„Hamlet“: Gelungenes Comeback einer verschollenen Oper
So hat man einen Hamlet selten gesehen: Mit weiß geschminkten Gesicht steht der dänische Königssohn, fulminant gespielt von Pavel Černoch, vor dem Spiegel und zieht sich einen roten Strich quer übers Gesicht. Es war eine dieser einprägsamen Szenen, von denen es in dieser Inszenierung von Franco Faccios „Hamlet“ - oder korrekter: „Amleto“ - viele gegeben hat. Das Publikum war entsprechend begeistert: Am Ende der Oper spendeten die Premierengäste im Bregenzer Festspielhaus frenetischen Applaus.
Kritiker positiv überrascht
Über 140 Jahre war „Hamlet“ von der Bildfläche verschwunden. Mit der Aufführung bei den Bregenzer Festspielen hat sich Intendantin Elisabeth Sobotka weit aus dem Fenster gelehnt. Der Plan scheint aufgegangen zu sein. Das sah die Fachkritik am Mittwochabend ähnlich: „Das Stück ist für mich schon eine Entdeckung“, sagte etwa Markus Thiel vom „Münchner Merkur“. Und zwar auch deswegen, weil man mitbekomme, dass zu Lebzeiten von Giuseppe Verdi „noch so ein kleines Nebengeleis möglich war der italienischen Opernentwicklung.“
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„Ich fand es grandios“, lautete das Urteil von Eleonore Büning von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Ich bin sehr überrascht, wie gut dieses Stück funktioniert, wie gut es komponiert ist.“ Die Ensembles, gerade im zweiten Teil, seien mitunter „genial“. Allerdings handle es sich auch um ein sehr konventionelles Stück. Reinmar Wagner von „Musik und Theater“ sprach von einem „interessanten Stück“, das im Orchester viel „raffinierter“ sei, als er es sich vorgestellt hätte. „Hamlet“ biete viel Abwechslung und sei definitiv keine Fortsetzung von dem, was Verdi gemacht habe.
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Lob für Ensemble
Einhelliges Lob gab es für das Ensemble, allen voran Pavel Černoch als Hamlet bzw. Amleto, Claudio Sgura als Claudio, Dshamilja Kaiser als Gertrude und Iulia Maria Dan als Ofelia. Ob sich die Oper nach ihrer Wiederentdeckung dauerhaft etablieren kann, war indes umstritten. „Ich kann mir vorstellen, dass es durchaus eine Zukunft hat“, sagte etwa Wagner. Thiel meinte hingegen, man müsse bei den gegebenen Umständen in der Opernwelt „viel Mut“ haben, ein Stück wie Faccios Oper ins Programm zu nehmen: „Es wird’s schwer haben im Repertoire, glaube ich.“
Besonderer Werdegang
Tatsächlich hat „Hamlet“ einen besonderen Werdegang hingelegt: Am 30. Mai 1865 wurde die Oper im Teatro Carlo Felice in Genua uraufgeführt. Zunächst sah es nicht nach einem Misserfolg aus: Der damals erst 25-jährige Komponist musste mehrfach auf die Bühne, um sich beklatschen zu lassen. Das war nicht selbstverständlich: Faccio und Librettist Arrigo Boito, selbst erst 23 Jahre alt, unterliefen mit ihrer originellen Oper viele der damals gängigen Klischees der italienischen Oper. Das gefiel zwar nicht allen Besuchern, die zeitgenössische Kritik fand aber durchaus gefallen an dem jungen Komponisten.
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Der große Erfolg blieb dennoch aus. Sechs Jahre wartete „Amleto“ auf eine zweite Chance, am 12. Februar 1871 war es dann soweit: An der Mailänder La Scala wurde die Oper in einer überarbeiteten Fassung erneut aufgeführt. Der Premierenabend wurde zum Debakel. „Hamlet“-Darsteller Mario Tiberini war erkrankt und musste fast ohne Stimme auskommen. Zudem wirkte er desorientiert, ließ ganze Passagen aus. Komponist Faccio, der die Oper selbst dirigierte, zog sein Werk zurück. Bis zu seinem Tod am 21. Juli 1891 sollte sie nicht mehr aufgeführt werden.
Wiederentdeckung in den USA
Mehr als 130 Jahre verschwand „Amleto“ von der Bildfläche. Erst 2002 stieß der amerikanische Dirigent Anthony Barrese auf die verschollene Oper. Er machte sich auf die Suche nach den Notenblättern und dem Libretto und schaffte es bis Ende 2003 in anstrengender Kleinstarbeit, das Werk zu restaurieren. 2004 brachte er einen Teil des dritten Aktes an der Sarasota Opera zur Aufführung. „Wir hatten ganz sicher das Gefühl, etwas Einzigartiges zu machen, und die Sänger legten eine leidenschaftliche Vorstellung hin“, beschreibt Barrese die Stimmung auf der Website „Amleto Project“.
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Hamlet: Erste Eindrücke
Vergangenen Samstag (16.7.) fand im Festspielhaus die Generalprobe der Oper „Hamlet“ statt. Hier sehen Sie die ersten Bilder von der Neuentdeckung, mit der heuer die Bregenzer Festspiele eröffnet werden.
In den darauffolgenden Jahren gelang es Barrese, zahlreiche weitere Quellen aufzutreiben, darunter ein Original-Libretto der veränderten Fassung von 1871. Anhand dieser Dokumente erstellte er eine kritische Edition von „Amleto“. Im Oktober 2014 gelangte diese Fassung an der Baltimore Concert Opera als Konzert mit Klavierbegleitung zur Aufführung. Am 26. Oktober 2014 folgte die szenische Erstaufführung am Journal Theatre in Albuquerque. Barrese stand beide Male am Dirigentenpult. Auch die in Bregenz aufgeführte Fassung folgt seiner kritischen Edition.
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Darum geht es in „Hamlet“
Die Oper „Hamlet“ folgt im Wesentlichen dem berühmten Stück von William Shakespeare, dessen 400. Todestag dieses Jahr gefeiert wird. Die Oper beginnt mit einem trauernden Helden, der den Tod des zu früh verstorbenen Vaters ebenso wenig versteht wie die kurz darauf folgende Vermählung seines Onkels Claudio mit seiner Mutter Gertrude. Schließlich erscheint ihm der Geist seines Vaters. Seine Botschaft: Claudio hatte ihn, den König von Dänemark, hinterlistig ermordet, um so an die Königskrone zu kommen. Hamlet schwört, den Mord an seinem Vater zu rächen.
Der Prinz engagiert eine Gruppe von Schauspielern, die am Königshof ein Stück vortragen sollen. Inhalt soll ein Königsmord sein, der dem Mord an seinem Vater gleicht. Während der Aufführung wird Claudius immer unruhiger und stürmt schließlich davon. Hamlet fühlt sich bestätigt. Nachdem er versehentlich den Vater von Ofelia, seiner Geliebten, tötet, verfällt sie dem Wahnsinn und ertränkt sich selbst. Claudio bringt Ophelias Bruder Laerte dazu, Hamlet zum Duell herauszufordern. Während des Kampfs nimmt sich Gertrude den vergifteten Becher, der für Hamlet vorgesehen war, und stirbt. Hamlet wird von Laertes vergiftetem Schwert getroffen, tötet seinen Gegner und seinen Onkel, und stirbt dann selbst.
Markus Sturn, vorarlberg.ORF.at
Links:
- „Hamlet“ - oder: Die Rückkehr des Jedi-Ritters (ORF.at, 21.7.2016)
- Bregenzer Festspiele
- „Amleto“ (Wikipedia)
- „Amleto Project“