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Licht und Schatten

Johann Wolfgang von Goethe gilt bis heute als der bedeutendste deutsche Dichter. Sein Werk zählt zu den Höhepunkten der Weltliteratur. Er selbst bezeichnete allerdings weder „Faust“ noch ein anderes seiner literarischen Werke als sein wichtigstes. Sein Hauptinteresse galt der Farbenlehre, mit deren Niederschrift er versuchte, zentrale Elemente in Isaac Newtons Theorie des Lichts zu widerlegen.

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Nahezu sein gesamtes Leben beschäftigte sich Goethe mit naturwissenschaftlichen Phänomenen. 1780 begann er, sich damit systematisch auseinanderzusetzen. Von seinen Forschungen im Bereich der Geologie, Meteorologie und Botanik bis zu seiner - vermeintlichen - Entdeckung des menschlichen Zwischenkieferknochens bewies er seine ganzheitliche Denkweise.

1791 veröffentlichte er als Vorstudie zu seiner folgenden Auseinandersetzung mit Licht und Farbe die erste Abhandlung: „Beiträge zur Optik“. Damit versuchte er, einen wissenschaftlichen Diskurs zu eröffnen, ein für die damalige Zeit ausgesprochen innovativer Ansatz: die Beschäftigung mit einer Thematik im interdisziplinären Forschungsverband. Goethe wollte Wissenschaftler aller Disziplinen versammeln, um das Naturphänomen „Licht“ im wahrsten Sinne des Wortes in seine Bestandteile zu zerlegen.

Im Widerspruch zu Newton

Das Projekt einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe schlug fehl, und Goethe setzte die Forschungen alleine fort, mit der Absicht, „alle Erfahrungen in diesem Fache zu sammeln, alle Versuche selbst anzustellen“. Nach mehreren Jahren der Auseinandersetzung mit der Thematik und Veröffentlichung seiner Vorstudien in Form mehrerer Aufsätze erschien schließlich mit dem Konvolut „Zur Farbenlehre“ sein Hauptwerk zum Phänomen Farbe.

In vier Teilen widmet er sich dabei einem didaktischen Zugang, der Geschichte der Farbenlehre, Illustrationen zum Thema Farbe und der „Enthüllung der Theorie Newtons“ - in der er versuchte, dessen Farblehre zu widerlegen. Newtons Buch „Opticks“ aus dem Jahr 1704 gilt als bahnbrechend auf dem Gebiet der Optik und Farbenlehre. Er argumentiert darin unter anderem dafür, dass das Sonnenlicht aus Strahlen unterschiedlicher Brechbarkeit und das Weiß des Sonnenlichtes aus den Spektralfarben zusammengesetzt ist.

„Unter Millionen der Einzige“

Goethe wandte sich in seiner „Farbenlehre“ gegen die im 18. und 19. Jahrhundert als Grundstein der Wissenschaft betrachtete Studien und plädierte für seine Theorie, die Farben würden sich nur aus der Mischung von Helligkeit und Dunkelheit ergeben. Er beanspruchte, „unter Millionen der Einzige“ gewesen zu sein, der den „entscheidenden Irrtum Newtons“ erkannt habe.

Die grundlegende Frage war also: Ist das Licht nach Newton ein zusammengesetztes Phänomen, und verschiedene Qualitäten führen zur Farbe, oder ist Licht eine „Einheit“, wie Goethe es vertrat, und Farbe ist ein Phänomen verschiedener Qualität. Als ganzheitlicher Wissenschaftler begründete Goethe die in seinen Augen falsche Theorie Newtons mit dessen Persönlichkeit, die er als „ohne Leidenschaft, ohne Begierden“ beschrieb. „Diesem unbiegsamen Charakter ist eigentlich die Lehre ihr ganzes Glück schuldig“, war sich Goethe sicher.

„Große Freude an der Farbe“

Weil er sich als Begründer einer höheren Form der Wissenschaft sah, stellte sich Goethe jeder Auseinandersetzung. Der Vorwurf, er argumentiere unwissenschaftlich, zielte ins Leere, weil Goethe nicht nur katoptrische und epoptische Farben sowie die chemische Wirkung bei der dioptrischen Achromasie untersuchte, sondern auch der „sinnlich-sittlichen Wirkung der Farbe“ ein eigenes Kapitel widmete. „Die Menschen empfinden im Allgemeinen eine große Freude an der Farbe. Das Auge bedarf ihrer, wie es des Lichtes bedarf.“

Goethe sieht Farben „als Bewusstseinsinhalte von sinnlichen Qualitäten“. Er legt den Schwerpunkt so auf die psychologische Wirkung von Farben: Rottöne „stimmen regsam, lebhaft, strebend“, Gelb wirke „prächtig und edel“ und mache einen „warmen und behaglichen Eindruck“, während Blau „ein Gefühl der Kälte“ vermittle.

Goethes Arbeit wurde - vor allem begründet durch den physikalischen Teil seiner Arbeit - komplett abgelehnt. Seine Texte zur psychologischen Wirkung von Farben und sein historischer Abriss wirken hingegen bis heute nach. Aus heutiger Sicht entspringen Goethes und Newtons Farbtheorien aus zwei unvereinbaren Weltanschauungen und müssen daher nebeneinander und im historischen Zusammenhang gesehen werden.

Sophia Felbermair, ORF.at

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