„Turandot“ und das Tauwetter auf dem Bodensee
Puccini, der in seinen früheren Werken überwiegend auf sentimentale Melodramen setzte, lässt es bei seiner letzten und unvollendet gebliebenen Oper brutal zugehen. Turandots Schwur, denjenigen zu heiraten, der ihre drei Rätsel lösen kann, und alle scheiternden Brautwerber hinrichten zu lassen, hat schon viele Opfer gefordert - trotzdem finden sich immer wieder Kandidaten, darunter auch Calaf, der sich als erfolgreich erweisen und daraufhin das Ratespiel umdrehen wird.

Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
Turandot will sich eher töten, als zu einem Mann zu gehören
Trotz der in Bregenz durch die von der wie immer multifunktionalen Bühne und den damit verbundenen Effekten vorgegebenen Parameter (Stichwort: Spektakel) will Marelli in seiner Inszenierung den Fokus auf die psychologischen Aspekte der Figuren legen. Vor allem der Seelenzustand Turandots - ihre Zerrissenheit und die panische Angst, selbst Opfer zu werden - hat es ihm angetan.
Hinweis
„Turandot“ ist bei den Bregenzer Festspielen noch bis 23. August zu sehen. ORF2 überträgt die Inszenierung am Freitag um 21.15 Uhr live von der Seebühne, ORF III zeigt die Aufzeichnung am Sonntag um 20.15 Uhr - mehr dazu in ORF blickt in die Maschinerie Oper.
Der Komponist darf mitspielen
Doch damit ist es noch nicht genug an theoretischem Unterbau: Die enge Verbindung von Puccinis Biografie mit Handlungselementen der Oper ist dem Regisseur die Einführung einer nicht selbsterklärenden Metaebene wert. Im Programmheft erläutert er die Idee, die Rolle des Tatarenprinzen mit seinem Schöpfer zu überlagern. So verwandelt sich Calaf plötzlich vor seiner Paradearie „Nessun dorma“ in Puccini, der in seiner kargen Klause mit dem Schluss der Oper ringt.
Den historischen Bogen von der Qin-Dynastie bis zur Entstehungszeit der Oper in den 1920er Jahren spannt dann auch das Kostümbild von Constance Hoffman. Die Massen tauchen einmal als ferngesteuerte Mao-Sklaven auf, einmal als johlendes Opernpublikum in Amüsierlaune.
Terrakottakrieger auf Tauchstation
„China-Restaurant-Kitsch“ wollte Marelli, der nicht nur für Regie, sondern auch für die riesige Bühne verantwortlich zeichnet, vermeiden. An orientalischer Opulenz mit schon recht klischeehafter Symbolik mangelt es dieser „Turandot“ trotzdem nicht, stellt die (schon vor der Premiere zum beliebten Touristenfotomotiv gewordene) Bühne doch gleichzeitig einen sich durchs Wasser schlängelnden Drachen und die chinesische Mauer dar. 200 überlebensgroße Terrakottakrieger, Lampions und teils traditionelle Kostüme tragen das ihre zum fernöstlichen Gesamtfeeling bei.

Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
Einstürzende Altbauten
Der gigantische Bühnenkoloss zeigt auch bald, was er alles kann. Die Mitte der Mauer fällt zu den einstürzenden Akkorden der Ouvertüre, vom Turm fliegt eine Leiche, Boote fahren durchs Bild. Doch anders als in früheren Bregenzer Inszenierungen konzentriert sich das Spiel schließlich doch stark auf die Bühnenmitte auf und um einen dreh- und klappbaren Zylinder. Statt großer Action, wie man sie auf dem See schon gesehen hat, gibt es LED-Projektionen (Videos: Aron Kitzig) begleitend zum opulenten Auftritt Turandots und zur Rätselszene.
Das Orchester spielt im Festspielhaus
Dass die Opernproduktionen in Bregenz musikalisch trotz der Bühnendimensionen funktionieren, dafür sorgen Dutzende in die Bühne eingebaute Lautsprecher, dank derer man auch akustisch verorten kann, wo gerade die Musik spielt. Diese hat es bei „Turandot“ ja auch in sich. Unter der Leitung des Italieners Paolo Carignani loten die aus dem Festspielhaus zugeschalteten Wiener Symphoniker die Bögen zwischen lyrischem Melodram und nahezu expressionistischer Partitur aus, oft mit einem Hang zur breiteren Dehnung.

Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
LED-Projektionen untermalen Turandots inneren Kampf
Mlada Khudoley als Turandot bewies auch die nötigen Kraft für die Spitzentöne der Partie. Riccardo Massi als Calaf liefert sie in den Duetten einen expressiven Geschlechterkampf auf Leben und Tod, bei dem den Sieg rein auf musikalischer Ebene eher der Prinz für sich verbuchen konnte. Wobei der natürlich zudem mit „Nessun dorma“ den programmierten Hit auf seiner Seite hat. Als Kontrast zur harten und unerbittlichen Turandot wirkt die Sopranistin Guanqun Yu berührend als gefühlvolle Liu, die sich aus Liebe erdolcht und so den Prinzen vor dem Tod schützt. Am Premierenabend war sie es, die verdient den meisten Applaus erhielt.
Puccinis Scheitern am schlüssigen Schluss
Das in der Commedia-dell’Arte-Tradition stehende Maskentrio Ping (Andre Schuen), Pang (Taylan Reinhard) und Pong (Cosmin Ifrim) sorgt mit komischen Anklängen für einen Kontrapunkt zum tragischen Plot. Ihre Warnungen an Calaf verhallen im Wind, darum bleibt ihnen nur das Zählen der Opfer: „Im Jahr der Maus waren es sechs, im Jahr des Hundes acht, im Jahr des Tigers sind es schon 13.“

Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
„Keiner wird mich je besitzen“, schwört Turandot
Dass das Körperzählen schließlich ein Ende findet, kommt dann auch für sie ziemlich überraschend. Selbst Puccini scheiterte bis zu seinem Tod daran, eine befriedigende musikalische Lösung für das Happy End zu finden. Sein Kollege Franco Alfano komponierte schließlich auf Grundlage der Skizzen ein fulminantes Finale, das für Marelli „die größere Entwicklung“ verdeutlicht.
Großes Pathos nach dem Auftauprozess
Warum genau, erschließt sich zwar auch nicht, aber Turandot lässt sich, quasi in letzter Minute, doch noch von ihrem heißblütigen Prinzen zum gemeinsamen Glück überreden und stimmt in den pathetischen Schlussjubel ein: „Liebe ist das Licht der Welt. Unendlich unser Glück.“ Die gefühlskalte Prinzessin wird im Hitzesommer in Rekordgeschwindigkeit aufgetaut. Dem freundlich applaudierenden Premierenpublikum blieben Temperaturschwankungen trotz angekündigter Unwetter erspart.
Sophia Felbermair, ORF.at
Links:
- Erste Kritikerreaktionen (vorarlberg.ORF.at)
- Interview mit Marco Arturo Marelli (oe1.ORF.at)
- Bregenzer Festspiele