Urbanisierung befeuert CO2-Ausstoß
Die Dimensionen sind unvorstellbar: Täglich werden in China zahlreiche Wolkenkratzer hochgezogen, ganze Stadtviertel entstehen binnen kürzester Zeit. Die Metropolen fransen immer weiter aus, um die Landbevölkerung aufnehmen zu können, die es auf der Suche nach Arbeit und dem Traum von einem besseren Leben in die Städte treibt.
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Doch geplant und gebaut wird großteils nach völlig veralteten westlichen Methoden der 1960er und 1970er Jahre. Riesige Wohnblöcke und Bürokomplexe werden „auf die grüne Wiese“ gestellt. Möglichst mehrspurige Autobahnen sollen für die Verbindung mit dem Zentrum sorgen. Statt gemischter Bebauung herrscht die weitgehende Trennung von Arbeit (in Büros und Industrievierteln) und Wohnen vor, die längst als ökonomisch und ökologisch überholt gilt. Angesichts der ungeheuren Dimensionen der Urbanisierungswelle in China und anderen aufstrebenden Staaten betrifft diese Entwicklung die gesamte Welt. Vor allem dem globalen Klima drohen drastische Folgen.
UNO warnt Peking
Die UNO warnte China bereits im Frühjahr: Eine wirkliche Kehrtwende hin zu einer Urbanisierung und generell einem Wirtschaftswachstum mit geringem CO2-Ausstoß sei für die Zukunft von entscheidender Bedeutung. Allein in den nächsten 20 Jahren werden laut UNO-Schätzung 350 Millionen Chinesen - das ist mehr als die gesamte US-Bevölkerung - in die Städte ziehen.
Was China braucht
- 50.000 Wolkenkratzer
- Fünf Mio. Gebäude (das entspricht zehnmal New York)
- 170 neue Massentransportmittel
- Tausende Kilometer Autobahn
(McKinsey: „Chinas grüne Revolution“)
Die Verstädterung erhöhe grundsätzlich die CO2-Emissionen. China werde daher „enorm unter Druck geraten“, seinen Ausstoß zu verringern, während es gleichzeitig die wirtschaftliche Weiterentwicklung vorantreiben wolle. Das rapide Wachstum der Städte geht stark auf Kosten der CO2-Bilanz, da in rauen Mengen Stahl, Zement und Chemikalien benötigt werden. Dazu ist der Energieverbrauch der Städter deutlich höher als auf dem Land.
Alte Fehler
Alles in allem werden bei der größten Urbanisierungswelle - ausgelöst durch die Aufweichung des Hukou-Systems, das Land- von Stadtbevölkerung de facto administrativ trennte - der letzten Jahrzehnte vielfach die Fehler und ökologischen wie sozialen Bausünden des Westens wiederholt.
Der aktuelle Pro-Kopf-Energieverbrauch für Wohnen und Straßentransport in Chinas Städten entspricht in etwa dem in den USA der 1950er Jahre. Wenn sich das Konsumverhalten der chinesischen Stadtbevölkerung in Richtung desjeningen in den OECD-Staaten entwickeln sollte, hätte das einen dramatischen Anstieg des Energieverbrauchs zur Folge, so der Bericht „China und eine nachhaltige Zukunft“ des United Nations Development Programm (UNDP).
Dabei könnte gerade die traditionelle chinesische Architektur und Stadtplanung zahlreiche positive Anstöße liefern. Kleine Straßen und Alleen in gemischten Wohn- und Handwerksvierteln haben das städtische Leben geprägt und das Miteinander befördert.
Chinas verkehrte Regel
Auch eine Analyse zum Verhältnis zwischen der Dichte der städtischen Besiedelung und dem Klimawandel für den United Nations Population Fund (UNFPA, 2009) kommt zum Schluss, dass sich eine hohe Besiedelungsdichte in Schwellenländern negativ auf das Klima auswirkt. Das widerspricht genau der gängigen Tendenz in industrialisierten Ländern.
Die Erklärung: Stadtbewohner in reichen Ländern würden im Vergleich zur ruralen Bevölkerung weniger Wohnraum brauchen und öffentliche Verkehrsmittel stärker nutzen. Damit sei der CO2-Verbrauch von Städtern geringer als jener der ländlichen Bevölkerung. Anders dagegen in Schwellenländern, wo grundsätzlich Stadtbewohner deutlich höhere Einkommen hätten und damit auch einen größeren CO2-Fußabdruck als die ländliche Bevölkerung. Die Analyse warnte daher, dass eine quasi blinde Erhöhung der Bevöklerungsdichte die Klimaprobleme noch weiter verschärfen könnte.
Reißbrett statt Tradition
Doch genau das passiert derzeit: Wohnviertel werden auf dem Reißbrett entworfen, Kanalisation, Wasser und Strom werden verlegt und Wohnhäuser in aller Eile hochgezogen, ohne auf die Lebensqualität für die künftigen Bewohner Rücksicht zu nehmen. Viele dieser neuen Blocks sind für den Mittelstand und als „Gated Communitys“ ausgeführt - also von Zäunen umgeben und oft nur durch ein Tor zugänglich. Das und das oftmalige Fehlen einer guten öffentlichen Anbindung führen zwangsläufig dazu, dass all jene, die es sich leisten können, vom Fahrrad auf Motorrad und Auto umsteigen.
Die chinesische Führung hat grundsätzlich die Problematik erkannt. Und es gibt zahlreiche Projekte für nachhaltigere, energiesparende Stadtplanung - oft in Zusammenarbeit mit westlichen Institutionen. Doch sie bleiben angesichts der Dynamik der Landflucht unbedeutend.
Ökoanreize fehlen
Das Wirtschaftsmagazin „Economist“ erinnert an Yvo de Boer, den abtretenden UNO-Klimaschutz-Chef. Dieser habe betont, ein wesentlicher Teil einer Lösung wären starke Anreize für Bauunternehmer, ökologischer zu bauen. Mit den derzeit stark subventionierten Preisen für Öl, Zement und Stahl rechne sich das nämlich schlicht nicht.
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