applaus bedacht, und das absolut zu Recht.
Ground Control to U2
Ausgerechnet diese „One Republic“ weckten mit deren Coverversion von „Stand By Me“ Erinnerungen an ein Konzert von 1987 in Köln, als dort ebendieser Song vom Band lief, U2 schon fast heimlich die Bühne betraten und mit einem Hinübergleiten in ihre Coverversion das Set eröffneten. Das auch noch so unauffällig, dass viele der 70.000 anwesenden Fans vorerst gar nicht merkten, dass die vier sehnsüchtigst erwarteten Iren schon spielten.

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The Edge über den Fans
Mit U2 in Köln vor 23 Jahren hatten jene in Wien im Jahr 2010 allerdings sehr wenig gemein. Von einem unauffälligen Betreten der Bühne konnte keine Rede mehr sein, und im voll ausgeleuchteten Ernst-Happel-Stadion betraten kurz nach 21.00 Uhr Bono, The Edge, Larry Mullen Jr. und Adam Clayton zu den Klängen von David Bowies „Space Oddity“ jene Art Raumschiff, das für die nächsten zwei Stunden zu ihrer „360 Grad“-Bühne wurde.
„Wir wollen euch nahe sein“
Dieses Bühnenkonzept ist weder neu noch ist es von U2, denn schon 1996 hatten Metallica zur Tour ihres Albums „Load“ genau den gleichen Einfall. Auch sie stellten die Bühne in die Saalmitte und ließen das Hallenlicht während des ersten Songs eingeschaltet. Damals wie heute war die Botschaft: „Wir sind welche von euch. Wir wollen euch nahe sein.“ Es sei dahingestellt, wie ernst das nun tatsächlich gemeint ist, effektvoll ist es in jedem Fall.
Es bestand natürlich kein Zweifel daran, dass U2 in den geplanten zwei Stunden ein „Best of“ ihres Schaffens darbieten würden. Trotz anfänglich nicht unbedingt einwandfreien Sounds wurden Klassiker wie „New Year’s Day“, „Until The End Of The World“ und „Mysterious Ways“ frenetisch gefeiert und neue Songs wie „Get On Your Boots“ wohlmeinend aufgenommen.

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Bono wirft sich in Pose.
Von Gefühlen überwältigter Bono
Einer der ersten emotionalen Höhepunkte war wohl „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ vom Erfolgsalbum „The Joshua Tree“, bei dem das Publikum den Gesangspart auf einmal fast komplett übernahm. Die Band mag das bisher noch so oft erlebt und das Publikum den Song bis zur völligen Abnutzung gehört haben, in diesem Moment vermeinte man nicht Bono, den routinierten Frontman in einer seiner vielen Rollen zu sehen, sondern einen überwältigten Paul Hewson. Theatralik ist das eine, Schauspielerei ist etwas anderes und Momente wie diese sind es, die einen die Tatsache egal sein lassen, mit 70.000 anderen Menschen und sündteurem Bier in ein Stadion gepfercht zu sein.
Auf Pavarottis Pfaden
Bono revanchierte sich später mit einer Gesangseinlage bei „Miss Sarajevo“, die einem bei dessen Darbietung des Gesangsteils von Operntenor Pavarotti respektvoll erstaunen ließ und mit einer Art Bongo-House-Version von „I’ll Go Crazy If I Don’t Go Crazy Tonight“ wusste man abseits des Stadionrock-Pathos sogar zu überraschen. U2 wären allerdings nicht U2, würde nicht irgendwann doch noch Politik auf dem Programm stehen.
Zu „Sunday Bloody Sunday“ tauchte man die Bühne in das Grün der iranischen Oppositionspartei, „MLK“ sang Bono (wenn auch mit leichtem Patzer) für die in Burma unter Hausarrest stehende Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Später kam auch eine Einspielung von Desmond Tutu, die damit endete, dass wir alle „Eins“ sind.

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Fans jubeln und staunen.
Wen wundert’s, dass danach „One“ gespielt wurde, und während des Zugabenteils kleidete sich Bono während „Ultra Violet“ gar in eine Art Laserlichtjacke und sang in ein absurd anmutendes Neonmikrofon. Bevor mit „Moment Of Surrender“ aber alles vorbei war, fuhren U2 noch einmal ihre gröbsten Pathosgeschütze auf. Sollte sich bei „With Or Without You“ oder spätestens bei „Where The Streets Have No Name“ noch immer jemand gefragt haben, warum diese Band heute eigentlich so dermaßen groß ist und bei dieser unglaublichen Stimmung nur wegen der Kälte Gänsehaut bekam, hat irgendwas mit der Rockmusik nicht verstanden.
Trotz Distanz emotional
U2 mögen vielen ob ihres immensen Erfolgs und des daraus resultierenden Bombasts ein Dorn im Auge sein. Man mag ihnen möglicherweise ob ihres Reichtums so manche Botschaft nicht abnehmen wollen, und auch Bono kann in seinem messianischen Übereifer oft nerven. Nichtsdestrotz überraschte es an diesem Abend, wie emotional diese Band nach all den Jahren agierte, und wie ehrlich das trotz all der Distanz einer solch gigantischen Veranstaltung wirkte. Auch wenn U2 angeblich am gleichen Abend wieder in ihrem Privatflugzeug nach Nizza geflogen sein sollen, dass sie gerne in Wien waren, nimmt man ihnen nach einem solchen Konzert trotzdem gerne ab.
Christian Holzmann, ORF.at