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„Die kleinste Panik und der Mob eskaliert. Wetten?“

Wäre die Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg vermeidbar gewesen? Bereits vor der Katastrophe warnten Internet-User vor dem engen Tunnel. Die Veranstalter hätten einen ungeeigneten Ort für die Party ausgesucht, so der Vorwurf. Augenzeugen betonten, sie hätten die Polizei vor der drohenden Tragödie gewarnt. Behörden und Veranstalter wehren sich gegen die Kritik.

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Der ehemalige Güterbahnhof in Duisburg war nach Ansicht der Kritiker der denkbar ungeeignetste Ort für die Massenveranstaltung, zu der insgesamt bis zu 1,4 Millionen Raver - teils von weit her kommendend - geströmt waren. Es gab nur einen einzigen Zu- und Abgang vom Gelände: einen 150 Meter langen Tunnel unter den Bahngleisen. Und diese Unterführung wurde zur tödlichen Falle.

Eskalation vorhergesehen

Einige Internet-User hatten bereits am Donnerstag vor einer möglichen Massenpanik gewarnt. Im Forum der deutschen Homepage Derwesten.de - das Portal der WAZ-Mediengruppe - postete der User „Lover_P“ etwa: „Ich bin kein Nörgler, eigentlich, aber was sich Veranstalter und Stadt hier erlauben, ist eine gefährliche Frechheit. Eine Örtlichkeit zur Verfügung zu stellen, die maximal 350.000 Leute aufnehmen kann, obwohl man ahnt, dass ca. 800.000 Leute kommen werden, wird die Stimmung kippen lassen.(...) Die kleinste Panik und der Mob eskaliert. Wetten?“

Zahlreiche andere Poster sahen das ähnlich: „Sehe ich das richtig, dass die versuchen, eine Million Menschen über die einspurige Tunnelstraße Karl-Lehr-Straße mit zwischendurch zwei kleinen Trampelpfaden hoch zum Veranstaltungsgelände zu führen? Also in meinen Augen is’ das ’ne Falle. Das kann doch nie und nimmer gut gehen“, meinte der User „klotsche“.

Menschen klettern auf Hang

APA/EPA/DPA/Erik Wiffers

Menschen fliehen einen Hang hinauf.

„Keine Ausweichmöglichkeit“

Augenzeugen äußerten scharfe Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen bei dem Raver-Spektakel. Es habe im Tunnelbereich „einfach gar keine Ausweichmöglichkeit“ gegeben, sagte eine Teilnehmerin im WDR-Fernsehen.

Eine Videoreporterin, die mitten in der Menschenmenge war, betonte, viele der Teilnehmer seien wütend und enttäuscht gewesen, dass bereits um 15.00 Uhr der Zugang zum Gelände gesperrt wurde. Ähnlich andere Teilnehmer an der Parade: „Wenn man dann den Leuten direkt vor der Nase den Weg quasi versperrt, dann ist klar, dass das irgendwann hochkocht und ja, dann passiert so etwas.“

Opfer kletterten an Wand hinauf

Die weiter zuströmenden Massen und jene, die versuchten umzukehren, trafen im und am Rande des Tunnels aufeinander und lösten die tödliche Massenpanik aus. Nach Polizeiangaben starben 19 Personen, über 300 wurden zum Teil schwer verletzt. Der Duisburger Ordnungsdezernent Wolfang Rabe sagte in der ARD, die späteren Opfer seien offenbar an einer Tunnelwand hinaufgeklettert und abgestürzt. Nach ersten Angaben der Polizei wurden im Bereich des Tunnels „Menschen überrannt“.

Menschen klettern auf Metallsteher

APA/Waz Foto Pool/EPA/Peter Malzbender

Menschenmassen suchen einen Fluchtweg.

Polizei war gewarnt

Augenzeugen berichteten, sie hätten die Polizei mehr als eine halbe Stunde vor der tödlichen Massenpanik vor der drohenden Gefahr gewarnt. „Wir standen mittendrin. Es hatten immer mehr Menschen noch versucht, zum Gelände zu kommen“, sagte der 21-jährige Raver Fabio der Nachrichtenagentur dpa.

„Wir sind durch den Tunnel zurück. Meine Freundin und ich haben schon kaum mehr Luft bekommen und haben die Ellbogen ausgefahren, um noch wegzukommen. Anschließend haben wir die Polizei alarmiert und gesagt, dass es im Tunnel gleich zur Massenpanik kommen wird.“ Passiert sei aber erst einmal nichts. „Das war etwa eine Dreiviertelstunde vor dem Unglück gewesen. Da waren aber schon Leute reihenweise zusammengeklappt.“

„Ein Skandal“

Auch Loveparade-Gründer Dr. Motte kritisierte in seinem Internet-Blog, ein einziger Zugang durch einen Tunnel berge „die Katastrophe in sich“. Für ihn sind klar die Veranstalter die Schuldigen. „Die haben einen krassen Managementfehler begangen. Wie kann man denn Menschen nur durch einen einzigen Zugang auf das Gelände lassen. Das ist ein Skandal“, sagte der DJ dem „Berliner Kurier“. Bundespräsident Christian Wulff reagierte „entsetzt und bestürzt“. Zugleich forderte Wulff die schonungslose Aufklärung der Ursachen für die Katastrophe.

Sicherheitskonzept „stichhaltig“

Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland verteidigte das Sicherheitskonzept als „stichhaltig“. Auf der Website der Stadt erklärte er, die Loveparade hätte ein „friedliches und fröhliches Fest“ werden sollen. „Jetzt muss diese Veranstaltung leider als eine der größten Tragödien der jüngeren Stadtgeschichte gewertet werden. Ich bin zutiefst erschüttert.“

Die Veranstalter der Loveparade sprachen den Angehörigen der Opfer in einer Internetmitteilung ihr Beileid aus. „Unser Anliegen, ein fröhliches Miteinander von Menschen durchzuführen, ist heute von den tragischen Unglücksfällen überschattet worden“, hieß es in der kurzen Erklärung auf der Website Loveparade.net, die auf völlig schwarzem Hintergrund erschien.

Eine Kerze in einem Tunnel

APA/DPA/LNW/Fredrik Von Erichsen

Kerze an der Unglücksstelle im Tunnel.

Merkel: „In Gedanken bei Angehörigen“

Bundespräsident Christian Wulff und Kanzlerin Angela Merkel reagierten mit Bestürzung auf das Unglück. Eine solche Katastrophe sei furchtbar, so Wulff. Er äußerte die Hoffnung, dass „die Ursachen rückhaltlos aufgeklärt werden“. „In diesen schweren Stunden bin ich in Gedanken bei den Angehörigen der Opfer“, ließ Merkel über ihren Sprechers Ulrich Wilhelm ausrichten. Bestürzt zeigten sich auch Spitzenpolitiker aus SPD und Grünen. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso sprach den Angehörigen sein „tief empfundenes Mitgefühl“ aus.

Die Techno-Party wurde nach dem Unglück fortgesetzt. Der städtische Krisenstab habe gewollt, „dass diese Veranstaltung in Ruhe ausklingt“ und keine Panik entstehe, begründete Ordnungsdezernet Rabe die Entscheidung. Laut Polizei wurde die Musik gegen 23.00 Uhr abgestellt, die letzten Besucher verließen das Festgelände um 3.00 Uhr morgens.

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