Sicherheitsvorkehrungen offenbar abgelehnt
Die Organisatoren, die Stadtbehörden und die Polizei sehen sich nach der Katastrophe bei der Loveparade am Samstag in Duisburg schweren Vorwürfen ausgesetzt. 19 Menschen starben bei der Massenpanik. Mehr als 340 Raver erlitten in dem Nadelöhr teils schwerste Verletzungen. Bereits vor der Technoparty hatte es Warnungen vor einer Katastrophe gegeben. Und die Behörden wussten davon.
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„Dieses Unglück ist so entsetzlich, dass man es nicht in Worte fassen kann“, sagte Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) am Sonntag. Sauerland steht schwer in der Kritik. Wegen des komplizierten Zugangs durch Unterführungen zu dem abgeschlossenen Gelände zwischen einer Autobahn und Bahngleisen hatten Experten und Laien bereits vor der Technoparade Bedenken am Sicherheitskonzept geäußert.
Die Aufklärung liegt nun in Händen der Staatsanwaltschaft. Das kündigte der stellvertretende Polizeipräsident Duisburgs, Detlef von Schmeling, am Sonntag auf einer Pressekonferenz an. Doch auch bei dieser blieben viele Fragen offen. Deutsche Medien sprachen von Phrasendrescherei.
Deutliche Sicherheitslücken
Ein internes Verwaltungsdokument aus Duisburg belegt nach Informationen des „Spiegel“ (Onlineausgabe) deutliche Sicherheitslücken. So sei der Veranstalter von der Einhaltung der vorgeschriebenen Breite der Fluchtwege befreit worden. Zugleich sei das Gelände aber ausdrücklich nur für 250.000 Menschen zugelassen gewesen. Kurz vor der Tragödie hatten Stadt und Veranstalter die Gesamtzahl der Teilnehmer selbst auf rund 1,4 Millionen Menschen geschätzt.

APA/DPA/Ulf Kleczka
Menschenmassen auf dem Gelände
Das kritisiert auch die Deutsche Polizeigewerkschaft. Der Veranstalter habe 500.000 Menschen angemeldet, sagte Erich Rettinghaus, NRW-Landesvorsitzender der Gewerkschaft, im ZDF – und das, obwohl die Stadt nur 250.000 Teilnehmer für das Gelände genehmigt hatte. Man sei davon ausgegangen, dass sich die restlichen Partygänger an anderen Orten der Stadt verteilen würden, erläuterte Rettinghaus.
Zudem habe man bei der Lenkung der Menschenmassen auf das Gelände des alten Güterbahnhofes nicht auf das sonst übliche „Entzerren des Ströme“ gesetzt, sondern wollte die feiernden Gäste durch „lückenlose Information durch Beschallung“ lenken. Lautsprecherdurchsagen seien aber in dem lauten Umfeld und von den teils angetrunkenen Menschen nicht gehört und nicht beachtet worden.
Sicherheit zu teuer?
Tote und Verletzte seien Opfer „materieller Interessen eines Veranstalters, der unter dem Deckmäntelchen der ‚Kulturhauptstadt 2010‘“ Druck ausgeübt habe, sagte der Vize-Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Wolfgang Orscheschek. Polizei und Feuerwehr „haben im Vorfeld ihre Vorbehalte geäußert“. Der „Spiegel“ berichtet, dass Veranstalter und Behörden diese Pläne – auch mit dem Verweis auf höhere Kosten – abgelehnt hatten.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft, Rainer Wendt, sagte der „Bild“-Zeitung (Montag-Ausgabe): „Letztlich sind Stadt und Veranstalter für die Tragödie verantwortlich.“ Wendt führte weiter aus, er habe schon vor einem Jahr gewarnt, Duisburg sei kein geeigneter Ort für die Loveparade. „Die Stadt ist zu klein und eng für derartige Veranstaltungen.“
Schweigen über Besucherzahlen
Bochums früherer Polizeipräsident Thomas Wenner will Sauerland anzeigen. Der Onlineausgabe der „Bild-Zeitung“ sagte Wenner: „Ich zeige den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, die leitenden Beamten der Stadt und die Veranstalter an.“ Eine solche Veranstaltung sei in Duisburg nie realisierbar gewesen. Wenner hatte 2009 als amtierender Polizeipräsident die für Bochum geplante Loveparade abgesagt.
Die Zahl der Teilnehmer konnten - oder wollten - weder Veranstalter noch Behörden auch am Tag danach genau beziffern. Sie reicht von 105.000 Menschen, die mit der Bahn zum Feiern reisten, bis hin zu 1,4 Millionen Ravern, die sich in der Stadt aufgehalten haben sollen. Die abgeschlossene Partyzone sei für rund 300.000 Feiernde ausgelegt gewesen, sagte der Leiter des Krisenstabs, Wolfgang Rabe. Der Platz sei zum Zeitpunkt des Unglücks nicht vollständig gefüllt gewesen. Dass alle Dokumente der Bundespolizei gelöscht worden seien, wie dies der „Spiegel“ am Sonntag berichtete, wurde umgehend dementiert.
19 Tote
Die Toten, elf Frauen und acht Männer, waren zwischen 18 und 38 Jahre alt. Elf der Opfer waren Deutsche. Hinzu kommen zwei Menschen aus Spanien sowie Raver aus den Niederlanden, Australien, Italien, China, Spanien und Bosnien.
In den Tod gestürzt
Der Ablauf der Tragödie zeichnet sich erst in groben Zügen ab: Es gab lange Zeit nur einen Ein- und Ausgang zum Festgelände, und der war nur durch zwei Tunnel unter Bahngleisen zu erreichen. Von den Tunneln ging es um eine Ecke auf eine breite Straßenrampe zum alten Güterbahnhof. Im Gedränge dieses Nadelöhrs stauten sich die Menschen.
Raver, die ungeduldig zur Party strebten, trafen auf Menschen, die schon müde waren und das Fest verlassen wollten. Viele kletterten auf Container oder Zäune, um der drangvollen Enge zu entfliehen, einige stürzten nach Augenzeugenberichten hinunter in die Massen. Nach Bekanntwerden der Todesfälle wurde die Veranstaltung nicht abgebrochen, um weitere Panik zu verhindern.

APA/EPA/Daniel Naupold
Menschen fliehen über eine Treppe.
Aus für die Loveparade
In der Nacht kamen erste Trauernde zu dem Tunnel, um ihr Mitgefühl mit den Opfern zu bekunden. Kerzen, Bilder und Blumen erinnerten am Sonntag an die Katastrophe.
Die Loveparade soll es nach Angaben des Veranstalters Rainer Schaller nun nicht mehr geben. 1989 in Berlin unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ gegründet, fand das fröhliche Techno-Event seit 2007 im Ruhrgebiet statt. Nächstes Jahr hätte die Party in Gelsenkirchen stattfinden soll. Im letzten Jahr fiel sie aus: Bochum hatte die Ausrichtung auch aus Sicherheitsgründen abgesagt.
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