Hoffmann in der Travestie-Revue
Es ist nach „Turandot“ die zweite unvollendete Oper, die das Publikum heuer in Bregenz zu sehen bekommt. Anders als in Giacomo Puccinis letztem Werk ist nach Jacques Offenbachs Tod aber nicht nur der Schluss offen geblieben, sondern auch viel anderes. Und so geistern unzählige Versionen des Werkes über die Opernbühnen der Welt, und E. T. A. Hoffmann, von den Librettisten Jules Barbier und Michel Carre zum Protagonisten seiner eigenen Geschichten gemacht, sucht immer wieder nach der Liebe (oder nach dem, was er gerade dafür hält).

Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
Bei der Liebessuche zerlegt: E. T. A. Hoffmann
„Eine Erzählung von verstrickten Erzählungen“ nennt der norwegische Regisseur die Oper im Programmheft, die obligatorische Stückbeschreibung ist für ihn der „Versuch einer Inhaltsangabe“. Wer ist Hoffmanns große Liebe? Ist es Stella, die Künstlerin? Olympia, die Puppe? Antonia, die sterbende Sängerin? Oder Giulietta, die Prostituierte? Heilige, Hure, gar keine - Alkohol? Die richtige Antwort gibt es für den Dichter nicht, und die Welt ist auch nicht schwarz-weiß, sondern bei Herheim schwarz-weiß-glitzernd.
Figuren verschwimmen und vermehren sich
Er sei „selbstverständlich auch gar nicht in der Lage, eine gestraffte Rekonstruktion eines Werkes zu präsentieren, dessen Ende immer offen vorgesehen war“, so Herheim. Simple Illustration oder den Versuch, chronologische Stringenz zu zimmern, braucht man deshalb hier auch nicht zu erwarten - dafür aber eine mit Referenzen, Anspielungen und sexuellen Eindeutigkeiten gespickte Inszenierung, die insgesamt vermutlich nur der Regisseur selbst dechiffrieren kann.

Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
Hoffmänner auf Identitätssuche
Orientierungslosigkeit und Kontrollverlust sind somit eingeplant, auch die Brüche in dem Opernstückwerk sollen gar nicht gekittet werden. Im Gegenteil: Jede Figur wird zerlegt - manche auch im Wortsinn -, Rollen und Identitäten verschwimmen in einer Welt, in der es gleich Dutzende Hoffmann-Spiegelungen gibt, Männer Frauen sind und man nicht immer mit Sicherheit sagen kann, wen man vor sich hat.
Was gespielt werden soll, lässt sich hingegen schon bald vermuten. Bereits der erste Blick auf das Bühnenbild (Christof Hetzer) ist quasi eine Einladung, sich in die Hände eines imaginären Conferenciers zu begeben, der erste Auftritt Stellas (als depressiv-betrunkene Travestiekünstlerin von Pär Karlsson gespielt) im Stuntflug über die Showtreppe öffnet den Vorhang zur inneren Seelenwelt Hoffmanns.
In den düsteren Katakomben der Seele
Dort, tief drinnen, in den Katakomben unter den Stiegen, die sich öffnen lassen (zumindest meistens - bei der Premiere musste der erste Akt wegen eines technischen Gebrechens kurz unterbrochen werden), ist es meist düster. Man trägt Showkostüme, Frack, Glitzerkleider oder hautfarbene Korsagen mit Strumpfhaltern (Kostüme: Esther Bialas), tanzt, trinkt, liebt und verzweifelt.
Die „Barcarole“ bekommt stilecht eine Begräbnisgondelfahrt durch die Kellerbögen, und nicht erst dann ist der Sog von Musik und Bildern fast übermächtig. Die Wiener Symphoniker, dirigiert von Johann Debus, holen die wunderschöne Tragik aus der Komposition, akzentuieren aber auch punktgenau humoristische Elemente, Ironie und Drama. Dasselbe lässt sich sowohl darstellerisch als auch musikalisch von Daniel Johannson sagen, dem schwedischen Tenor, der sich als Hoffmann mit sichtbarer Lust auf Identitätssuche begibt.
Generell setzt die Inszenierung auf präzises Schauspiel und verlangt auch von den ausgezeichneten Sopranistinnen Kerstin Avemo (grandios als Olympia/Giulietta), Mandy Friedrich (Antonia/Giulietta) und Rachel Frenkel (Muse/Niklausse) vollen Körpereinsatz.
Hinweis
„Hoffmanns Erzählungen“ ist bei den Bregenzer Festspielen noch am 26. Juli um 11.00 Uhr sowie am 30. Juli, am 3. und 6. August um 19.30 Uhr zu sehen.
Die Ö1-Übertragung der Oper ist online nachzuhören - mehr dazu in oe1.ORF.at.
ORF III zeigt die Inszenierung am Sonntag um 22.15 Uhr - mehr dazu in ORF blickt in die Maschinerie Oper.
Christoph Mortagne darf als Offenbach selbst die Bühne in Beschlag nehmen und ein bisschen mitdirigieren, Bariton Michael Volle in den Bösewichtrollen auch aus dem Publikum heraus auf die Bühne pöbeln.
Keine Angst vor Kontroversen
Die echten Zuschauer blieben mit Unmutsäußerungen dafür ziemlich zurückhaltend. Herheims Arbeiten haben zwar schon so manche Kontroverse ausgelöst, in Bregenz dürfte das trotz der Ankündigung, dass das Stück „zu einer Art Travestie der Grand opera“ werde, aber eher ausbleiben: Der große Jubel und ein recht schnell für Standing Ovations aus der Bestuhlung springendes Publikum nach der rund dreieinhalbstündigen Inszenierung haben die vereinzelten Buhrufer locker übertönt.
Sophia Felbermair, ORF.at
Links:
- Kritiker über „Hoffmanns Erzählungen“ (vorarlberg.ORF.at)
- Prominenz bei der Premiere (vorarlberg.ORF.at)
- Bregenzer Festspiele